Patientensicherheit und digitale Selbstbestimmung
Interview aus Niedersachsen
Der Patientenbeauftragte der TK, Hardy Müller, erläutert, warum mit den medizinischen und technischen Innovationen auch die Anforderungen an die Patientensicherheit steigen. Der Experte beleuchtet ferner die Gesundheitskompetenz, die eine wichtige Ressource im Gesundheitswesen ist.
TK: Herr Müller, Sie sind der Patientenbeauftragte der Techniker Krankenkasse (TK). Da dies bisher in der deutschen Krankenkassenlandschaft einzigartig ist, können Sie uns Ihre Tätigkeit in einigen Sätzen beschreiben?
Hardy Müller: Die TK ist die erste Krankenkasse in Deutschland, die die wissenschaftlich und gesundheitspolitisch begründete Forderung nach Einsatz eines eigenen Beauftragten für Patientensicherheit umsetzt. Zu den Aufgaben des Beauftragten in der TK gehört die Koordinierung der mannigfaltigen unternehmensweiten Aktivitäten im Themenfeld Patientensicherheit. Der Auftrag besteht darin, den Verantwortlichen in der TK als zentraler Ansprechpartner für alle Patientensicherheitsfragen beratend und unterstützend zur Seite zu stehen. Aus dieser Position heraus werden Vorschläge für TK interne und externe Aktivitäten initiiert. So haben wir beispielsweise Anträge im Innovationsfonds gestellt und führen derzeit fünf Projekte mit dem Schwerpunkt Patientensicherheit durch. Weitere Aufgaben bestehen in der internen und öffentlichen Darstellung unserer Aktivitäten, sowie einem jährlichen Bericht für den Vorstand über die unternehmensweiten Aktivitäten zum Ausbau der Patientensicherheit.
TK: Patientensicherheit spielt nicht nur bei der TK eine große Rolle, in welchen Bereichen des Gesundheitswesens ist das Thema Ihrer Einschätzung nach am wichtigsten, wo muss also genau hingeschaut werden?
Müller: Im Gesundheitswesen schulden wir den Versicherten wie auch den Beschäftigten eine sichere Versorgung. Das Niveau der Versorgung ist gut - niemand braucht Angst zu haben - aber eben nicht so gut, dass wir die Hände in den Schoß legen könnten. In der weiteren Vermeidung von unerwünschten Ereignissen besteht zweifelsohne der größte Hebel zur Qualitätsverbesserung in der gesundheitlichen Versorgung, der Reduktion von unnützem Leid und zur Einsparung von Kosten.
Beispiele für prominente unerwünschte Ereignisse sind Mängel in der Arzneimittel-Therapie-Sicherheit, also z. B. die Situation, in der ein falsches Medikament zur falschen Zeit beim falschen Patienten in falscher Dosierung verabreicht wird. Die sogenannten Therapie-assoziierten Infektionen, landläufig auch unter dem irreführenden Begriff der Krankenhaus-Killer-Keime beschrieben oder auch Stürze im Krankenhaus.
Die größte Herausforderung besteht darin, nicht nur ein Themenkomplex anzugehen und sich etwa nur auf die Hygiene zu stürzen. Oder auf die Arzneimittel-Therapiesicherheit oder irgendein anderes Feld. Patientensicherheit realisiert sich nur, wenn wir alles zugleich im Blick haben. Patientensicherheit ist nicht nur eine Eigenschaft, sondern eben auch eine Haltung. Angemessene Interventionen sind nicht Einzel- sondern Bündelinterventionen. Besonders sollte darauf geachtet werden, ob es eine Sicherheitskultur in den Einrichtungen gibt. Wird über Fehler als Chance gesprochen oder werden diese am liebsten unter den Teppich gekehrt? Im Niveau der gelebten Patientensicherheitskultur unterscheiden sich viele Einrichtungen.
TK: Gesundheitskompetenz ist eines der Schlagworte der letzten Jahre. Wie wichtig ist es, dass Patienten eine Kompetenz aufbauen, um sich im Gesundheitssystem zu bewegen? Und wie und wo können die Patienten diese Kompetenz erwerben?
Müller: Gesundheitskompetenz ist eine unterschätzte, aber dennoch wichtige Ressource im Gesundheitswesen. Sie befähigt Patienten Ihre Interessen wahrzunehmen und sich aktiv in den Behandlungsprozess einzubringen. Erst durch Gesundheitskompetenz können Versicherte als Experten in eigener Sache fungieren. Das Problem: Gesundheitskompetenz fällt nicht vom Himmel. Versicherte benötigen qualifizierte Angebote und Versicherte müssen sich aktiv darum bemühen. Gute Informationsangebote bieten neben den Patienteninformationen der TK die Gesundheitsinformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Nachdem wir lange vom Versicherten "Souveränität" eingefordert haben entstehen zunehmend Angebote, die ihn auch in diese Lage versetzen können.
TK: Digitale Anwendungen werden gerade in der Medizin aber auch in anderen Bereichen immer größeren Raum einnehmen, wie wirkt sich dies auf Patienten aus? Gibt es eine digitale Gesundheitskompetenz?
Müller: Die Digitalisierung transformiert auch die Medizin mit massiven Konsequenzen für die Patienten. Erst der kompetente und vertrauensvolle Umgang mit der "neuen Medizin" wird die Anwendungen nützlich machen. Insofern ist die digitale Gesundheitskompetenz eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende digitale Transformation der Medizin.
Digitale Gesundheitskompetenz ist mangelhaft ausgebildet. Die TK hat 2018 die Studie "TK- DiSK: Digital. Selbstbestimmt. Kompetent." durchgeführt und hat dabei auch den Stand der digitalen Gesundheitskompetenz recherchiert und eine Arbeitsdefinition vorgestellt. Nach einer Resolution des TK-Verwaltungsrates im September 2018, in der der Ausbau der Digitalen Gesundheitskompetenz gefordert wurde, haben wir nun mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) auch einen gesetzlichen Auftrag bekommen, die digitale Gesundheitskompetenz der Versicherten zu fördern. Wir stellen uns diesem Auftrag gerne und werden den TK-Versicherten baldmöglichst Angebote zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz unterbreiten.
TK: In Niedersachsen ist in Sachen Qualitätssicherung, Sicherheitskultur und Fehlerprävention einiges geschehen. Welche Rolle spielen zum Beispiel Whistleblower, um Fehler im Gesundheitssystem aufzudecken? Und wie können wir die Sicherheit der Patienten auch auf alternative Art erhöhen?
Müller: Die Akzeptanz und der Schutz von Whistleblowern gehören zu einer gelebten Patientensicherheits-Kultur. Wie vorher angesprochen, ist diese Sicherheitskultur entscheidend für das Niveau der Patientensicherheit. Um die Sicherheit alternativ weiter zu entwickeln, sollten wir neben dem Hinweis auf mögliche Fehler - was ging schief - auch vermehrt deutlich machen, was alles exemplarisch gut läuft. Auch an diesen positiven Modellen könnten wir viel mehr lernen.
TK: Vielen Dank!
Zur Person
Hardy Müller M. A., TK-Beauftragter für Patientensicherheit. Nach dem Studium der Anthropologie, Soziologie und Psychologie an den Universitäten Tübingen und Mainz arbeitet er seit 1993 bei gesetzlichen Krankenkassen.
Bei der TK übernahm er ab 2002 Aufgaben im Bereich Unternehmensentwicklung, dem Versorgungsmanagement und im Wissenschaftlichen Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG). Er war von 2011-2019 Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e. V. (APS) und dort tätig als Geschäftsführer und Generealsekretär. Tätigkeiten u. a. als Health Care Risk Manager (HRM, TU München) oder Berater des 3. Global Ministerial Summit on Patient Safety, Tokyo.
Seine Arbeitsschwerpunkte sind Patientensicherheit und digitale Selbstbestimmung.