Im Fokus: Notfallversorgungs-Reform
Interview aus Sachsen
Die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat ihre Empfehlungen für die Reform der Notfallversorgung kürzlich vorgelegt. In ihrer 4. Stellungnahme spricht sie sich für den flächendeckenden Aufbau integrierter Leitstellen (ILS) sowie integrierter Notfallzentren (INZ) an Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung aus.
Alexander Krauß, Leiter der TK-Landesvertretung Sachsen, hofft auf eine Reform, die eine schnellere und reibungslose Hilfe ermöglicht. Können die Reformvorschläge diese Aufgabe leisten und welche Auswirkungen sind zu erwarten? Was wäre aus dem Blickwinkel der TK noch zu ergänzen und wünschenswert?
TK: Halten Sie eine Reform der Notfallversorgung für notwendig?
Alexander Krauß: Der Bund, die Länder und insbesondere auch der Freistaat Sachsen beschäftigen sich seit Jahren mit der Thematik Notfallversorgung/Rettungsdienst. Dieses anspruchsvolle und notwendige Reformvorhaben ist geboten! Es sollte zeitnah angegangen werden.
Gemäß TK-Meinungspuls 2021 suchten 43 Prozent der Befragten mit Beschwerden außerhalb der Praxisöffnungszeiten die Notaufnahme auf, 15 Prozent riefen den Rettungsdienst, 12 Prozent wandten sich an eine Bereitschaftspraxis und 15 Prozent riefen die 116 117 an.
Der Anspruch auf eine schnelle, angemessene und qualitativ hochwertige Akut- und Notfallversorgung berührt ein grundlegendes Interesse. Ferner haben auch Arztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal einen legitimen Anspruch auf Verbesserung ihrer Arbeitssituation. Die strukturelle Überforderung der Notfalleinrichtungen muss durch sinnvolle Steuerung abgewendet werden.
TK: Wie stehen Sie zur Einbettung dieser Reform in den großen Rahmen einer Krankenhausreform?
Krauß: Es ist sinnvoll und zweckmäßig, die Notfallversorgung im Kontext der Krankenhausreform anzugehen. Insbesondere die Integrierten Notfallzentren sowie die Integrierten Leitstellen sind essenziell für eine schnellere und besser koordinierte Notfallversorgung. Mit Hilfe dieser zentralen Anlaufstellen wissen die Patientinnen und Patienten künftig sofort, wo Ihnen nach dieser ersten Instanz weitergeholfen wird. Die bislang oft schwierige Entscheidung in Notfällen - Arztpraxis oder Notaufnahme? - vereinfacht sich dadurch deutlich.
TK: Ist die Kombination der Rufnummern 112 und 116 117 sinnvoll?
Krauß: Auf jeden Fall! Da es sich bei der technischen Zusammenführung der Rufnummern 112 und 116117 in vielen Fällen nicht um eine örtliche Zusammenlegung handeln wird, muss die vorgesehene technische Verbindung räumlich getrennter Leitstellen essenzieller Bestandteil der Versorgung werden. Zusätzlich sollte das Konzept um eine Verbindung von Leitstellen über Ländergrenzen erweitert werden.
TK: Gibt es Bereiche, wo Ihnen Vorschläge zur grundsätzlichen Verbesserung der Notfallversorgung fehlen?
Krauß: Ja. Es wäre zweckmäßig, eine gemeinsame Kapazitätsplanung für den Rettungsdienst zu etablieren, indem die Integration der medizinischen Notfallversorgung der Rettungsdienste der Länder in die GKV vollzogen wird. Hierbei sollte das Mindestziel darin bestehen, Fehlanreize zu beseitigen und Rettungsfahrten auch dann durch die GKV zu vergüten, wenn kein Krankentransport stattfindet. Dieser Ansatz erfordert eine Kapazitäts-planung, auf welche die Krankenkassen Einfluss nehmen können.
Weiterhin bietet die softwaregestützte Terminbuchung aus der Leitstelle auch in reguläre Arztpraxen die Möglichkeit, Fehlinanspruchnahmen zu reduzieren. Dies ist grundsätzlich sinnvoll. Es sollte jedoch eine vorrangige Direktvermittlung zum zuletzt behandelnden Arzt vorgesehen werden, um das Angebot für Patienten hinreichend attraktiv zu gestalten.
TK: Welche Rolle werden Integrierte Notfallzentren (INZ) zukünftig spielen?
Krauß: Sie werden ein wichtiger Baustein für eine bedarfsgerechte Notfallversorgung sein und können grundsätzlich nur in Krankenhäusern eingerichtet werden, die den Kriterien der vom G-BA beschlossenen Notfallstufen entsprechen. Abweichend betrifft dies auch alle Kliniken des neuen Level In. Diese erfüllen die Basisstufe der Notfallversorgung und sind daher entsprechend ausgestattet.
TK: Hätten Sie Ergänzungen zur Ausgestaltung?
Krauß: Die Einbeziehung eines 24/7-MVZ sollte nur in Betracht gezogen werden, wenn anhand der Bevölkerungszahlen in Verbindung mit der räumlichen Erreichbarkeit aus Sicht der Krankenhausplanungsgremien ein Bedarf festgestellt wird.
Die Öffnungszeiten sollten sich nicht an regionalen Gegebenheiten, sondern bundesweit an den vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstzeiten orientieren. Ferner ist es wenig effizient, die KV-Notdienstpraxen zu normalen Sprechstundenzeiten bereits zu öffnen, da somit Parallelangebote geschaffen würden. Zudem sollte die GKV bei der Planung der Öffnungszeiten einbezogen werden.
TK: Ist die gesonderte Regelung für Kinder notwendig?
Krauß: Die gesonderte Regelung für Kinder (KINZ) ist grundsätzlich sinnvoll. Eine mögliche Doppelstruktur in Krankenhäusern, die sowohl Stufe 2/3 als auch das Modul der Notfallversorgung Kinder erfüllen, würde jedoch Ressourcen ineffizient organisieren. Hier sollten die Kinderärztinnen und -ärzte in die INZ-Struktur integriert werden.
TK: Welches Finanzierungsmodell kann der Reform zum gewünschten Erfolg verhelfen?
Krauß: Bei den grundsätzlichen Vorschlägen zur Finanzierung der INZ ist Variante 1 zu bevorzugen. Die Vergütung erfolgt innerhalb der bestehenden Systeme; dies ist kurzfristig realisierbar und setzt auf etablierte Strukturen auf. Eine Unterteilung in Vorhaltepauschale und leistungsabhängige Pauschale, differenziert nach Schweregrad, ist zweckmäßig. Die Umsetzung erfolgte dann kostenneutral, durch eine Umsteuerung in neue Fallpauschalen.
Der Vorschlag zur Investitionskostenunterstützung ist nachvollziehbar. Die Finanzierung ist allerdings Aufgabe des Landes und sollte in der angekündigten Reform zur Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser berücksichtigt werden.
Die beschriebenen Vorschläge zu Ausgleichszahlungen sind notwendig, allerdings muss noch festgelegt werden, an wen diese letztlich erfolgen sollen. Diese vorgeschlagene Regelung schließt eine aktuell bestehende Lücke in der G-BA-Notfallstufen-Richtlinie; aktuell erhalten Krankenhäuser, die sich von der Notfallversorgung abmelden, die gleichen Gelder wie Krankenhäuser, welche die Notfallversorgung sicherstellen.
TK: Wie fällt Ihr Fazit aus und wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten bezüglich der praktischen Umsetzung?
Krauß: Die Reformvorschläge der Regierungskommission greifen viele - auch von der TK - bereits länger bekannten Vorschläge auf und erweitern sie zumeist um zweckmäßige Elemente. Allerdings stehen die Anforderungen an die qualitative und quantitative Personalausstattung der neu zu organisierenden Notfalleinrichtungen in erheblichem Widerspruch zu den real vorhandenen ärztlichen und pflegerischen Personalressourcen.