Sechs Fragen an die Frauendoppelspitze der Ärztekammer Niedersachsen
Interview aus Niedersachsen
Im Interview erläutern die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen Dr. med. Martina Wenker und die Vizepräsidentin Dr. med. Marion Charlotte Renneberg ihre Sicht auf die ärztliche Versorgung in Niedersachsen.
TK: Frau Dr. Wenker, Fr. Dr. Renneberg herzlichen Dank, dass Sie Zeit für ein Interview zum Thema Nachwuchsgewinnung für die ärztliche Versorgung finden. Wie bewerten Sie die Situation - droht Niedersachsen ein Ärztinnen- und Ärztemangel?
Dr. Martina Wenker: Ja - und das nicht erst seit gestern. Es ist bereits seit vielen Jahren abzusehen, dass nicht genügend Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden, um den steigenden Bedarf im stationären und ambulanten Bereich zu decken.
Dr. Marion Charlotte Renneberg: Vor allem auf dem Land wird das spürbar. Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die massive Probleme haben, Nachfolgerinnen und Nachfolger für ihre Praxen zu finden.
TK: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, um einen Mangel an Medizinerinnen und Medizinern zu vermeiden?
Dr. Wenker: Der zeitliche Versatz stellt ein großes Problem dar. In Niedersachsen wurde die Anzahl von Studienplätzen in der Humanmedizin bereits erhöht, aber bis diese "zusätzlichen" Kolleginnen und Kollegen in den Beruf starten können, vergehen noch gut zehn Jahre. Genau in dieser Zeit wird es aber einen deutlichen Anstieg bei den Verrentungen geben, da jetzt die Ärztinnen und Ärzte aus der sogenannten Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand gehen.
Dr. Renneberg: Ebenfalls ein Problem ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Damit der Arztberuf auch für die jungen Menschen attraktiv ist, muss die Work-Life-Balance stimmen. Dazu gehört - gerade auch auf dem Land - eine gute und nahegelegene Kinderbetreuung sowie Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten. Das Einkommen und die Arbeitszeiten spielen natürlich ebenfalls eine große Rolle.
Dr. Wenker: Genau, das Gesamtpaket muss einfach stimmen: Für die neue Generation von Ärztinnen und Ärzten müssen wir uns stärker an deren Bedürfnissen orientieren. Sowohl in der Niederlassung als auch im Angestelltenverhältnis - sei es in einem MVZ oder einem Krankenhaus.
TK: Welche Anstrengungen sind staatlicherseits notwendig, um eine bedarfsdeckende Nachwuchsgewinnung mit Medizinerinnen und Medizinerinnen zu gewährleisten. Wo sehen Sie die wichtigsten Ansatzpunkte in der niedersächsischen Landespolitik und wo ist der Bund gefordert?
Dr. Wenker: Die Landespolitik muss ganz klar endlich den Worten Taten folgen lassen und die Studienplatzkapazitäten an den Universitäten in Niedersachsen ausbauen. Das ist langfristig die einzige Möglichkeit, um dem Ärztemangel grundsätzlich entgegenzuwirken. Die ersten Schritte sind bereits gemacht, aber die Kapazitäten an den Universitäten sind bei weitem noch nicht ausreichend. In Niedersachsen haben wir nur einen Studienplatz der Humanmedizin pro 10.500 Einwohner - in Baden-Württemberg ist es zum Beispiel einer pro 6.500 Einwohner.
TK: Welche Anstrengungen unternimmt die ÄKN, um genügend Ärztinnen und Ärze für die Versorgung zu gewinnen?
Dr. Renneberg: Die Ärztekammer war zum Beispiel Teil der Enquetekommission im niedersächsischen Landtag zur "Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen". Dort haben wir auch über den demografischen Wandel und die damit zusammenhängenden Herausforderungen gesprochen wie beispielsweise einen höheren Bedarf an Pflege und medizinischer Versorgung aufgrund einer älter werdenden Gesellschaft bei gleichzeitigem Fachkräfte- und Nachwuchsmangel.
Dr. Wenker: Wir haben auch ganz konkret das Gespräch mit dem niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler, gesucht, um gemeinsam einen Weg zu finden, wie wir die Anzahl der Medizinstudienplätze in Niedersachsen deutlich erhöhen können.
TK: Gibt es in der Ausbildung selbst Potenziale zur Verbesserung?
Dr. Wenker: Das Medizinstudium in Deutschland ist eines der besten und anspruchsvollsten auf der Welt und immer auf dem aktuellsten Stand der Forschung. Was man noch besser machen könnte, wäre der stärkere Bezug zu primär allgemeinärztlichen Themen.
Dr. Renneberg: So ist es, Martina! Hilfreich wäre es außerdem, wenn bereits im Studium betriebswirtschaftliche Aspekte wie zum Beispiel Praxisführung und Personalverwaltung integriert wären. Auch die Arzt-Patienten-Kommunikation spielt eine große Rolle, das ist inzwischen aber auch schon in den meisten Curricula inbegriffen.
TK: Kann die Digitalisierung bei der Gewinnung von ausreichend Ärztinnen und Ärzten zu helfen?
Dr. Wenker: Wenn die Digitalisierung die sektorenübergreifende Versorgung verbessert, eine stärkere Vernetzung fördert und kollegialen Austausch ermöglicht - dann ja!
Dr. Renneberg: Wichtig ist, dass nicht noch mehr bürokratische Hürden aufgebaut werden. Digitale Anwendungen können uns in der täglichen Arbeit unterstützen und davon profitiert auch der ärztliche Nachwuchs.