Eine Digitalstrategie für das Gesundheitswesen
Artikel aus Hessen
Die Digitalisierung hält für viele Herausforderungen des hessischen Gesundheitswesens Lösungsansätze bereit. Die folgenden zehn Thesen sollen als Denkanstöße dienen.
Am 8. Oktober haben die Hessinnen und Hessen einen neuen Landtag gewählt. Eine aktuelle und repräsentative forsa-Befragung im Auftrag der TK-Landesvertretung im Vorfeld der Wahl zeigte: Bei 90 Prozent der Befragten spielte dieses Mal die Gesundheits- und Sozialpolitik bei der Wahlentscheidung eine wichtige oder sogar sehr wichtige Rolle. Mit der derzeitigen Gesundheitsversorgung in Hessen zeigten sich neun Prozent der Befragten "vollkommen zufrieden", 20 Prozent "sehr zufrieden" und 48 Prozent "zufrieden". Das sind hohe Werte, auf die das hessische Gesundheitswesen stolz sein kann. Darauf ausruhen können wir uns jedoch nicht, denn das hessische Gesundheitswesen steht vor enormen Herausforderungen. Die kommenden Jahre werden geprägt sein durch eine immer ältere und kränker werdende Gesellschaft, einen Fachkräftemangel im medizinischen und pflegerischen Bereich sowie einen immer enger werdenden finanziellen Rahmen.
Doch die gute Nachricht ist: Die Digitalisierung hält Lösungsansätze für viele der Herausforderungen bereit. Es gilt nun, auch in Hessen diese Chancen zu ergreifen. Damit das gelingt, wird eine umfassende und koordinierte eHealth-Strategie der Landesregierung benötigt. Die elektronische Patientenakte (ePA) muss dabei als das entscheidende Kernstück des zukünftigen Gesundheitswesens akzeptiert und verstanden werden. 78 Prozent der Menschen in Hessen haben vor, ihre ePA künftig aktiv zu nutzen. Eine Frage der Jugend ist das nicht: Denn auch 70 Prozent der Über-60-Jährigen plant, ihre Akte zu benutzen. Wir alle sollten das als klaren Auftrag betrachten: In Hessen können und müssen wir ein digitalisierungsfreundliches Klima schaffen, damit die ePA zur Erfolgsgeschichte wird. Alle im hessischen Gesundheitswesen sollten nicht nur aus gesetzlicher Verpflichtung, sondern aus persönlicher Überzeugung daran mitwirken.
Das Land kann und muss dazu beitragen, dass Blockadehaltungen in den Köpfen der Beteiligten verschwinden und Offenheit für eine digital gestützte sektorenübergreifende Zusammenarbeit entsteht. Bislang bleibt es in Hessen oft noch dem Zufall überlassen, ob, wo und in welchen Bereichen ein innovatives Projekt oder Vernetzung entsteht. Vieles ist abhängig von einzelnen engagierten Menschen. Auch die finanzielle Förderung von digitalen Ansätzen durch das Land beschränkt sich leider noch viel zu häufig auf regionale Insellösungen. Eine Gesamtstrategie und eine genaue Definition von Zielen, wohin die Landesregierung in Sachen eHealth steuern will, fehlt bislang. Die neue Legislaturperiode sollte als Startschuss für ein stärker koordiniertes Vorgehen betrachtet werden. Gestalten wir gemeinsam ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen, anstatt an ohnehin nicht mehr belastbaren Strukturen der Vergangenheit festzuhalten. Die Rückendeckung der Bevölkerung hätte die Politik in jedem Fall dafür: 70 Prozent der Hessinnen und Hessen halten es für wichtig oder gar sehr wichtig, die Digitalisierung des Gesundheitswesens in den kommenden Jahren voranzubringen.
Die TK hat in diesem Zusammenhang zehn Thesen entwickelt, die als Denkanstöße dienen sollen:
Landesunmittelbare Institutionen zum Taktgeber der Digitalisierung machen
Damit die Digitalisierung des Gesundheitswesens gelingt, ist Kommunikation das entscheidende Schlüsselelement: Es mag banal klingen, aber für den Erfolg eines digitalen Projektes ist es enorm wichtig, dass alle direkt und indirekt Beteiligten von Anfang an einbezogen werden, sonst stoßen Projekte schnell auf Widerstände. Alle Betroffenen müssen möglichst frühzeitig an einen Tisch.
Das fördert zum einen Akzeptanz, zum anderen haben alle so die Chance, ihre Blickwinkel und ihre Anliegen in den Prozess einzubringen. Die einzelnen Player des Gesundheitswesens sind aber oft gleichzeitig auch Interessenvertreter, die ihre Anliegen und Vorstellungen stärker gewichten als das gemeinsame Ziel. Damit sich digitale Projekte durchsetzen, kann eine moderierende beziehungsweise koordinierende Stelle, die vermittelt und Projekte begleitet, deshalb förderlich sein. Diese Rolle könnte das Land übernehmen - als neutrale und von allen Beteiligten akzeptierte Stelle. In Hessen haben wir mit dem Kompetenzzentrum für Telemedizin und eHealth (KTE) der Landesregierung bereits eine Institution, die diese Aufgabe im Namen der Landesregierung übernehmen könnte. Das Zentrum befasst sich aktuell vor allem mit der Digitalisierung von Arztpraxen und unterstützt diese beispielsweise bei der Einführung von Videosprechstunden, der elektronischen Patientenakte oder Fragen zum Datenschutz. Das ist auch weiterhin sinnvoll. Dennoch könnte das Zentrum darüber hinaus weitere Aufgaben übernehmen und künftig eHealth-Projekte koordinieren.
Seit Januar 2023 ist Hessen zudem mit dem Hessischen Landesamt für Pflege und Gesundheit (HLfGP) um eine weitere Behörde reicher. Auch das neue Amt kann und muss dabei unterstützen, dass die Digitalisierung des hessischen Gesundheitswesens vorankommt. Es kann beispielsweise, gemeinsam mit dem KTE Einfluss auf die Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsfachberufen nehmen (dazu unten mehr). Laut Landesregierung soll das HLfGP die Arbeit der 24 Gesundheitsämter in den Landkreisen und kreisfreien Städten besser miteinander verzahnen. Auch das geht nicht ohne von Anfang an die Digitalisierung mitzudenken. Das HLfGP muss dafür sorgen, dass die Gesundheitsämter so schnell wie möglich mit einer landeseinheitlichen Software digital miteinander vernetzt werden.
Es gilt auch, regelmäßig digitale Austauschformate einzuführen, damit die betroffenen kommunalen Stellen voneinander und von den Expertinnen und Experten im HLfGP lernen können - vor allem im Bereich Prävention ist das von großer Wichtigkeit. Denn nicht alle Städte und Kommunen haben das nötige Personal und das Know-how, um in diesem wichtigen Bereich aus eigener Kraft innovativ zu sein.
Das HLfGP verfügt über eine Abteilung mit dem Namen "Datenverarbeitung im Gesundheitswesen". Die Mitarbeitenden dort haben die Aufgabe, Gesundheitsdaten zu erfassen, zu verarbeiten und für wissenschaftliche Auswertungen bereitzustellen. Das betrifft beispielsweise Daten aus dem Hessischen Krebsregister. In diesem Bereich steckt viel Potential: Die nächste große medizinische Revolution wird von der Analyse großer Datenmengen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) ausgehen. Durch KI-gestützte Auswertungen können unter anderem Diagnosen künftig schneller und präziser gestellt sowie Patientinnen und Patienten noch individueller behandelt werden. Damit alle diese Potentiale gehoben werden können, müssen bereits jetzt die Weichen dafür gestellt werden. Das HLfGP sollte deshalb eng dem Kompetenzzentrum für Telemedizin und eHealth (KTE) und mit dem von der Landesregierung ins Leben gerufenen Zentrum für Künstliche Intelligenz "HessianAI" zu-sammenarbeiten.
"HessianAI" hat explizit zum Ziel, KI-Grundlagenforschung mit Praxisbezug zu fördern. Beteiligt sind daran 13 hessische Hochschulen und 22 KI-Forschende - sowie von Landesseite das Digitalisierungs-, das Wissenschafts- sowie das Wirtschaftsministerium. Um die Wichtigkeit des Themas KI für die Gesundheitsversorgung zu verdeutlichen, muss dringend auch das Gesundheitsministerium ein Teil dieses Netzwerkes werden. Im Rahmen von "HessianAI" sollen in Hessen außerdem 20 zusätzliche KI-Professuren entstehen. Es ist absolut unabdingbar, dass in diesem Zusammenhang auch mehrere Professorinnen und Professoren zum Zuge kommen, deren Forschungsgebiet das Gesundheitswesen umfasst. Dieses künftige Einsatzgebiet von KI zu vernachlässigen, wäre fahrlässig.
Davon abgesehen ist es auch wenig sinnvoll, dass im Bereich KI mehrere Stellen parallel und gegebenenfalls sogar aneinander vorbei arbeiten. Stattdessen sollten alle Kompetenzen gebündelt werden. Ein Beispiel: Im Rahmen von "HessianAI" ist im März in Darmstadt ein neues deutschlandweit einzigartiges KI-Innovationslabor an den Start gegangen. Dort gibt es einen der 300 weltweit leistungsstärksten Super-Computer. Die Anlage soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Unternehmen und Start-ups aus allen Branchen bei der Entwicklung von KI-Anwendungen dienen. Das Gesundheitswesen darf dabei auf keinen Fall vergessen werden. Das KTE kann dabei unterstützen, dass auch Forschende aus dem Gesundheitsbereich Zugang zu der Anlage erhalten. Als ersten Einstieg könnte hier auf Grundlage der bereits vorhandenen Daten des Hessischen Krebsregisters, für das wiederum das Hessische Landesamt für Gesundheit und Pflege (HLfGP) zuständig ist, onkologische Forschung betrieben werden.
Die Hessinnen und Hessen stehen der Auswertung großer Datenmengen im Gesundheitswesen übrigens durchaus positiv gegenüber: 86 Prozent halten es zum Beispiel für wichtig oder gar sehr wichtig, dass künftig mit anonymisierten Daten aus der ePA medizinische Forschung betrieben wird. 85 Prozent der Befragten würden ihre anonymisierten Daten dafür sogar Universitäten und anderen öffentlichen Forschungsinstituten zur Verfügung stellen. 71 Prozent würden auch ihrer Krankenkasse für die Versorgungsforschung Zugriff auf ihre anonymisierten Daten geben. Privaten Forschungsinstituten, wie die der Pharmaindustrie, würde fast jede und jeder Zweite ihre beziehungsweise seine Daten zur Verfügung stellen.
Die Digitalisierung der hessischen Krankenhäuser koordiniert vorantreiben
Auch im Bereich der Krankenhäuser kann die Digitalisierung eine wichtige Rolle dabei spielen, bestehende Prozesse noch effizienter und zeitgemäßer zu gestalten. Der Bundesgesetzgeber hat mit dem Krankenhauszukunftsgesetz und dem darin verankerten Krankenhauszukunftsfonds bereits eine wichtige Weiche gestellt. Bislang macht sich jedoch jedes Krankenhaus, unabhängig von anderen Kliniken und losgelöst von anderen Sektoren, eigene Überlegungen, wie es sich digitaler aufstellen will. So besteht das Risiko, dass eine Fülle von Insellösungen entstehen. Das ist jedoch wenig sinnvoll. Es gilt stattdessen, übergreifender zu denken und der Heterogenität der IT-Infrastruktur entgegenzuwirken. Ziel muss sein, dass die Kliniken digitale Lösungen einführen, die sofort an die Telematikinfrastruktur angeschlossen werden können. Die Lösungen müssen zudem interoperabel sein, also die Möglichkeit bieten, dass sich die Kliniken mit den Systemen anderer Gesundheitsanbieter - wie der von anderen Krankenhäusern, Pflegeheimen, Apotheken oder Arzt-praxen - verbinden können. Nur dann sind Telekonsile und der Austausch von Informationen und Daten sektorenübergreifend möglich.
Die Krankenhäuser müssen in ihren Prozessen auch zwingend die elektronische Patientenakte mitdenken. Dort werden schon bald alle relevanten Daten über ihre Patientinnen und Patienten vorliegen - vom Überweisungsbrief über den Medikationsplan bis hin zu Röntgenbildern. So können sich die Krankenhäuser schon vor der Aufnahme der Patienten ein umfassendes Bild machen und die Behandlung daran anpassen. Gleichzeitig müssen auch die Krankenhäuser selbst künftig ihre Dokumente, wie Entlassbriefe und die Ergebnisse der von ihnen durchgeführten Untersuchungen, in die ePA ihrer Patientinnen und Patienten einstellen können.
Um all das stärker zu fördern, sollte das Land seine Investitionsfinanzierung künftig daran koppeln. Krankenhäuser, die sich digital mit anderen Playern des Gesundheitswesens vernetzen und zum Beispiel gemeinsame Online-Fallbesprechungen durchführen oder Kliniken, die bereits ein digitales Entlassmanagement eingeführt haben, sollten eine höhere jährliche Investitionspauschale vom Land erhalten als Kliniken, die sich in diesem Bereich noch nicht engagieren. Dazu müsste das Hessische Krankenhausgesetz entsprechend angepasst werden. Dort ist zum Beispiel bereits heute geregelt, dass die jährliche Investitionspauschale für Krankenhäuser, die sich organisatorisch zu Klinikverbünden zusammengeschlossen haben, zehn Prozent höher ist als die von Einzelkliniken. Diesen Hebel hat die Landesregierung also bereits in der Vergangenheit genutzt, um die Krankenhäuser zu gewünschten Veränderungen zu motivieren.
Das Land könnte darüber hinaus per Verordnung festschreiben, dass jedes hessische Krankenhaus zwingend einen oder eine Digitalisierungsbeauftragten/-beauftragte benennen muss. Dieser oder diese hat die Aufgabe, die Digitalisierung in seinem/ihrem jeweiligen Haus voranzubringen und dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration einmal jährlich einen entsprechenden Statusbericht vorzulegen. Gleichzeitig müssen sich diese Beauftragten zu einem gemeinsamen Netzwerk zusammenschließen. Sie sollen regelmäßig krankenhausübergreifend in den Austausch treten, Wissen teilen, voneinander lernen und Herausforderungen gemeinsam besprechen - zum Beispiel unter Moderation des Hessischen Kompetenzzentrums für Telemedizin und eHealth (KTE). Bei der konkreten Umsetzung dieses Konzeptes kann sich die Landesregierung an ihrer eigenen Patienten-sicherheitsverordnung aus dem Jahr 2019 orientieren. Darin ist festgelegt, dass jedes Krankenhaus eine Beauftragte/einen Beauftragten für Patientensicherheit benennen und Projekte in diesem Be-reich auf den Weg bringen muss. Einmal jährlich erstatten die Beauftragten dem Ministerium Bericht ab.
Darüber hinaus wäre denkbar, in Hessen eine Initiative nach Vorbild des Projektes "Smart Hospital NRW" auf den Weg zu bringen. Dort entwickeln - unter der Federführung und Förderung des Digitalisierungs- und Innovationsministeriums Nordrhein-Westfalen - das Fraunhofer-Institut gemeinsam mit der Universitätsmedizin Essen KI-basierte Anwendungen für Krankenhäuser - zum Beispiel Software zur intelligenten Erstellung und Verarbeitung medizinischer Dokumente oder Anwendungen, die durch eine smarte Gesundheitsdatenanalyse bei der Diagnosestellung unterstützen. Die Ergebnisse beziehungsweise Prototypen werden der Fachöffentlichkeit und anderen Krankenhäusern im Bundesland im Rahmen von Veranstaltungen mit Workshops oder Impulsvorträgen präsentiert. Gemeinsam wird anschließend diskutiert, wie sich das Erarbeitete im Krankenhausalltag anwenden und wie es sich auf andere Krankenhäuser, außerhalb der Universitätsmedizin, übertragen lässt. Auch in Hessen gibt es mit Frankfurt und Gießen-Marburg zwei Universitätsklinika und zahlreiche Forschungseinrichtungen und Universitäten, mit denen das Land eine ähnliche Initiative auf den Weg bringen könnte. Das Erarbeitete könnte dann über das KTE sowie die neu zu schaffenden Digitalisierungsbeauftragten der einzelnen Kliniken weiterentwickelt und in die Fläche gebracht werden.
Die Chancen der Digitalisierung nutzen, um die ambulante Versorgung der Hessinnen und Hessen zu sichern
Die Vorstellung, sich in eigener Praxis und noch dazu auf dem Land niederzulassen, wird für den ärztlichen Nachwuchs zunehmend unattraktiv. Wir müssen akzeptieren, dass sich die Vorstellungen und Wünsche der neuen Ärztegeneration grundlegend verändert haben. Statt nur zu versuchen, durch Anreize an alten Strukturen festzuhalten, sollte das hessische Gesundheitswesen neue moderne Strukturen entwickeln und ausprobieren. Hessen sollte vorangehen und beispielsweise das Thema Bedarfsplanung völlig neu denken. Im Rahmen eines Projektes könnte zum Beispiel eine Art "digitale Niederlassung" ausprobiert werden. Ärztinnen und Ärzte, die sich physisch in gut versorgten städtischen Gebieten befinden, könnten Patientinnen und Patienten in unterversorgten ländlichen Regionen telemedizinisch mitbetreuen.
Es gilt, telemedizinisch erbrachte ärztliche Leistungen nicht nur finanziell, sondern auch in den Köpfen von Ärztinnen und Ärzten, Politikerinnen und Politikern, aber auch von Bürgerinnen und Bürgern denen gleichzustellen, die in Präsenz erbracht werden. Die Pandemie hat gezeigt, wie wertvoll Videosprechstunden und die Fernbehandlung sein können. In Hessen bietet mittlerweile jede und jeder dritte Ärztin und Arzt Online-Sprechstunden an. Bei den Psychotherapeutinnen und -therapeuten sind es sogar drei von vier. Auch die Patientinnen und Patienten haben die Videosprechstunden gut angenommen - und nicht nur die Jüngeren! Die bereits erwähnte forsa-Befragung im Auftrag der TK zeigt: 66 Prozent der Hessinnen und Hessen nutzen gerne Videosprechstunden; bei den 40 bis 59-Jährigen sind es sogar 71 Prozent. Bei den 60- und über 60-Jährigen blickt jede/jeder Zweite positiv auf die Videosprechstunde.
Natürlich wird es auch immer medizinische Fälle geben, die sich nicht aus der Ferne betreuen lassen. Hier könnte eine neue Arbeitsaufteilung zwischen Ärztinnen und Ärzten sowie ihren Mitarbeitenden zusätzlich entlasten: Nichtärztliche Versorgungsassistentinnen und -assistenten könnten vor Ort bei den Patientinnen und Patienten Hausbesuche, Routinekontrollen oder Beratungen durchführen - mit Unterstützung durch Telemedizin. Bei Bedarf wäre es der Assistenz so möglich, sich via Videotelefonie mit den Ärztinnen und Ärzten zu verbinden, um medizinischen Rat einzuholen. Die Offenheit der Menschen in Hessen wäre in jedem Fall gegeben: 83 Prozent der Hessinnen und Hessen würden solche telemedizinisch begleiteten Hausbesuche in Anspruch nehmen, um auf diesem Wege schneller behandelt zu werden. Bei den Menschen, die in Orten mit weniger als 20.000 Ein-wohnerinnen/Einwohnern leben, sind es sogar 86 Prozent. In Orten mit 20.000 bis unter 100.000 Bewohnerinnen und Bewohnern liegt die Zustimmungsrate bei 80 Prozent. In Hessen gibt es mit dem Projekt Tele-VERAH bereits einen Ansatz, der in diese Richtung geht. Seit 1. April 2020 kön-nen alle Hausarztpraxen diese Form der telemedizinischen Leistung über die Hausarztzentrierte Versorgung abrechnen. Bislang wurde diese Möglichkeit von den Ärztinnen und Ärzten allerdings nur sehr zögerlich in Anspruch genommen. Statt das einfach so hinzunehmen, kann das Land dabei unterstützen, das Projekt weiterzuentwickeln.
Denkbar wäre es zudem, in unterversorgten Gebieten das Konzept teleärztlicher Praxen auszupro-bieren. Das wären Einrichtungen, in denen medizinische Fachangestellte die Patientinnen und Patienten untersuchen, zum Beispiel Blutdruck messen oder Blut abnehmen. Die Ärztin beziehungsweise der Arzt würde dann zur Besprechung der Ergebnisse und der weiteren Schritte aus der Ferne per Videoschalte hinzugezogen.
Um eine Niederlassung auf dem Land wieder ein Stück weit attraktiver für den ärztlichen Nachwuchs zu machen, sollte das Land eine neue Form der Ansiedlungsförderung in Betracht ziehen: In Kooperation mit den von Unterversorgung bedrohten Kommunen könnten jungen Ärztinnen und Ärzten fertig ausgestattete Praxisräume zur Anmietung angeboten werden. Dazu sollte zwingend auch eine digitale Grundausstattung gehören. Dazu zählt zum Beispiel die nötige Hard- und Software für Telemedizin und Videosprechstunden sowie Programme, die eine bürokratiearme Erfassung von Abrechnungsdaten ermöglichen.
Für viele Hessinnen und Hessen wird es außerdem zunehmend zu einer frustrierenden Erfahrung, einen Termin beim (Fach-)arzt zu finden. Oftmals müssen die Betroffenen reihenweise Praxen abtelefonieren und hängen dabei viel zu oft in Warteschleifen fest. Die Landesregierung sollte Anreize für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte entwickeln, ihre freien Termin-Kapazitäten tagesaktuell und für die Patientinnen und Patienten transparent zu veröffentlichen, um Online-Terminbuchungen zu ermöglichen. 81 Prozent der Menschen in Hessen würden gerne eine Online-Terminvergabe bei ihren Ärztinnen und Ärzten nutzen.
Das hessische Gesundheitswesen miteinander vernetzen und die Zusammenarbeit fördern
Das Land muss eine flächendeckende sektorenübergreifende Vernetzung aktiv fordern und fördern. Statt wie bislang zufällig entstehende regionale Insellösungen finanziell zu unterstützen, sollte sich die Landesregierung dafür einsetzen, dass sich möglichst viele Einrichtungen des Gesundheitswesens an die Telematikinfrastruktur anbinden und deren Services nutzen. Die Telematikinfrastruktur ermöglicht es allen Beteiligten des Gesundheitswesens, sicher und sektorenübergreifend miteinander zu kommunizieren und Daten auszutauschen. Mit Zustimmung der Versicherten erhalten sie darüber hinaus über diesen Weg Zugang zu den elektronischen Patientenakten ihrer Patientinnen und Patienten und damit Zugriff auf deren medizinische Vorgeschichte. Das alles kann ganz entscheidend zu einer Steigerung der Behandlungsqualität beitragen.
Das von der Landesregierung in diesem Jahr ins Leben gerufene Förderprogramm "DIGI-Ambulant", mit dem unter anderem niedergelassene Hebammen, (Zahn-)Ärztinnen/Ärzte oder ambulante Pflegedienste Mittel für Hard- und Software vom Land erhalten können, sollte deshalb dahingehend präzisiert werden, dass nur Anschaffungen finanziell gefördert werden, die im Zusammenhang mit der Telematikinfrastruktur stehen. Zwei Beispiele müssen hier explizit genannt werden: Das Land sollte zum einen Arztpraxen finanziell unterstützen, die auf ein Praxisverwaltungssystem (PVS) umsteigen wollen, das rundum kompatibel mit der Telematikinfrastruktur ist. Insgesamt gibt es rund 100 PVS-Anbieter und leider sind bei weitem nicht alle dieser Software-Unternehmen willens, ihren Kunden die nötigen Updates für eine optimale Nutzung der Telematikinfrastruktur anzubieten. Ein Wechsel zu einem anderen Anbieter ist oft mit hohem Aufwand und enormen Kosten für die Praxen verbunden. Beim Aufwand - zum Beispiel bei der Recherche möglicher alternativer PVS-Anbieter oder bei Fragen zur Datenübertragung von der alten auf die neue Software - sollte das KTE unterstützen. Die Kosten wiederum könnten über ein Förderprogramm des Landes abgefedert werden. Ein mögliches "DIGI-Ambulant 2.0" sollte zum anderen auch Einrichtungen des Gesundheitswesens fördern, die sich vorzeitig an die Telematikinfrastruktur anschließen wollen und dafür Hard- und Software anschaffen müssen. Für Arztpraxen, Apotheken und Kliniken gibt es bereits heute eine gesetzliche Verpflichtung zur Anbindung. Für andere, wie Physiotherapie-Praxen, Pflegeheime, ambulante Pflegedienste oder Hebammen, ist dies hingegen noch freiwillig.
Das Land muss sich dafür einsetzen, dass sich Kliniken und Arztpraxen untereinander und miteinander austauschen. Eine stärkere Zusammenarbeit, beispielsweise in Form von gemeinsamen Telekonsilen, wird ebenfalls dazu beitragen, dass die Behandlungsqualität steigt. Erste Ansätze gibt es in Hessen bereits. Zu nennen sei hier das Projekt "Telemedizin", was wohl unter seinem alten Namen "TeleCOVID" bekannter sein dürfte. Während der Pandemie haben sich die Kliniken über diese telemedizinische Konsil- und Austauschplattform über die intensivmedizinische Versorgung von COVID-Betroffenen ausgetauscht. Die Evaluation des Projektes hat gezeigt, dass die Kliniken das Tool genutzt haben, um Patientenverlegungen von einem ins andere Krankenhaus besser zu planen und Therapien einrichtungsübergreifend zu besprechen. Während der Pandemie hat dieses Projekt gut funktioniert. Doch nun droht dieser digitale krankenhausübergreifende Austausch wieder einzuschlafen. Dabei gibt es viele andere Erkrankungen und Behandlungen, bei denen ein gemeinsamer Austausch wichtig wäre. Ein weiteres Beispiel ist das Hessische Onkologiekonzept, in dessen Rahmen sich Expertinnen und Experten verschiedener Kliniken in sogenannten "Tumorkonferenzen" regelmäßig digital austauschen und so voneinander lernen. Gemeinsam wird in diesen Konferenzen entschieden, welche Behandlungsmethode die beste für die Krebserkrankten ist. Zum Wohle der Patientinnen und Patienten ist es unabdingbar, dass Ansätze dieser Art weiterverfolgt und ausgebaut werden. Vor allem bei schweren Erkrankungen und komplizierten Fällen sollte ein digitaler einrichtungsübergreifender Austausch verpflichtend werden. Dieser Austausch darf nicht nur auf Kliniken beschränkt bleiben. Auch ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeutin-nen/-therapeuten, Psychotherapeutinnen und -therapeuten oder Pflegeheime müssen in Fallbesprechungen miteinbezogen werden. Für eine optimale und ganzheitliche Therapie wird ihr Know-How zwingend benötigt.
Auch vor dem Hintergrund, dass die meisten schwer und mehrfach Erkrankten sowie geriatrische Patientinnen und Patienten nach einem Klinikaufenthalt ambulant, in einer Reha- oder Pflegeeinrichtung weiterbetreut werden müssen, ist ein sektorenübergreifender Austausch von zentraler Bedeutung. Ein digitales Entlassmanagement ermöglicht eine unkomplizierte und tagesaktuelle Weitergabe von wichtigen Informationen (zum Beispiel zur erforderlichen Medikation) an die nachbehandelnden Stellen. So können Brüche in der medizinischen Versorgung vermieden und die Patientensicherheit verbessert werden.
Auch hierfür gibt es innerhalb der Bevölkerung eine deutliche Rückendeckung: 90 Prozent der im Auftrag der TK befragten Menschen in Hessen sind der Ansicht, dass sich die Politik für eine bessere Vernetzung zwischen Gesundheitsanbietern, wie niedergelassenen Ärztinnen/Ärzten, Kliniken und Pflegeheimen, einsetzen sollte. 94 Prozent halten es in diesem Zusammenhang für wichtig oder sehr wichtig, dass auch die Digitalisierung dazu genutzt wird, um einen sektorenübergreifenden Austausch über Diagnosen und Behandlungswege zu erreichen.
Die Chancen der Digitalisierung ergreifen, um die Notfallversorgung zu verbessern
Im Bereich der Notfallversorgung gibt es in Hessen bereits eine Vielzahl von digitalen Ansätzen. Allen voran muss hier das Projekt "Sektorenübergreifende ambulante Notfallversorgung" (kurz SaN) genannt werden. Im Rahmen von SaN werden Patientinnen und Patienten, die ambulant behandelt werden können, vom Rettungsdienst beispielsweise nicht mehr in eine Klinik-Notaufnahme transpor-tiert, sondern in eine Arztpraxis. Die Software "SmED" hilft den Rettungssanitäterinnen und -sanitätern während der Einsätze dabei, medizinisch einschätzen zu können, in welchen Fällen eine ambulante Behandlung ausreicht. Die Rettungskräfte können über das digitale IVENA-System im Krankenwagen einsehen, welche Arztpraxen entsprechende Kapazitäten freihaben. In den drei Pilotregionen - Landkreis Gießen, Main-Taunus-Kreis und Main-Kinzig-Kreis - pflegen sogenannte Partnerpraxen, die sich freiwillig am Projekt beteiligen, ihre freien Behandlungsslots in IVENA ein. Bislang konnten die Rettungsdienste hierüber nur freie Notfallkapazitäten der Kliniken einsehen. Durch das Projekt sollen die Anzahl vermeidbarer Einsätze des Rettungsdienstes reduziert und die Notaufnahmen der Krankenhäuser entlastet werden.
Neben dem SaN-Projekt gibt es in ganz Hessen verteilt diverse Telenotarzt-Projekte, wie zum Beispiel im Main-Taunus-Kreis, Hochtaunuskreis, in Mittelhessen, im Main-Kinzig-Kreis oder im Landkreis Waldeck-Frankenberg. Sie alle haben das Ziel, dass Notärztinnen und Notärzte nur noch dann persönlich ausrücken müssen, wenn dies tatsächlich erforderlich ist. Den Rettungssanitäterinnen und -sanitätern wird es deshalb ermöglicht, während ihrer Einsätze bei Bedarf per Videotelefonie Kontakt zu einem Notfallmediziner/einer Notfallmedizinerin aufzunehmen, um deren Einschätzung und Rat einzuholen. Im Rahmen einiger dieser Projekte wurden Rettungswagen zudem so digitalisiert, dass es möglich ist, sogar die Vitaldaten der Patientinnen und Patienten in Echtzeit an den Telenotarzt/die Telenotärztin zu übermitteln. 82 Prozent der Hessinnen und Hessen halten es übrigens für wichtig oder sehr wichtig, dass künftig in akuten Notfällen Expertinnen und Experten per Videoübertragung schnell zugeschaltet werden können. Ein weiterer spannender Ansatz wird in der Stadt Wiesbaden verfolgt: Das digitale System "Mobile Retter" lokalisiert anhand von GPS-Daten den genauen Aufenthaltsort von anrufenden Notfallpatientinnen und -patienten und ermittelt, ob sich ausgebildete Ersthelferinnen und Ersthelfer in unmittelbarer Nähe befinden. Diese werden dann per App über den medizinischen Notfall informiert und können helfen, bis der Rettungswagen eintrifft.
Das sind allesamt vielversprechende Projekte. Bislang laufen sie jedoch parallel und unkoordiniert aneinander vorbei. Aufgabe des Landes muss sein, alle Ansätze zu einem Gesamtkonzept zusammenzuführen. Auf absehbare Zeit muss ein zentrales Telenotarztzentrum entstehen, das von allen Rettungsdiensten in Hessen rund um die Uhr kontaktiert werden kann. Auch sollte jeder Rettungs-wagen in Hessen so ausgestattet werden, dass eine Übermittlung von Vitaldaten an einen Telenot-arzt/eine Telenotärztin aber auch an Kliniken möglich ist. Die Krankenhäuer können sich so viel besser auf den bald eintreffenden Notfall vorbereiten.
Die Software "SmED", die bei der Einschätzung unterstützt, ob ein Notfall besser im Krankenhaus oder im ambulanten Bereich aufgehoben ist, sollte nicht nur im Rahmen des Rettungsdienstes und im Projekt SaN zum Einsatz kommen, sondern auch in den Kliniknotaufnahmen. Patientinnen und Patienten, die nur leicht erkrankt sind, könnten dann vor Ort alternativ an eine Ärztliche Bereitschaftsdienstzentrale (ÄBD) oder eine nahe Arztpraxis mit - nach Blick in IVENA - freien Kapazitäten verwiesen werden. Auch die Rettungsleitstellen selbst müssen Zugriff auf die Software erhalten. In unnötigen Fällen müssen die Notfallsanitäterinnen und -sanitäter gar nicht mehr erst zum Einsatz fahren. Die Anrufenden können direkt am Telefon darüber informiert werden, dass sie sich an die ÄBD-Zentrale oder eine in IVENA aufgeführte Arztpraxis wenden sollen.
Pflegebedürftige und deren Angehörige entlasten
312.580 Hessinnen und Hessen, und damit fast 85 Prozent aller Pflegebedürftigen, wurden nach Angaben des Hessischen Statistischen Landesamts 2021 im häuslichen Umfeld betreut - meist von den eigenen Angehörigen. Einen Menschen zu pflegen, ist oftmals sehr belastend und kann die eigene Gesundheit stark beeinträchtigen. Um pflegenden Angehörigen Auszeiten zur Erholung zu ermöglichen - zum Beispiel um in den Urlaub zu fahren - können Pflegebedürfte für eine kurze Zeit stationär in Pflegeheimen betreut werden. Doch oftmals gestaltet es sich sehr schwierig, einen solchen zeitlich begrenzten Pflegeheimplatz zu finden. Ebenso kompliziert ist es, schnell einen Pflegeheimplatz zu finden, wenn Seniorinnen und Senioren unerwartet pflegebedürftig werden, zum Beispiel nach einem Krankenhausaufenthalt. Mehr Transparenz würde den Betroffenen die Suche nach einem Langzeit-, Kurzzeit- oder Tagepflegeplatz wesentlich erleichtern.
Die TK schlägt deshalb vor, eine Online-Plattform zu entwickeln, in der Pflegebedürftige und deren Angehörige ganz einfach nachsehen können, in welchen Pflegeeinrichtungen in ihrer Umgebung gerade Plätze frei sind. Damit das Portal die entsprechenden Daten überhaupt anzeigen kann, muss die neue Landesregierung die Pflegeheime gesetzlich dazu verpflichten, ihre freien Kapazitäten tagesaktuell dort einzupflegen. In Nordrhein-Westfalen gibt es mit dem "Heimfinder"-Portal eine solche Lösung bereits, die als Vorbild dienen könnte. Es wäre darüber hinaus sinnvoll, Hessens Pflegeheime an das IVENA-System anzubinden, damit auch andere Akteurinnen und Akteure des Gesundheitswesens jederzeit einen Überblick darüber haben, wo gerade kurzfristig Kurzeitpflegeplätze frei sind. Das ist zum Beispiel dann relevant, wenn ein Patient/eine Patientin nach einer Kranken-hausentlassung, zeitlich begrenzt, noch Betreuung bedarf. Kann schon aus der Klinik heraus ein solcher Platz gefunden werden, wird unkompliziert und schnell die Anschlussversorgung sicherge-stellt.
Pflegebedürftige und deren Angehörige haben zudem meist einen hohen Beratungsbedarf. Vor allem in der Anfangsphase der Pflegebedürftigkeit, wenn die Situation für alle Beteiligten noch neu und ungewohnt ist, gibt es viele Fragen. Neben den Pflegekassen bieten auch die Pflegestützpunkte in den hessischen Städten und Kommunen Beratungen an. Noch sind diese Einrichtungen aber wenig digitalisiert. Die neue Landesregierung muss sich daher dafür einsetzen, dass die Pflegestützpunkte so ausgestattet werden, dass sie Unterstützungsgespräche auch online durchführen und Online-Terminbuchungen anbieten können. Das ermöglicht den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen einen niedrigschwelligen Zugang zu Beratungsleistungen.
Hessens Pflegeheime digitalisieren
Die Landesregierung hat in der zu Ende gehenden Legislaturperiode nahezu alle Kliniken in Hessen mit schnellem Internet ausgestattet. Gleiches gilt es nun auch mit den Pflegeheimen zu tun. Zum einen haben die Bewohnerinnen und Bewohner Anspruch auf digitale Teilhabe. Es reicht nicht aus, nur in Gemeinschafträumen W-LAN zur Verfügung zu stellen. Um die Privatsphäre zu wahren, wird auch auf den Zimmern ein kabelloser Zugriff auf das Internet benötigt - z.B. um mit Freunden und Familie vertrauliche digitale Gespräche führen, Bankgeschäfte erledigen oder Videosprechstunden in Anspruch nehmen zu können.
Doch nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner ist die Ausstattung mit schnellem Internet von zentraler Bedeutung, sondern auch für die Beschäftigten. Denn auch im Bereich der Pflege wird es in den kommenden Jahren viele technische Neuerungen, zum Bespiel auf Basis künstlicher Intelligenz geben, die deren Arbeit erleichtern werden. Denkbar sind zum Beispiel roboterunterstützte Hebevorrichtungen oder Sensoren, die automatisiert erkennen, wenn eine Bewohnerin/ein Bewohner nicht ausreichend getrunken hat. Vielversprechend sind auch Tools, die Dokumentation und bürokratische Abläufe in den Pflegeheimen auf ein Minimum reduzieren werden, wodurch mehr Zeit für menschliche Zuwendung entsteht. 84 Prozent der Hessinnen und Hessen halten den Einsatz von digitalen Technologien zur Erleichterung der Arbeit von Pflegekräften für sinnvoll oder sehr sinnvoll.
Das Land muss sich zudem viel stärker als heute an den Investitionskosten der Pflegeheime beteiligen, damit sich die Einrichtungen die Anschaffung neuer Technik überhaupt leisten können beziehungsweise, um zu verhindern, dass die Eigenbeteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner durch Neuanschaffungen weiter steigen. Laut IGES-Institut hat die Hessische Landesregierung den Pflegeheimen im Jahr 2021 Investitionsmittel in Höhe von rund 1,85 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Auf die Anzahl von Pflegebedürftigen heruntergerechnet hat das sechs Euro pro Person entsprochen. Da ist noch viel Spielraum nach oben. Schleswig-Holstein beispielsweise hat 402 Euro und Nordrhein-Westfalen sogar 725 Euro pro Pflegebedürftigen zur Verfügung gestellt.
Werdende Eltern besser unterstützten
Eine Schwangerschaft ist eine besonders aufregende Phase für Paare. Vor allem wenn es sich um das erste Kind handelt, gibt es bei den werdenden Eltern besonders viele Fragen und Unsicherheiten. Hebammen sind in dieser Zeit eine wertvolle Unterstützung. Doch für viele werdende Eltern gestaltet sich die Suche nach einer Hebamme schwierig bis frustrierend. Abhilfe schaffen hier Online-Such- und Vermittlungsplattformen. Dort können nicht nur mit wenigen Klicks Hebammen vor Ort gefunden, sondern auch direkt Termine bei ihnen gebucht werden. Erste Portale dieser Art gibt es bereits. Beispielhaft soll an dieser Stelle das Portal "Ammely" genannt werden. Um Hebammen dazu zu motivieren, ihre freien Kapazitäten auf solchen Plattformen einzutragen, sollte das Land in Betracht ziehen, dies finanziell zu fördern. Bereits im letzten Koalitionsvertrag war die Einführung eines sogenannten "Hebammengeldes" geplant. Diese Idee sollte weitergedacht werden - und zwar nicht nur, wie es zuletzt diskutiert wurde, im Sinne einer reinen Ansiedlungsförderung, sondern auch zur Motivation, sich an Online-Suchplattformen zu beteiligen.
Auch bei der Suche nach einer geeigneten Geburtsklinik könnte das Land werdende Eltern besser unterstützen - mit der Schaffung einer Online-Plattform, auf der Informationen zur Qualität der hessischen Geburtskliniken laienverständlich aufbereitet werden. Die Datengrundlage für ein solches Portal gäbe es bereits: Seit 2001 wertet die Landesarbeitsgemeinschaft Qualitätssicherung Hessen (LAGQH), ehemals Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen, jedes Jahr die Daten der hessischen Geburtshilfen in Sachen Behandlungsqualität aus. Anhand verschiedener auf Bundesebene definierter Indikatoren, zum Beispiel Anzahl von Infektionen nach einer Kaiserschnittentbindung, Anwesenheit eines Kinderarztes/einer Kinderärztin bei einer Frühgeburt oder Anzahl von Dammrissen, macht sich die LAGQH ein Bild über Versorgungsqualität von Mutter und Kind - und das für jedes Krankenhaus in Hessen, das Geburten anbietet. Die Ergebnisse dieser Auswertung werden in einem Jahresbericht veröffentlicht, der in Form eines PDF auf der Webseite der LAGQH abgerufen werden kann. Für Expertinnen und Experten im Gesundheitswesen mag diese Art der Datenaufbereitung vielleicht ausreichend sein, für die meisten werdende Eltern hingegen nicht. Ihnen dürfte noch nicht einmal bekannt sein, dass es einen solchen Bericht überhaupt gibt. In einem neu zu schaffenden Online-Portal sollten diese Daten deshalb laienverständlich aufbereitet werden. Im besten Falle würde es dieses Portal den werdenden Eltern sogar ermöglichen, die Qualität einzelner Geburtskliniken direkt miteinander zu vergleichen. Die forsa-Umfrage im Auftrag der TK zeigt: 92 Prozent der Menschen in Hessen würden ein Krankenhaus wählen, dessen Behandlungsqualität durch objektive Daten belegt ist. Eine niedrige Komplikationsrate in dem sie betreffenden Bereich wäre für 94 Prozent bei der Wahl des Krankenhauses ausschlaggebend. In einem so sensiblen Bereich wie der Geburtshilfe, wo es um die Sicherheit von gleich zwei Menschen - Mutter und Kind - geht, ist Transparenz ganz besonders wichtig. Um diesen Service-Gedanken sogar noch weiter zu fassen, könnten in dem Portal weitere Daten ergänzt werden, zum Beispiel, ob es in einer Klinik einen hebammengeleiteten Kreißsaal oder andere besondere Angebote für Schwangere gibt.
Digitalisierung zu einem verpflichtenden Teil der Ausbildung und Weiterbildung des Personals im Gesundheitswesen machen
Die Digitalisierung wird den Arbeitsalltag und Arbeitsabläufe von Beschäftigten im Gesundheitswesen an vielen Stellen grundlegend verändern. Gleichzeitig wird es auch immer mehr neue Diagnostikverfahren und Therapien geben, bei denen digitale Tools und Ansätze eine große Rolle spielen. Die Patientinnen und Patienten müssen darauf vertrauen können, dass sie auch weiterhin eine Versorgung auf Spitzenniveau erhalten. Dafür muss das medizinische und pflegerische Fachpersonal wissen, welche technischen Entwicklungen und Neuerungen es auf ihrem jeweiligen Gebiet gibt und fähig sein, digitale Innovationen anzuwenden. Die angehenden und bereits ausbildeten Fachkräfte müssen zum Beispiel auch verständlich erklärt bekommen, wie sie ihre Einrichtungen an die Telematikinfrastruktur anschließen können und wie sie deren Funktionen, inklusive ePA, optimal für sich und ihre Patientinnen und Patienten nutzen. Dieses Wissen entsteht aber nicht von allein. Damit im Digitalisierungsprozess niemand abgehängt wird und bei den Beschäftigten des Gesundheitswe-sens eine grundsätzliche Aufgeschlossenheit gegenüber Innovationen aktiv gefördert wird, gilt es das Thema Digitalkompetenz zu einem festen Bestandteil der Aus- und Weiterbildung zu machen. Bei der Entwicklung der genauen Inhalte für entsprechende Lernmodule kann das Hessische Kom-petenzzentrum für Telemedizin und eHealth (KTE) unterstützen - in Kooperation mit den hessischen Universitäten, Hochschulen, Berufsschulen und sonstigen Ausbildungsstätten sowie der verschie-denen Berufskammern in Hessen.
Damit das Erarbeitete am Ende tatsächlich Einzug in die Lehrpläne sowie Fortbildungskataloge erhält und die Teilnahme für das (angehende) Personal im Gesundheitswesen verpflichtend wird, hat das Land verschiedene Hebel. Der eine ist das Landesamt für Gesundheit und Pflege. Dieses ist ohnehin bereits heute Fachaufsicht über die Ausbildungsstätten vieler Gesundheitsberufe, zum Beispiel für die Bereiche Rettungsdienst, Pflege und für die medizinischen Assistenzberufe. Ein weiterer Hebel ist das Hessische Wissenschaftsministerium, das Einfluss auf die universitäre Ausbildung - zum Beispiel von Ärztinnen/Ärzten sowie Hebammen - nehmen kann. Hebel Nummer drei stellt das Hessische Ministerium für Soziales und Integration dar, das Aufsichtsbehörde der Landesärztekammer, der Psychotherapeutenkammer sowie der Apothekenkammer ist. Die Berufskammern sind für die (Pflicht-)Weiterbildungen ihrer Mitglieder zuständig. Das HMSI sollte im Dialog mit den Berufskammern dazu motivieren, dass Fortbildungen aus dem Bereich Digitalisierung in den Fortbildungskatalog aufgenommen werden. So könnten Fachkräfte aller Altersgruppen erreicht werden, die bereits fest im Beruf stehen und die gegebenenfalls noch nicht ganz so selbstverständlich mit digitalen Anwendungen umgehen können, wie ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Digitalisierung gelingt nur, wenn wir alle Beschäftigten des hessischen Gesundheitswesens mitnehmen und nie-mand überfordert wird oder sich im Stich gelassen fühlt.
Aus Hessen ein „Silicon Valley“ des Gesundheitswesens machen
Start-ups sind ein wichtiger Treiber der digitalen Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und der Medizin. Gleichzeitig ist das Gesundheitssystem eines der am stärksten regulierten Branchen Deutschlands. Unerfahrene Jungunternehmen finden sich in diesem Dschungel aus gesetzlichen Vorgaben, Sektorengrenzen und berufspolitischen Eigeninteressen oft nur schwer zurecht. Um Gründerinnen und Gründer dazu zu motivieren, ihre Ideen in Hessen weiterzuentwickeln, muss das Land dazu beitragen, dass sie hier ein optimales Klima dafür vorfinden. Erster Schritt sollte sein, dass die Landesregierung gleich zu Beginn der Legislatur eine umfassende Digitalstrategie für das Gesundheitswesen auf den Weg bringt, in die Tat umsetzt und dies über die Grenzen Hessens hinaus kommuniziert. Bei Gründerinnen und Gründern bundes- oder gar europaweit muss die Botschaft ankommen: Das hessische Gesundheitswesen ist ganz besonders offen für Innovationen und es lohnt sich, gemeinsam mit hessischen Partnerinnen und Partnern Ideen weiterzuentwickeln. Das Hessische Kompetenzzentrum für Telemedizin und eHealth (KTE) könnte als zentrale Stelle etabliert werden, an die sich interessierte Health-Start-ups wenden können. Das Zentrum kann die Gründerinnen und Gründer beim Aufbauen eines Netzwerkes aus möglichen Partnerinnen und Partnern unterstützen. Das KTE könnte - in Zusammenarbeit mit dem HMSI - Hackathons zu akuten Herausforderungen des hessischen Gesundheitswesens durchführen und dabei, neben den etablierten Organisationen, wie Krankenkassen, Kliniken, Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften oder Hebammen, auch Vertreterinnen und Vertreter von Start-ups mit an den Tisch holen.
Auch bei der konkreten Umsetzung der Ideen von Start-ups im Rahmen von Pilotprojekten kann das KTE unterstützten. Bereits heute gehört es zum offiziellen Aufgabengebiet des Zentrums, die Professorinnen/Professoren und Studierenden am Forschungscampus Mittelhessen (bestehend aus den Universitäten Gießen und Marburg sowie der Technischen Hochschule Mittelhessen) dabei zu unterstützen, von ihnen entwickelte Ideen in die Praxis zu bringen. Das KTE soll den Kontakt zu Arztpraxen herstellen, die Interesse daran haben, die von den Forschenden entwickelten Anwendungen auszuprobieren. Mitarbeitende des KTE unterstützen danach unter anderem auch bei entsprechenden Schulungen des Praxispersonals und bei der Einrichtung der nötigen Technik. Warum sollten diese Aufgaben künftig weiterhin nur auf Projekte des Forschungscampus Mittelhessen und nur auf Arztpraxen begrenzt sein? Health-Start-ups aller Art würden von einer solchen Hilfsstellung enorm profitieren. Wenn Gründerinnen und Gründer die Wahl haben, entweder in einem Bundesland Fuß zu fassen, in welchem sie sich erst ein Netzwerk aus eigener Kraft aufbauen müssten oder in Hessen, wo sie mit einer intensiven Betreuung und Unterstützung rechnen könnten, dürfte ihnen die Entscheidung leichtfallen.
Start-up-Förderung ist immer auch eng mit der Wirtschaftsförderung im Allgemeinen verknüpft. Dieses Aufgabengebiet liegt in Hessen vor allem beim Wirtschaftsministerium. Aus dem Gedanken heraus, dass Begegnung, Austausch und Kooperation die Inspiration fördern, hat das Land Hessen vor über einem Jahrzehnt diverse "Houses of" gegründet, zum Beispiel das "House of Finance" oder das "House of Logistics & Mobility". Es handelt sich hierbei um überregionale branchenspezifische Netzwerke aus Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Politik. Die "Houses of" fördern unter anderem den gemeinsamen Dialog in Form von Veranstaltungen wie Workshops oder Kongresse, sie unterstützten bei der Akquise von Fördergeldern für hessische Projekte auf Bundes- und Europaebene oder werben für den Wirtschaftsstandort Hessen auf internationalen Messen. Be-reits seit 2013 gibt es auch ein "House of Pharma & Healthcare" im Verantwortungsbereich des Wirtschaftsministeriums. Der Fokus liegt hier bislang aber vor allem bei der Pharmaindustrie und Innovationen in der Arzneimittelforschung. Das ist vor dem Hintergrund, dass in Hessen viele große Pharmaunternehmen ihren Sitz haben, nachvollziehbar. In Zukunft sollte das "House of Pharma and Healthcare" aber auch dem zweiten Teil seines Namens größere Beachtung schenken und seinen Wirkungskreis auf das Feld "e-Health" ausweiten. Auch hier ist es sinnvoll, wenn das Land seine Kompetenzen bündelt und keine Doppelstrukturen aufbaut. Um das "House of Pharma and Healthcare" weiterzuentwickeln, müssen deshalb künftig auch das Digitalisierungsministerium und das HMSI sowie weitere Player des Gesundheitswesens - von Kliniken, über Ärztinnen und Ärzte bis hin zu Krankenkassen - miteingebunden werden.
TK-Positionspapier: Hessen braucht eine Digitalstrategie
Die TK-Landesvertretung Hessen skizziert in einem Positionspapier, wie eine solche Digitalstrategie aussehen kann.
Position der TK zur hessischen Landtagswahl (PDF, 217 kB)
Hinweis
Im Auftrag der Techniker Krankenkasse hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa vom 19. bis 30. Juni insgesamt 1.002 Personen ab 18 Jahren in Hessen telefonisch befragt. Die Befragung ist damit bevölkerungsrepräsentativ für das Bundesland Hessen.
Ansprechpartnerin Presse
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