Ein gelungenes Diversity Management führt zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit
Interview aus Bremen
Die neue Generation von professionell Pflegenden soll in Bremen mit einer hohen fachlichen Qualifizierung auf den auch herausfordernden Beruf vorbereitet werden. Der Integrierte Gesundheitscampus Bremen geht hierzu innovative Wege. Ein Interview mit Prof. Claudia Stolle-Wahl vom Internationalen Studiengang Pflege - primärqualifizierend - der Hochschule Bremen.
TK: Was hat Sie dazu bewogen, das Thema Antidiskriminierung auf die Agenda der Fachkräfte zu setzen?
Prof. Claudia Stolle-Wahl: Wir stehen mit unserem internationalen Studiengang "Pflege B. Sc. - primärqualifizierend" im engen Austausch mit dem Bremer Zentrum für Pflegebildung. So können wir sowohl den Studierenden der Pflege als auch den Auszubildenden bereits während der Qualifizierungsphase eine enge Zusammenarbeit zwischen beruflich und akademisch qualifizierten Pflegenden ermöglichen. Mit dieser Gelegenheit des Netzwerkens bieten wir in Bremen bereits eine attraktive Ausbildung an.
Im Austausch mit den angehenden Pflegefachkräften mussten wir sowohl in der Pflegeschule als auch an der Hochschule feststellen, dass die Fachkräfte in den Praxisphasen der Ausbildung bereits Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Die Lernenden beschrieben Situationen, in denen sie auf Grund ihrer Herkunft, sowohl von zu Pflegenden aber auch in den Teams selbst, diskriminiert wurden. Es fielen Sätze wie "von schwarzen Händen lasse ich mich nicht waschen" oder Kolleginnen und Kollegen haben die Lernenden nicht adäquat in der Praxis angeleitet, weil sie erst mal "ordentlich Deutsch lernen" sollten.
Gerade vor dem Hintergrund des großen Fachkräftemangels brauchen wir aber dringend pflegerischen Nachwuchs, der den Beruf zuverlässig und hoch qualifiziert ausübt. Daher brauchen wir dringend facettenreiche Unterstützungsangebote - und das auch schon während der Ausbildung, damit alle gerne und vor allem gesund ihren Beruf ausüben können. Ein gelungenes Diversity Management ist eine Methode dafür.
Aktuell haben wir bei den Pflegenden einen Migrationsanteil von ca. 14 Prozent, was sich auch in der heterogenen Gruppe der Auszubildenden und Studierenden zeigt. Allerdings sind auch Pflegende ohne Migrationshintergrund von Diskriminierung z. B. in Form von sexueller Diskriminierung, Altersdiskriminierung oder anderen Diskriminierungsformen betroffen. Die Teams sind jedoch darauf angewiesen, dass ihre Kolleginnen und Kollegen auch nach diesen sehr belastenden Diskriminierungserfahrungen professionell ihre Arbeit fortführen und den Beruf trotzdem ausüben.
TK: Wie kann Pflege diskriminierungsfrei gestaltet werden?
Stolle-Wahl: Leider gehe ich davon aus, dass in unserer Gesellschaft aktuell keine diskriminierungsfreie Pflege möglich ist. Es wäre wichtig, über die Auswirkungen der Diskriminierung und die Belastungen durch diese mehr aufzuklären. Das würde schon in einem gewissen Rahmen eine Wirkung erzielen.
Aber: In der Pflege gibt es Situationen, in denen eine Interaktion zwischen den Pflegerinnen und Pflegern und den zu Pflegenden nicht möglich ist. So sind z. B. Menschen mit demenziellen Erkrankungen für solche Aufklärungsmaßnahmen nicht erreichbar. In diesen besonderen Fällen sind Pflegende manchmal nahezu täglich mit Diskriminierung konfrontiert. Auch bei Patienten im Delirium, z. B. nach Operationen, kommt es häufiger zu Diskriminierungen, ohne dass hier eine Diskussion der Problematik zwischen den Patientinnen und Patienten und der Berufsgruppe möglich ist.
Zentrales Thema ist aber, dass sich die Pflegenden in den Teams in solchen Situationen gegenseitig aktiv unterstützen und z. B. sondieren, inwieweit die von Diskriminierung betroffenen Pflegenden in einer eskalierenden Situationen eingesetzt werden oder ob auch andere Pflegende hier die Versorgung übernehmen können. Die Betroffenen dürfen nicht mit der erlebten Diskriminierung allein gelassen werden, sondern sollten das Geschehene gemeinsam "verarbeiten" können.
Für Diskriminierung zwischen Kolleginnen und Kollegen oder auch zwischen den einzelnen Berufsgruppen (Beispiel: Medizin zu Pflege) braucht es Anlaufstellen, die die Einrichtungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eigentlich vorhalten müssen, dies ist aber vielerorts noch nicht umgesetzt.
TK: Was läuft dort noch nicht so gut und wo finden diverse Aspekte noch zu wenig Beachtung?
Stolle-Wahl: Wie gerade angesprochen, sind die Anlaufstellen nach dem AGG in den Institutionen des Gesundheitswesens aktuell noch nicht ausreichend etabliert. So kann auch Diskriminierung in den Institutionen nicht aktiv angegangen werden. Hier muss dringend nachgesteuert werden, denn aktuell unterstützen sich die Teams diesbezüglich zu wenig.
Das Bewusstsein der Pflegenden, welche hohen Belastungen aus Diskriminierungserfahrungen für die Betroffenen resultieren können, ist noch zu gering ausgeprägt. Wenn sich die Teams aktiv unterstützen und einen offenen Umgang mit dem Thema hätten, wäre schon sehr viel erreicht. Da reicht manchmal eine deutliche Kommunikation von Pflegenden mit diskriminierenden Patientinnen und Patienten in Richtung "So reden Sie auf unserer Station nicht mit unseren Pflegenden!"
TK: Wenn Sie eine Art Zwischenbilanz ziehen wollten - welche Ideen, Lösungen und Strategien zeichnen sich vor allem ab und was können andere Branchen aus Ihren Erfahrungen lernen?
Stolle-Wahl: Der Antidiskriminierungstag mit den Auszubildenden und den Studierenden war sehr erfolgreich. Die Lernenden wurde für die hohe Bedeutung dieses Themas sensibilisiert und haben in einem Empowerment Workshop selbst effektive Strategien entwickelt, wie sie sich in entsprechenden Situationen verhalten können.
Es zeigte sich aber auch, dass ein Tag im Rahmen von Ausbildung und Studium zu diesem Thema nicht ausreicht. Wir müssen das Thema an beiden Lernorten weiter systematisch vertiefen und vor allem in der Praxis sehr viel tun. Die Problematik muss vor allem in den Krankenhäusern, Pflegeheimen, ambulanten Pflegediensten und anderen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung aktiv angegangen werden.
TK: Wie wird es weitergehen?
Stolle-Wahl: Wir bedanken uns an der Stelle erst einmal für die sehr gute Unterstützung der TK, ohne die wir diesen Tag den Lernenden nicht ermöglichen hätten können. Natürlich würden wir uns freuen, wenn wir diese Zusammenarbeit auch im kommenden Jahr im Rahmen des Gesundheitscampuses fortführen könnten. Wir müssen das erstmals stattgefundene, und zunächst als einmalig gedachtes, Angebot fest in der Ausbildung der Pflegenden verankern.
Derzeit arbeiten wir an Überlegungen, wie wir für die Praxis einen Fachtag organisieren können, damit auch in den Einrichtungen das Thema Antidiskriminierung aktiv auf den Weg gebracht wird. Denn wir brauchen eine starke Pflege, damit wir die Versorgung im Gesundheitswesen sichern können und da wäre mit Angeboten zu Strategien der Antidiskriminierung bereits ein wesentlicher Beitrag erbracht.