„Wir wollen Betroffenen die Vorteile der digitalen Möglichkeiten nahebringen.“
Interview aus Sachsen-Anhalt
Interview mit Prof. Daniel Sedding, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Halle (Saale), über das Projekt DigitHAL und dessen Nutzen für die Behandlung von Herzinsuffizienz.
TK: Herr Professor Sedding, wofür steht die Abkürzung DigitHAL?
Prof. Daniel Sedding: Die Abkürzung steht für Digitales Herzinsuffizienz-Netzwerk in der Region Halle (Saale). Ausgehend von der von mir geleiteten Klinik für Kardiologie als Teil des Mitteldeutschen Herzzentrums und der Arbeitsgruppe Versorgung im Krankenhaus von Prof. Patrick Jahn an der Universitätsmedizin Halle sollen nach und nach Partnereinrichtungen aus dem südlichen Sachsen-Anhalt in das Forschungsprojekt eingebunden werden.
TK: Was sind die Schwerpunkte und wer ist an dem Projekt beteiligt?
Prof. Sedding: Schwerpunkt ist die Verbesserung der Versorgung herzinsuffizienter Patientinnen und Patienten, indem diesen digitale Angebote bereitgestellt werden. Dazu gehören unter anderem eine Informationsplattform und eine digitale Bibliothek mit Informationen und Schulungsvideos, aber auch telefonische und telemedizinische Betreuung. Das Projekt wird innerhalb des Bündnisses Translationsregion für digitalisierte Gesundheitsversorgung (TDG) der Universitätsmedizin Halle umgesetzt und darüber vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Es fließen knapp 500.000 Euro in das Projekt DigitHAL.
TK: Woher kam die ursprüngliche Idee oder ein Leitmotiv für das Konzept?
Prof. Sedding: Die ursprüngliche Idee ist aus unserem wissenschaftlichen und klinischen Alltag entstanden. Sachsen-Anhalt gehört nach wie vor zu den Bundesländern, in denen die Sterblichkeit an Herzerkrankungen besonders hoch ist und wo besonders viele Menschen unter den Risikofaktoren leiden, die zur Herzinsuffizienz führen. Es ist also naheliegend, sich Lösungen zu überlegen, wie die betroffenen Patientinnen und Patienten besser versorgt werden können, um somit ihre Lebensqualität und insbesondere auch ihr Überleben zu verbessern.
Als Universitätsmedizin haben wir jedoch den Anspruch, dass diese Lösungen evidenzbasiert sind und für Betroffene wie auch für medizinisches Fachpersonal funktionieren. Zum einen schauen wir daher, welche Auswirkungen sich klinisch und in der Versorgung ergeben, zum anderen evaluieren wir, welche Bedürfnisse für die Betroffenen und Nutzenden erfüllt sein müssen hinsichtlich der Akzeptanz unseres digitalen Angebots.
TK: In die Zukunft gedacht, sehen Sie DigitHAL selbst als eine Inspirationsquelle aus Sachsen-Anhalt, welche gegebenenfalls über die Landesgrenzen hinweg ausstrahlt?
Prof. Sedding: Die Universitätsmedizin Halle nimmt im Bereich digitalisierte Gesundheitsversorgung bereits jetzt eine wichtige Position in Deutschland ein und forscht so eben auch in der Herz-Kreislauf-Medizin, einem Schwerpunktbereich der UMH, zu entsprechenden digitalen Lösungen. Wir gehen somit durchaus davon aus, dass unser Projekt nicht nur bei unseren kooperierenden Einrichtungen des Mitteldeutschen Herzzentrums, sondern auch darüber hinaus Interesse wecken und die gemeinsame intersektorale Patientenversorgung verbessern wird.
TK: Wie gestaltete sich die Suche nach Probanden für DigitHAL? Gab es Bedenken seitens der Testpersonen?
Prof. Sedding: Viele Neuerungen, gerade auch im digitalen Bereich, stoßen oftmals zunächst auf Skepsis, einfach, weil man sie nicht kennt und nicht einschätzen kann. Dann zu erläutern, welchen Mehrwert unser Projekt für den Alltag der Betroffenen haben wird und wie wichtig die Rückmeldungen der Betroffenen sind, um die Versorgung zu verbessern, sind wichtige Bausteine, um Erkrankte vom Nutzen dieses Projektes und einer Teilnahme zu überzeugen. In unsere Studie werden nun für den Anfang 50 Probanden mit einer diagnostizierten Herzschwäche eingeschlossen, mit denen gemeinsam patientenorientierte und damit akzeptierte Lösungen weiterentwickelt werden.
TK: Welches Potenzial bietet die Digitalisierung für die Versorgung von chronisch Kranken und Volkskrankheiten wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen? Wie schätzen Sie die Akzeptanz der Betroffenen hierzu ein?
Prof. Sedding: Wie schon angedeutet, bewegen wir uns natürlich in einem gewissen Spannungsfeld, gerade auch, wenn es um chronische Erkrankungen geht. Daher muss man deutlich sagen: Die klassische Beziehung zwischen ärztlichem Personal und erkrankter Person soll keinesfalls ersetzt, sondern ergänzt werden mit Lösungen, die im Sinne der Betroffenen sind. Neben den gesundheitlichen Einschränkungen, die für die Erkrankten eine Belastung sind und den Arztbesuch erschweren, spielen dabei auch die Entfernungen in einem eher ländlich geprägten Bundesland wie Sachsen-Anhalt eine Rolle. Der persönliche Kontakt ist mittels Telemedizin durchaus gegeben - und dies vor allem oft schneller, logistisch einfacher und zielorientierter im Hinblick auf die aktuellen Beschwerden.
Es ist ein Prozess, in den die Betroffenen eng eingebunden werden müssen, um ihnen die Vorteile der neuen digitalen Möglichkeiten nahezubringen und Vorurteile, Bedenken und Ängste abzubauen. Diese Entwicklung wird zudem mehr und mehr Fahrt aufnehmen, je länger er läuft. Denn die Akzeptanz digitaler Angebote ist - ohne es despektierlich zu meinen - auch eine Altersfrage. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Betroffenen aus einem Zustand der Passivität in einen Zustand der Aktivität und der Mitgestaltung zu versetzen, indem wir ihnen Optionen anbieten, sich selbst zu informieren und ihre Erfahrungen in den wissenschaftlichen Prozess einzubringen.
Zur Person
Prof. Daniel Sedding ist Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III (Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin). Er leitet am Universitätsklinikum Halle (Saale) die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und der Blutgefäße sowie die intensivmedizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Krankheitsbildern der gesamten Bandbreite der internistischen Medizin.