Von der Enquetekommission in die Praxis - Pläne der Landesregierung
Interview aus Niedersachsen
Die Enquetekommission "Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen - für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung" wurde auf Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU (Drs. 18/2012) vom Niedersächsischen Landtag am 10. Dezember 2018 eingesetzt.
Am 22. Februar 2021 hat die Enquetekommission ihren Abschlussbericht (Drs. 18/8650) vorgelegt, der ein differenziertes Bild bestehender Problemlagen und Lösungsansätze im Gestaltungs- und Ermessensbereich des Landes Niedersachsen und der niedersächsischen Kommunen sowie der landesunmittelbaren Leistungserbringer und Krankenkassen aufzeigt.
Fünf Fragen an Heiger Scholz, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
TK: Wo sehen Sie als Landesregierung den dringendsten Handlungsbedarf?
Heiger Scholz: Zunächst möchte ich der Enquetekommission noch einmal für ihre wichtige Arbeit danken. Der Bericht zeigt, dass wir in Niedersachsen insgesamt über eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung verfügen. Durch die Pandemie wurden alle Versorgungssysteme einem Härtetest unterzogen. Dass wir bis heute im Vergleich zu anderen Ländern verhältnismäßig gut durch diese Krise gekommen sind, ist vor allem dem außerordentlichen Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gesundheitseinrichtungen zu verdanken.
Der Bericht zeigt, dass wir in Niedersachsen insgesamt über eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung verfügen.
Landesregierung und Enquetekommission ist sich einig, dass wir an der ein oder anderen Stellschraube drehen müssen, um unser Gesundheitssystem zukunftsfähig zu machen. Dabei sind aus meiner Sicht insbesondere drei Bereiche zu nennen:
- die Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum,
- die Behebung des Fachkräftemangels und
- die Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft.
Die Landesregierung hat bereits eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wir werden aber, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und angesichts der in der Pandemie gewonnenen Erkenntnisse, weitere innovative Konzepte benötigen. Corona hat uns gezeigt, dass zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung noch "Luft nach oben" ist.
Für 2022 möchte ich vor allem zwei Gesetzesvorhaben hervorheben, die Einführung einer Landarztquote sowie die Neufassung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes.
Ein weiteres wichtiges Thema ist für mich, lokale Lösungen in der Gesundheitsversorgung weiter voranzubringen. In Niedersachsen haben wir viele gute Erfahrungen mit dem regionalen Modell der Gesundheitsregionen gesammelt. Jede Region ist unterschiedlich, sei es in ihrer Infrastruktur oder in ihren Sozialräumen. Individuelle Versorgungskonzepte, die den unterschiedlichen Bedingungen vor Ort Rechnung tragen, werden weiterhin einen hohen Stellenwert haben.
TK: Welche konkreten Gesetzgebungen sind geplant?
Scholz: Mit der gerade in Kraft getretenen Novelle des Niedersächsischen Pflegegesetzes haben wir bereits ein wichtiges Vorhaben auf den Weg gebracht. Die Novelle sieht Maßnahmen für eine bessere Entlohnung von Pflegekräften ebenso vor, wie die Einrichtung einer Beschwerdestelle und die Weiterentwicklung der Pflegeberichterstattung.
Für 2022 möchte ich vor allem zwei Gesetzesvorhaben hervorheben, die Einführung einer Landarztquote sowie die Neufassung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes. Bei letzterem geht es auch und gerade darum, die Entschließung des Niedersächsischen Landtages "Qualitativ hochwertige und wohnortnahe Krankenhausversorgung auch in Zukunft sicherstellen - niedersächsische Krankenhauslandschaft weiterentwickeln" umzusetzen.
Langfristig werden wir im Bereich der Digitalisierung und der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit zusätzliche Wege beschreiten müssen.
TK: Regionale Gesundheitszentren nehmen in der gesundheitspolitischen Diskussion immer mehr Raum ein. Welche Chancen auf Umsetzung sehen Sie?
Scholz: Nicht nur im Bericht der Enquetekommission werden Regionale Gesundheitszentren (kurz RGZ) empfohlen, auch die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag den Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren festgeschrieben. Die Landesregierung begrüßt diese Entwicklung. In einem Flächenland wie Niedersachsen sind solche interdisziplinären, sektorenübergreifenden Kooperationsformen, die ambulante und stationäre Einrichtungen unter einem Dach anbieten, eine wichtige neue Versorgungsform. Im Doppelhaushalt 2022/2023 sind bereits zwei Millionen Euro pro Jahr festgeschrieben, um den Aufbau solcher Zentren zu fördern. Erste Initiativbewerbungen liegen bereits vor. Aus Sicht der Landesregierung ist es zudem ein wichtiger Schritt, dass der Bund angekündigt hat, diese Strukturen durch spezifische Vergütungsstrukturen zu fördern.
TK: In Niedersachsen gibt es eine lange Erfahrung mit den Schwierigkeiten, krankenhausplanerische Instrumente umzusetzen. Welche Hebel muss man aus Ihrer Sicht in Bewegung setzen, um dies zu verändern?
Scholz: Wir werden deutlich mehr Geld als bisher in die Hand nehmen müssen. Niedersachsen hat die Fördermittel bereits um 30 Millionen Euro erhöht, aber es zeichnet sich ab, dass die Länder diese wichtige Aufgabe nicht ohne die Hilfe des Bundes bewältigen können.
Zudem brauchen wir schlankere Entscheidungsprozesse. Im Bundesrecht ist geregelt, dass mit den unmittelbar an der Krankenhausversorgung Beteiligten einvernehmliche Regelungen bei der Krankenhausplanung und der Aufstellung des Investitionsprogrammes anzustreben sind. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass es manchmal schwierig ist, die gewünschte Einvernehmlichkeit zu erreichen, dann können sich Entscheidungen "hinziehen". Der Entwurf des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes sieht daher Bestimmungen vor, die zu einer Beschleunigung der Entscheidungsprozesse beitragen.
Darüber hinaus sollen die Befugnisse des Sozial- und Gesundheitsministeriums als Planungsbehörde des Landes ausgeweitet werden. Auch dafür gibt es gute Gründe. Wir brauchen rechtliche Möglichkeiten, um Krankenhäuser, die nicht mehr leistungsfähig sind und bzw. oder ihren Versorgungsauftrag nicht erfüllen, zeitnah aus dem Krankenhausplan herausnehmen zu können. Das geschieht auch und gerade im Interesse der Menschen in einer betroffenen Region.
TK: Wie sehen Sie die medizinische Versorgung in Niedersachsen in fünf Jahren? Was hat sich bis dahin verändert?
Scholz: Es gibt einen schönen Satz, der Karl Valentin zugeschrieben wird: "Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen". Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell eine unerwartete Entwicklung alle Pläne "auf den Kopf stellen kann". Insgesamt bin ich der Meinung, und der Bericht der Enquetekommission hat dies bestätigt, dass wir auf einem guten Weg sind.
Langfristig werden wir im Bereich der Digitalisierung und der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit zusätzliche Wege beschreiten müssen. Hier gibt es bereits gute Ansätze. Dabei muss sichergestellt sein, dass wir die Beschäftigten im Gesundheitswesen mitnehmen. Das gelingt, wenn wir gemeinsam mit den Organisationen der Selbstverwaltung, für gute Arbeitsbedingungen eintreten.
Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, dass auch in Zukunft alle Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen in Niedersachsen so engagiert und motiviert zusammenarbeiten. Wir sind vielleicht nicht immer einer Meinung, aber oft erwachsen gute Ideen gerade aus kontroversen Diskussionen . Das Gesamtziel einer zukunftsfesten, sektorenübergreifenden Versorgung werden wir nur gemeinsam erreichen.
Zur Person
Heiger Scholz ist seit 2017 Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung. Zuvor war er viele Jahre Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages. In der Corona-Pandemie hat er den Krisenstab der Landesregierung geleitet.