"Die Digitalisierung ist in der Versorgung angekommen."
Artikel aus Sachsen-Anhalt
Gastbeitrag zum Thema digitale Gesundheit von Dr. Claudia Buntrock, die als Juniorprofessorin für Public Health und Versorgungsforschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg tätg ist.
Die Digitalisierung ist in der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland angekommen. So wurde in der letzten Fassung des Leitfadens Prävention des GKV-Spitzenverbandes aus dem Jahr 2021 das Kapitel "Digitale Gesundheitsförderung und Prävention" ergänzt. Somit spielt die Digitalisierung auch für die Gesundheitsförderung und Prävention eine immer größere Rolle. Dabei fokussiert sich die Gesundheitsförderung darauf, Gesundheitsressourcen und gesundheitliche Schutzfaktoren zu fördern und zu stärken, während die Prävention darauf abzielt, der Entstehung von Krankheiten vorzubeugen.
Digitale Prävention und Gesundheitsförderung
In der Vergangenheit haben sich digitale Präventionsmaßnahmen stark auf internetbasierte Angebote konzentriert. Im Bereich der psychischen Gesundheit haben solche Angebote gemein, dass sie an der Veränderung von kognitiven, emotionalen oder behavioralen Prozessen ansetzen. Die fortschreitende Digitalisierung bietet nun weitere Möglichkeiten, um unser Gesundheitsverhalten positiv zu beeinflussen, wie zum Beispiel mithilfe von Apps inklusive Wearables und Sensoren oder Virtual-Reality.
Chancen digitaler Angebote
Für die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer wie auch für die Gesundheitsversorgung im Allgemeinen bietet die Digitalisierung zahlreiche Chancen. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, begrenzten zeitlichen Ressourcen und auch Personen, die bisher aus Angst vor Stigmatisierung keine klassischen Vor-Ort-Angebote in Anspruch genommen haben, wird ein niedrigschwelliger Einstieg in die Versorgung geboten. Digitale Angebote bieten hierbei eine hohe Flexibilität in ihrer Gestaltung und Nutzung. So können Risikoprofile und Präferenzen bei der Modulauswahl berücksichtigt und die Bearbeitungsgeschwindigkeit selbst gewählt werden.
Darüber hinaus sind digitale Angebote leicht skalierbar und ermöglichen eine hohe Reichweite, auch in bisher unterversorgten Gebieten. Doch obwohl die Digitalisierung die Verbreitung von Präventionsangeboten erleichtert, garantiert diese nicht unbedingt die aktive und nachhaltige Nutzung solcher Maßnahmen. Daher ist es wichtig, dass digitale Angebote zu einer kontinuierlichen wie nachhaltigen Nutzung motivieren können.
Nutzen und Risiken
Bisherige Studien zeigen, dass internetbasierte Angebote gesundheitsförderliches Verhalten effektiv stärken können, auch wenn teilweise unklar ist, inwieweit diese zu nachhaltigen Verhaltensänderungen führen. Gleiches gilt für den Bereich der psychischen Gesundheit. Auch hier haben sich internetbasierte Präventionsmaßnahmen als wirksam erwiesen, Beschwerden zu reduzieren und auch manifesten Störungen vorzubeugen.
In den App Stores finden sich jedoch auch unterschiedlichste Varianten sogenannter Präventions-Apps, die uns als Stressbewältigungstraining, Achtsamkeitstraining oder als Aktivitätstagebuch dabei unterstützen sollen, unsere psychische Gesundheit zu fördern und zu stärken. Diese Ansätze sind grundsätzlich wünschenswert und haben auch das Potenzial, unser psychisches Wohlbefinden zu verbessern. Problematisch dabei ist, dass für viele dieser Angebote keine Belege für ihre Wirksamkeit vorliegen. Dies bedeutet, dass der Nutzen von Apps, die in den Stores angeboten werden, durchaus fraglich sein kann. Präventions-Apps sind beispielsweise in dem Moment unzureichend, wenn Krankheitssymptome zu Tage treten. Digitale Angebote sollten daher beim Auftreten von Symptomen oder einer akuten Krise immer eine weiterführende Hilfestellung für Betroffene bereithalten.
Leitfaden Prävention der GKV
In Deutschland sind vor dem Hintergrund der Vielfalt von digitalen Gesundheitsangeboten nur solche digitalen Präventions- beziehungsweise Gesundheitsförderungsangebote durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) förderfähig, die einen gesundheitlichen Nutzen gemäß den Handlungsfeldern des Leitfadens Prävention vorzuweisen haben. Dies betrifft Bewegungsgewohnheiten, Ernährung, Stress- und Ressourcenmanagement sowie Suchtmittelkonsum. Im Bereich der psychischen Gesundheit, im Besonderen für depressive Erkrankungen und Angststörungen, gilt hier die Förderung individueller Kompetenzen zur Stressbewältigung und Stärkung psychischer Gesundheitsressourcen sowie die Förderung von Bewegung als empfehlenswert. Die Überprüfung und Zertifizierung digitaler Präventionsangebote übernimmt die Zentrale Prüfstelle Prävention.
Versorgungsrelevanz digitaler Prävention ist ausbaufähig
Auch wenn digitale Angebote für die Prävention und Gesundheitsförderung insgesamt ein hohes Potenzial für die Versorgung mit sich bringen, ist ihre Versorgungsrelevanz derzeit noch gering. Durch das Präventionsgesetz wurden 2015 in das Sozialgesetzbuch (SGB V) Regelungen für eine ärztliche Präventionsempfehlung aufgenommen. Ein großer Anteil der Präventionsempfehlungen wird jedoch nicht für die Primärprävention, sondern für tertiärpräventive Leistungen ausgestellt. Eine konsequente Verbreitung von Präventionsempfehlungen könnte auch dazu führen, dass die Inanspruchnahme von digitalen Präventionsangeboten in der Bevölkerung erhöht wird.
Zur Person
Dr. Claudia Buntrock ist neu berufene Juniorprofessorin für Public Health und Versorgungsforschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Sie hat Gesundheitswissenschaften in Maastricht studiert und in ihrer Promotion an der Universität Lüneburg und der VU Universität Amsterdam eine webbasierte Intervention zur Prävention von Depression untersucht. Ihre Schwerpunkte liegen in der Evaluation digitaler Präventionsangebote und der Frage, für wen welches Angebot den größten Nutzen verspricht.