Seit Jahren im Einsatz für Patientinnen und Patienten
Interview aus Saarland
Hardy Müller ist einer der Experten für das Thema Patientensicherheit. Neben seiner Rolle in der TK hat er auch jahrelang im Aktionsbündnis Patientensicherheit mitgearbeitet. Im Interview geht er auf die aktuelle Lage ein und betont die Wichtigkeit von Mindestmengen und Zweitmeinungsverfahren. Außerdem sieht er in diesem Bereich auch viele Chancen in der Digitalisierung.
TK: Sehr geehrter Herr Müller, Sie sind seit 2019 Beauftragter für Patientensicherheit bei der TK. Wie lautet Ihr Fazit zu Ihrer bisherigen Amtszeit?
Hardy Müller: Wir haben in der TK zum Thema Patientensicherheit seit 2019 viel erreicht. In meinen Jahresberichten wird eine Auswahl der TK-Aktivitäten für den Vorstand und die Öffentlichkeit präsentiert. Angesichts der Bedeutung und Dringlichkeit des Themas für die Versorgung hat zwischenzeitlich die WHO die Dekade der Patientensicherheit ausgerufen und einen globalen Aktionsplan Patientensicherheit 2021-2030 verabschiedet. In Deutschland wurde die Stärkung der Patientensicherheit als Nationales Gesundheitsziel im Jahr 2022 vereinbart. Das zeigt, wie weitsichtig und innovativ der TK-Vorstand mit der Berufung des ersten TK-Beauftragten im Jahr 2019 war. Durch diese Positionierung war es zum Beispiel möglich, einen eigenen TK Monitor Patientensicherheit zu entwickeln und zu etablieren. Jährlich veröffentlichen wir zum Welttag der Patientensicherheit am 17. September repräsentative Befragungsergebnisse über die Einschätzung der Bevölkerung zum Thema Patientensicherheit.
Wir haben außerdem als TK für die Versicherten systematische Rückmeldemöglichkeiten über positive wie kritische Behandlungserfahrungen geschaffen. Wir stärken damit die Stimme der Patientinnen und Patienten. Diese Informationen nutzen wir, um das Gesundheitssystem sicherer zu machen. Gemeinsam mit den vdek Mitgliedskassen haben wir jüngst ein neues System ausgerollt. Wir stellen zudem als TK unsere Aktivitäten zur Information der Versicherten in unseren Transparenzberichten sichtbar dar. Zukünftig werden alle Kassen über Ihre Aktivitäten für die Versicherten vergleichbar berichten. Wir kommen also als TK im Themenfeld sichtbar voran. Zusammen mit Leistungserbringern und unseren Vertragspartnern reduzieren wir für die Versicherten wie auch für die Behandlungsteams Behandlungsrisiken. Damit wir vermeidbare Schädigungen und Todesfälle durch Fehler ausschließen können, braucht es jedoch sehr viel mehr Engagement aller Akteure im Gesundheitswesen. Es gibt also noch einiges zu tun.
TK: Wie wichtig sind Mindestmengen und Zweitmeinungsverfahren für die Patientinnen und Patienten?
Müller: Beide Verfahren sind für die Patientensicherheit wesentlich. Patientensicherheit und auch die Sicherheit der Behandlungsteams bedeutet, unerwünschte Ereignisse zu vermeiden. Wir alle wollen keine (leicht) vermeidbaren Fehler machen. Etwas zu können und dafür zu üben, hilft: Die Übung macht den Meister. Ebenfalls führt ein Austausch unter Fachexperten - vier Augen sehen mehr als zwei - zu besseren Ergebnissen und zu einer höheren Behandlungssicherheit. Qualitätssicherung und -entwicklung sind tragende Säulen für den Ausbau des Sicherheitsmanagements in der Gesundheitsversorgung.
TK: Was kann die Digitalisierung allgemein und speziell die elektronische Patientenakte zur Patientensicherheit beitragen?
Müller: Die digitale Transformation im Gesundheitswesen bietet unverzichtbare Chancen zur Qualitätsverbesserung. Diese Chancen sind auch für den Ausbau der Patientensicherheit zu nutzten. Das genannte Beispiel der elektronischen Patientenakte führt alle behandlungsrelevanten Informationen an einer Stelle leicht verfügbar zusammen. Informationen sind die Grundlage für Behandlungsentscheidungen. Wenn diese nicht verfügbar sind, häufen sich Risiken für die Kommunikation. Untersuchungen von Fehlern zeigen, dass in 80 Prozent aller Patientenschäden Defizite in der Kommunikation mit ursächlich waren. Diese Quote wird sich durch die zentralisierte Verfügbarkeit aller für den Versicherten relevanten Informationen reduzieren lassen.
TK: Wo sehen Sie aktuell die größten Baustellen beim Thema Patientensicherheit?
Müller: Der Ausbau des Sicherheitsmanagements in der Gesundheitsversorgung muss angesichts der Ressourcenknappheit vor allem bedarfsgerecht und effizient erfolgen. Es gibt immer noch die Fehleinschätzung wonach "an-Patientensicherheit" gespart werden kann. Richtigerweise lassen sich "mit-Patientensicherheit" Kosten einsparen. Eine Baustelle besteht im Erkennen von Risiken, um daraus systematisch zu lernen. Wir müssen dort ansetzen, wo es für die allseits bekannten Risiken Verfahren zur Reduktion gibt und diese Verfahren auch einsetzen. Wir wissen, wie sich Patientensicherheit stärken lässt, es muss halt auch umgesetzt werden (Weißbuch Patientensicherheit).
Nehmen Sie das Beispiel zum Umgang mit schwerwiegenden Ereignissen, die sogenannten "Never Events", wie etwa Personen- oder Eingriffsverwechslungen. Diese geschehen immer wieder, obwohl Sicherheitsbarrieren bekannt sind, die diese Ereignisse vermutlich verhindern würden. Versicherte verlangen im Übrigen, dass diese Fälle aktiv bearbeitet werden. Dass Menschen Fehler machen, lässt sich leider nicht immer vermeiden. Erst wenn wir diese Fälle dokumentieren, können wir sie auswerten und unser Lehren ziehen. Gesundheitspolitisch fordert die TK, wie auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, Stefan Schwartze, schon lange ein "Never Event Register". Ich halte dies für unverzichtbar. Fehler sind unvermeidlich, nicht daraus zu lernen, ist unverantwortlich.
Eine weitere Baustelle besteht in der transparenten Darstellung der Patientensicherheits-Aktivitäten in allen Einrichtungen. Diese Transparenz ist eine Voraussetzung, um Synergien zu schaffen und daher dringend notwendig. Im TK-Transparenzbericht berichten wir schon immer über unsere Aktivitäten im Bereich der Patientensicherheit. Es ist gut, dass andere Kassen nun folgen werden.
TK: Wie müssen aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte zur Verbesserung der Behandlungssicherheit aussehen?
Müller: Wir alle müssen Haltung zeigen und uns viel stärker zum Thema bekennen: Erforderlich ist ein Ausbau der Sicherheitskultur in der Gesundheitsversorgung. Zentral ist die Koordination der existierenden Einzelmaßnahmen - das vorher genannte "Never Event Register" ist nur ein Element zum Ausbau der Patientensicherheit. Wir sprechen von einer Sicherheitskultur, in der diese Synthese von verschiedenen Maßnahmen erfolgt. Die notwendigen Maßnahmen zum Ausbau der Patientensicherheit sind bekannt und gut beschrieben. Auf dem globalen Ministertreffen zum Thema Patientensicherheit 2023 in Montreux wurde das illustrativ so ausgedrückt: "Das Drehbuch ist bekannt, wir müssen den Film nun liefern". Dazu gehört die breite Beteiligung aller Einrichtungen, die Verantwortung für die Gestaltung der Versorgung tragen. Hier darf sich niemand wegducken und etwa behaupten, Patientensicherheit sei nur eine Verpflichtung von Kliniken. Alle müssen Haltung zeigen und Bekenntnisse zur Patientensicherheit ablegen. Ich würde etwa ein Leitbild Patientensicherheit in allen Einrichtungen für ein starkes Signal halten. Anderseits lässt sich daran auch erkennen: Ohne Leitbild ist es nicht weit her mit dem Bekenntnis zur Patientensicherheit.
Was Patientinnen und Patienten selbst für Ihre sichere Versorgung beitragen können, zeigte das WHO- Jahresmotto 2023: "Die Stimme der Patientinnen stärken". Wie werden die Versorgung sicherer machen und damit eine Hauptursache für vermeidbare vorzeitige Todesfälle ausschalten, wenn wir zusammen die Sicherheitskultur in der Versorgung stärken. Dazu tragen alle TK-Aktivitäten bei. Wenn wir vermeidbare Schäden nicht vermeiden, können wir nicht von einer guten Gesundheitsversorgung sprechen.