"Datenschutz muss Nutzung von Gesundheitsdaten für eine bessere Versorgung und Forschung ermöglichen"
Interview aus Hessen
Hessens Digitalisierungsministerin Prof. Kristina Sinemus beschreibt in einem Gastbeitrag die Ziele der Hessischen Landesregierung in Sachen eHealth. Vor allem im Bereich Künstliche Intelligenz und bei der Nutzung von Daten sieht sie viele Potentiale.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll für eine gute Versorgung, mehr Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben sorgen - und dies in ganz Hessen. So lautet eines der Ziele der hessischen Digitalstrategie. Gleich vorweg: Digitale Technologien führen an vielen Stellen im Alltag zu deutlichen Erleichterungen, auch im Gesundheitsbereich. Dennoch kann die Digitalisierung eines nie ersetzen: den zwischenmenschlichen Kontakt. Daher ist es unsere Vision, die Bürgerinnen und Bürger sowie die Akteurinnen und Akteure des Gesundheitswesens dort zu unterstützen, wo Digitalisierung tatsächlich hilft und entlastet, schützt und heilt. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise und für verschiedene Zielgruppen in der Medizin.
Grundvoraussetzung ist eine gute digitale Infrastruktur.
Grundvoraussetzung ist eine gute digitale Infrastruktur, um zum Beispiel eine umfassende medizinische Versorgung auch im ländlichen Raum mittels Videosprechstunden oder einen Live-Stream in Echtzeit an eine Klinik von einer notärztlichen Untersuchung am Unfallort mittels 5G-Technik zu ermöglichen. Hessen steht hier bundesweit sehr gut da. So waren Stand Mitte 2021 bereits 96,6 Prozent der hessischen Haushalte mit mindestens 50 Mbit/s versorgt. Zudem sind bereits 91 Prozent der hessischen Plankrankenhäuser mit einem gigabitfähigen Anschluss ausgestattet. Auch der Mobilfunkausbau geht zügig voran, gerade bei der Verdichtung des 5G-Netzes.
Digital-Kompetenz ist wichtig
Ebenso sind für die Teilhabe digitale Kompetenzen notwendig. Gemeinsam mit der Hessischen Staatskanzlei und dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration habe ich mit meinem Geschäftsbereich als Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung dafür unter dem Label "Digital im Alter" zahlreiche Angebote geschaffen. So haben wir bereits mehr als 100 sogenannte Di@-Lotsinnen und -Lotsen ausgebildet, die Seniorinnen und Senioren den Umgang mit der Technik beibringen und den Einstieg in neue Angebote erleichtern. Auch das "FSJ - Hessen digital" (Hinweis der Redaktion: FSJ = Freiwilliges Soziales Jahr) verfolgt dieses Ziel. So wurden FSJler gezielt in stationären Pflegeeinrichtungen eingesetzt, um dort sowohl das Personal als auch die Bewohnerinnen und Bewohner zu unterstützen und von digitalen Angeboten profitieren zu lassen. Damit auch hier die entsprechende Hardware zur Verfügung steht, um unter anderem auch von Videosprechstunden, Demenztraining und ähnlichem profitieren zu können, haben wir bereits 2020 10.000 Tablets in stationäre Alten-, Pflege- und Behinderteneinrichtungen gebracht. Davon erhielten Hospize 500 Tablets. Allein für diese Programme wurden von 2020 bis 2022 weit mehr als 1,2 Millionen Euro ausgegeben.
Digitalisierung betrifft alle Ressorts
Die genannte Zusammenarbeit mit anderen Ministerien zeigt, dass die Digitalisierung alle Lebensbereiche betrifft und daher nicht trennscharf nach Ressorts erfolgen kann. In Hessen wurde daher bundesweit einmalig 2019 in der Landesregierung ein eigener Geschäftsbereich für Digitale Strategie und Entwicklung geschaffen. Als Ministerin koordiniere und bündele ich hier alle Digital-Aktivitäten der Hessischen Landesregierung und steuere das Digitalbudget von 1,2 Milliarden Euro.
Als Ministerin koordiniere und bündele ich alle Digital-Aktivitäten der Hessischen Landesregierung.
Mit der Neugründung des Geschäftsbereichs wurden auch einige Zuständigkeiten innerhalb der Landesregierung neu geordnet. So ist das 2018 von der Hessischen Landesregierung gegründete Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen (KTE) 2021 vom Sozialministerium ins Digitale gewechselt. Das an der Technischen Hochschule Mittelhessen angesiedelte Zentrum unterstützt niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und deren Teams, um Abläufe und Anwendungen zu digitalisieren. Ebenso stehen Multiplikatoren im Fokus. So kann man auf der Webseite individuelle Beratungstermine für die eigene Praxis buchen oder als Stadt-/Kreisverwaltung gemeinsam mit dem KTE eine Abfrage des aktuellen Fortbildungsbedarfs in den Arztpraxen starten. Zusätzlich steht eine sogenannte Digi-Trainingsplattform zur Verfügung, über die Ärztinnen und Ärzte nicht nur Beratung erhalten, sondern auf einer sicheren Serverstruktur auch selbst neue Soft- und Hardware testen oder Praxisabläufe mit telemedizinischer Sprechstunde kostenfrei ausprobieren können.
Enge Zusammenarbeit im Bereich Künstliche Intelligenz
Um eine Schnittstelle zwischen Forschungsprojekten, niedergelassenen Akteuren und beteiligten Patientengruppen zu schaffen, hat das KTE Hessen im August eine Absichtserklärung zur strategischen und engen Zusammenarbeit mit dem Forschungscampus Mittelhessen unterzeichnet. In den ersten beiden vereinbarten Projekten geht es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Versorgung von Parkinsonerkrankten sowie um Atemwegserkrankungen von Kindern. Das KTE Hessen begleitet in diesem Kontext den Einsatz der neuen Technologie in den relevanten Arztpraxen sowie bei den entsprechenden Patientengruppen.
Ein weiteres Beispiel für die vielfältigen Unterstützungsangebote der Hessischen Landesregierung ist die Förderung von ambulanten Pflegediensten, Geburtshäusern, freiberuflich tätigen Hebammen und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten oder Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit bis zu 6.000 Euro bei der Anschaffung von Hard- und Software. Dies soll Leistungserbringerinnen und -erbringern die Möglichkeit geben, sich zukunftssicher aufzustellen. Diese Förderung des Hessischen Sozialministeriums wird durch meinen Geschäftsbereich in diesem Jahr mit 1,1 Millionen Euro aus dem Digitalhaushalt unterstützt. Bewerbungen sind ab 12. Oktober für 48 Stunden online bei der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen möglich.
Mit dem Förderprogramm Distr@l unterstützen wir innovative anwendungsbezogene Digitalisierungsvorhaben.
25 Prozent des Distr@l-Fördertopfes gehen an eHealth-Projekte
Mit dem Förderprogramm Distr@l unterstützen wir innovative anwendungsbezogene Digitalisierungsvorhaben - aktuell 82 Projekte mit einem Fördervolumen von mehr als 25 Millionen Euro. Darunter befinden sich 16 E-Health-Projekte mit einem Fördervolumen von rund sechs Millionen Euro. Das bedeutet, dass derzeit knapp 20 Prozent aller Distr@l-Projekte und knapp 25 Prozent des bisher bewilligten Fördervolumens dem E-Health-Bereich in Hessen zugutekommen. Ein ganz frisch gefördertes Projekt heißt COMTRAC-HIV, eine Communication und Tracing App für HIV-Infizierte, die an der Goethe-Universität und dem Universitätsklinikum Frankfurt entwickelt wird und rund 890.000 Euro aus Distr@l erhält. Die deutschlandweit einmalige Gesundheits-App soll die medizinische Betreuung von HIV-Patienten maßgeblich verbessern und perspektivisch auch von weiteren chronisch Erkrankten. Die App bedient sich in ihrer Funktion unter anderem KI.
Beim Thema Gesundheit erleben die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar den Nutzen von KI.
Beim Thema Gesundheit erleben die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar den Nutzen von KI. Sie hilft, MRT-Bilder auszuwerten und Arzneien zu entwickeln. Sie unterstützt bei der Diagnose und der Versorgung von Patientinnen und Patienten. Künstliche Intelligenz entlastet das medizinische Personal und ermöglicht neue Behandlungsmethoden. "KI trifft Gesundheit" ist daher eines unserer drei Innovationsfelder, die einen wichtigen Teil unserer im Frühjahr 2022 veröffentlichten Hessischen KI-Zukunftsagenda bilden. Die KI-Zukunftsagenda ist eine Teilstrategie der hessischen Digitalstrategie, mit der wir das Ziel verfolgen, verantwortungsbewusste KI zum Wohle der Menschen zu gestalten. Zu einem wichtigen Kristallisationspunkt für "KI made in Hessen" entwickelt sich das Hessische Zentrum für Künstliche Intelligenz "hessian.AI", dessen Aufbauphase von 2020 bis 2024 mit 38 Millionen Euro aus Landesmitteln unterstützt wird. Das Zentrum bietet Spitzenforschung, anwendungsorientierte Forschung, Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft sowie Nachwuchsförderung in allen Themenbereichen.
Gesundheitsdaten sind Grundlage für KI
Gerade persönliche Daten sind ein höchst schützenswertes Gut.
Eine wichtige Grundlage für den erfolgreichen Einsatz von KI sind Gesundheitsdaten. Das Land Hessen bringt sich engagiert in dieses Themenfeld auf den verschiedenen Ebenen ein. Gerade persönliche Daten sind ein höchst schützenswertes Gut. Aber insbesondere im Gesundheitswesen bedeuten mehr Daten häufig auch mehr Lebens- und Gesundheitsschutz. Das heißt aus meiner Sicht, dass Datenschutz vor allem die sichere Nutzung von Gesundheitsdaten für eine bessere Versorgung sowie Forschung ermöglichen muss - für die Behandlung von Patientinnen und Patienten, aber auch für die Prävention und den Schutz aller. Hier gilt es in der kommenden Zeit eine gute Balance zu finden. Letztlich möchte keiner Digitalisierung und die damit verbundenen Möglichkeiten der Datenerhebung und -verwendung als Selbstzweck.
Egal ob Gesundheitsdaten, digitale Infrastruktur, Gesundheits-Apps oder innovative Telemedizin. Als Hessische Landesregierung betrachten wir die Digitalisierung im Gesundheitswesen mit all ihren Facetten. Die hier genannten Beispiele bilden nur einen Ausschnitt ab. Allen gemeinsam ist, dass wir die Potenziale der Digitalisierung im Gesundheitssektor heben und für eine bessere medizinische Versorgung sorgen wollen.
Zur Person
Seit Januar 2019 ist Prof. Dr. Kristina Sinemus Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung. Zuvor war sie Geschäftsführerin der von ihr gegründeten Genius GmbH, eine auf Wissenschaftskommunikation spezialisierte Beratungsagentur. Zudem war sie bis zu ihrem Amtsantritt seit 2014 Präsidentin der IHK Darmstadt Rhein Main Neckar und hielt einen Lehrstuhl für Public Affairs an der Quadriga Universität in Berlin inne.