Stuttgart, 2. September 2024. Die Meinung des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin ist klar: Die Gebärmutter muss entfernt werden; es braucht eine neue Hüfte; eine Operation am Rücken ist unumgänglich. Doch oft bleiben Zweifel. Ist der vorgeschlagene Eingriff wirklich notwendig? Um bei dieser Frage mehr Sicherheit zu erhalten, haben gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten seit 2019 die Möglichkeit, vor bestimmten planbaren Operationen eine zweite Meinung in einer Arztpraxis einzuholen. Die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte sind dafür besonders qualifiziert. Die Kosten tragen die gesetzlichen Krankenkassen. Eine Auswertung der Landesvertretung Baden-Württemberg der Techniker Krankenkasse (TK) zeigt allerdings, dass das Angebot noch relativ selten in Anspruch genommen wird.

In Baden-Württemberg bieten 200 Ärztinnen und Ärzte eine zweite Meinung an

Derzeit bieten in Baden-Württemberg insgesamt rund 200 Ärztinnen und Ärzte eine zweite Meinung in diesem sogenannten strukturierten Zweitmeinungsverfahren an, die meisten davon mit 55 bei der Spiegelung des Schultergelenks (Schulterarthroskopie) und 54 bei der Implantation eines künstlichen Kniegelenks. Für die Zweitmeinung vor dem Einsetzen einer neuen Hüfte - ein neues Angebot seit dem 1. Juli 2024 - stehen bislang sieben Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung.  

Die entsprechenden Praxen werden von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) zertifiziert und ausgewiesen. Sie können von Patientinnen und Patienten über das Portal www.arztsuche-bw.de ermittelt werden.

Rund 7000 Patientinnen und Patienten wurden über die Möglichkeit einer Zweitmeinung informiert

"Die Patientinnen und Patienten müssen vor einer Operation mindestens zehn Tage vor dem OP-Termin über das Zweitmeinungsangebot informiert werden", sagt Nadia Mussa, Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg. Doch das geschieht bislang noch zu selten. Wie eine Auswertung der TK im Südwesten zeigt, wurden in Baden-Württemberg im Jahr 2023 rund 7000 Patientinnen und Patienten von ärztlicher Seite über die Möglichkeit einer zweiten Meinung informiert, davon die meisten vor einem Kniegelenkersatz (rund 2000), einer Schulterarthroskopie (1800) und vor Eingriffen an der Wirbelsäule (1600).

Zweitmeinung kann auch per Videosprechstunde eingeholt werden

Dem stehen allerdings rund 150.000 durchgeführte Operationen mit potenziellem Zweitmeinungsangebot gegenüber. "Die gesetzlichen Möglichkeiten sollten genutzt werden, um unnötige Operationen und die damit verbundenen Gefahren so weit wie möglich zu vermeiden", so Mussa. Der Besuch in der Praxis ist dafür nicht unbedingt notwendig. "Die Zweitmeinung kann auch per Videosprechstunde eingeholt werden", erläutert die Leiterin der TK-Landesvertretung. Falls Patientinnen und Patienten sich für eine zweite Meinung entscheiden, stellt ihnen die erstbehandelnde Praxis auf Wunsch alle Befunde zusammen, die für die Zweitmeinung benötigt werden.

Rücken-Operationen oft unnötig

Wie wichtig es ist, eine zweite Meinung einzuholen, zeigt das speziell von der TK angebotene Zweitmeinungsverfahren bei Rücken- und Gelenkschmerzen. Dabei erhalten TK-versicherte Patientinnen und Patienten an ausgewählten Schmerzzentren eine fundierte zweite Meinung vor stationären operativen Eingriffen an der Wirbelsäule oder vor einer Gelenkersatzoperation an Schulter, Knie oder Hüfte. In Baden-Württemberg sind drei Schmerzzentren in Freiburg, Göppingen und Fellbach an dem Vertrag beteiligt. Das Ergebnis ist für Nadia Mussa eindeutig: "Über 80 Prozent der Patientinnen und Patienten, die eine Zweitmeinung zu einer anstehenden Rücken-Operation einholen, kommen auch im Jahr nach der Zweitmeinung ohne Operation aus."

Hinweis für die Redaktion

Ein Anspruch auf ein strukturiertes Zweitmeinungsverfahren besteht bei folgenden Eingriffen:

•    Mandeloperationen
•    Gebärmutterentfernungen
•    Arthroskopische Eingriffe an der Schulter
•    Amputation beim diabetischen Fußsyndrom
•    Implantationen einer Knie-Endoprothese
•    Eingriffe an der Wirbelsäule
•    Kathetergestützte elektrophysiologische Herzuntersuchungen und Ablationen (Verödungen) am Herzen
•    Implantation eines Herzschrittmachers, eines Defibrillators oder eines CRT- Aggregats
•    Gallenblasenentfernung (Cholezystektomie)
•    Einsatz, Wechsel oder Entfernung einer Total- oder Teilprothese am Hüftgelenk (seit 1. Juli 2024)
•    Aortenaneurysmen (ab 1. Oktober 2024)

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