Faktencheck: Extrem-Frühgeborene
Artikel aus Thüringen
Über die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) neu festgelegte Mindestmenge zur Behandlung Extrem-Frühgeborener wird in Thüringen seit Monaten öffentlich und im politischen Umfeld viel diskutiert. Der Grund: Nach den aktuell verfügbaren Daten könnte das Perinatalzentrum am Klinikum in Suhl nur mit einer Ausnahmegenehmigung weiter als Level-1-Zentrum betrieben werden. Andernfalls würde es als Perinatalzentrum Level 2 arbeiten können.
Das heißt, sehr frühgeborene Kinder, die zur Geburt unter 1.250 Gramm wiegen, dürften nur noch in Notfällen in Suhl erstversorgt werden. Die sogenannten Mindestmengen gelten für komplexe, planbare Eingriffe, darunter auch die Versorgung von extrem früh geborenen Kindern. 1.250 Gramm wiegen Kinder etwa zwischen der 29. und 30. Schwangerschaftswoche, also zweieinhalb Monate vor dem errechneten Geburtstermin.
Mindestmenge bedeutet, dass ein Krankenhaus eine Versorgung nur dann anbieten darf, wenn eine gewisse Zahl dieser Behandlungen im Jahr durchgeführt wird.
Um weiterhin als Perinatalzentrum Level 1 zu gelten, liegt die Mindestmenge ab 2024 bei 25 Geburten extremer Frühchen.
Emotionale Debatte führt zu Verzerrungen
Da es um das Wohl der Allerkleinsten geht, ist verständlich, dass die Diskussionen emotional geführt werden und es zu Verunsicherung kommt. Hin und wieder wird dabei das, worum es bei den Mindestmengenregelungen für die Behandlung Extrem-Frühgeborener eigentlich geht, verzerrt dargestellt.
Wir sind überzeugt, dass Verständnis grundlegend ist, um die Debatte im Sinne der Patientensicherheit führen zu können. Deswegen haben wir uns zentrale Aussagen und Argumente aus den Medien und der Anhörung im Petitionsausschuss des Thüringer Landtags Anfang dieses Jahres, die für den Erhalt des Level-1-Status in Suhl angeführt werden, genauer angesehen:
Mehr Behandlungen sorgen für bessere Überlebenschancen
Behauptet wird: Auch wenn wenige extrem Frühgeborene versorgt werden, verringert das die Qualität der Versorgung nicht. Bis hin zu der Aussage: Zentrierung bringt nicht mehr, sondern weniger Qualität.
Richtig ist: Der Mindestmengenvorgabe liegen Studien zugrunde, die zeigen, dass mehr Behandlungen mehr Sicherheit und mehr Qualität für die Familien bedeuten.
Es gibt einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen der Zahl der behandelten extremen Frühgeborenen und deren Überleben.
Es geht um Kinder, die etwa 2 ½ Monate zu früh oder eher geboren werden
Behauptet wird: Die Versorgungsketten für werdende Mütter, kranke Neugeborene und Kinder im ländlichen Raum wären akut gefährdet und die Intensiv- und Notfallversorgung für Neugeborene und Kinder könne nicht mehr gewährleistet werden, wenn es in Suhl kein Perinatalzentrum Level 1 mehr gibt.
Richtig ist: Die Mindestmengenreglungen betreffen ausdrücklich komplexe, planbare Eingriffe. Notfallversorgung auch vom Extrem-Frühgeborenen bleibt im Klinikum Suhl möglich, wenn eine Verlegung vor der Geburt nicht in Frage kommt.
Die Mindestmengenregelung betrifft ausschließlich die Versorgung extrem früh geborener Kinder. Babys, die gemein hin als Frühchen bezeichnet werden, weil sie zum Beispiel sechs Wochen vor dem errechneten Termin zur Welt kamen, können auch weiterhin in Suhl betreut werden.
Debatte betrifft ausschließlich Versorgung Extrem-Frühgeborener, keine anderen Abteilungen
Behauptet wird: Auch andere Fachbereiche des Krankenhauses in Suhl sind gefährdet, wenn das Perinatalzentrum auf Level 2 herabgestuft wird, zum Beispiel die Kinderchirurgie, die Kinderaugenheilkunde und die Kinderintensivstation.
Richtig ist: In der alten Vergütungslogik nach Fallpauschalen mag es vorgekommen sein, dass die pädiatrische Normalversorgung teilweise durch die Level-1-Fälle mitfinanziert wurde. Mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) allerdings, das Ende 2022 in Kraft trat, werden Geburtshilfe und Pädiatrie durch die sogenannten Vorhaltepauschalen finanziell unterstützt.
Die Mindestmengenregelung betrifft ausschließlich die Versorgung extrem früh geborener Kinder.
Zahl der Geburten in Thüringen nimmt weiter ab
Behauptet wird: Es können immer weniger Kinder am Klinikum in Suhl geboren werden, wenn es kein Perinatalzentrum Level 1 mehr ist.
Richtig ist: Lediglich die Extrem-Frühgeborenen würden in anderen Kliniken zur Welt kommen.
Dass im Klinikum in Suhl weniger Kinder geboren werden, hat nichts mit einem Perinatalzentrum Level 1 zu tun.
Die Geburtenrate in Suhl und Umgebung nimmt, wie in ganz Thüringen, stetig ab. Die Prognosen sind ebenfalls deutlich rückläufig.
In den Landkreisen Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und der Stadt Suhl wurden 2021 insgesamt 1.891 Kinder geboren, 12 Prozent weniger als fünf Jahre zuvor (2.158 Geburten).
Damit reduziert sich auch die Zahl der Extrem-Frühgeborenen , deren Rate in Thüringen in den vergangenen Jahren recht konstant war.
In jüngerer Vergangenheit mussten in Thüringen aufgrund von Fachärzte- und Hebammenmangel bereits Geburtskliniken geschlossen werden. Die Klinikstrukturen müssen sich nach den vorhandenen Qualitätsstandards und den demografischen Entwicklungen richten.
Wegstrecken und Fahrtzeiten sind vertretbar
Behauptet wird: Wenn es in Suhl kein Perinatalzentrum Level 1 mehr gibt, werden die Entfernungen zum nächsten Level-1-Zentrum für betroffene Familien zu lang.
Richtig ist: Die festgelegte Mindestmenge von 25 ist bereits ein Kompromiss zwischen Qualität und Erreichbarkeit . Der G-BA hat eine Mindestmenge im mittleren Bereich gewählt und dabei potenzielle Risiken durch Wegstrecken- und Fahrzeitverlängerung bereits in die Überlegung einbezogen (siehe Begründung S. 23 ff).
Außerdem ist die Betreuung extremer Frühgeburten nicht nur eine hochspezialisierte und komplexe Leistung, sondern geschieht auch selten spontan. Deswegen ist davon auszugehen, dass betroffene Schwangere bei der Wahl von Perinatalzentren bundesweit vergleichen und bereits selbst auch weiter entfernte Kliniken mit mehr Erfahrung in ihre Überlegung einbeziehen.
Südthüringerinnen und Südthüringer scheinen sich nicht nur bei den deutlich zu frühen Geburten auch nach Mittelthüringen, Hessen oder Bayern zu orientieren. In den Landkreisen Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und in der Stadt Suhl kamen in den vergangenen Jahren deutlich mehr Kinder zur Welt als in den drei Geburtskliniken im Einzugsbereich, nämlich Suhl, Meiningen und Sonneberg, verzeichnet wurden.
Zudem geben unsere südlichen Nachbarn ein gutes Beispiel, dass die Versorgung auch bei größeren Distanzen funktionieren kann: Die Steiermark in Österreich ist nur rund 200 km2 größer als Thüringen und hat etwas mehr als halb so viele Einwohner. Mit den Bergen in Südthüringen, die häufig als ein Grund genannt werden, wieso Kliniken in der weiteren Umgebung schlecht zu erreichen seien, kann das österreichische Bundesland gut mithalten. In der Steiermark gibt es ein Perinatalzentrum Level 1, nämlich in Graz.