"Versorgungsforschung muss unabhängig erfolgen"
Artikel aus Sachsen-Anhalt
Gastbeitrag von Prof. Dr. Uwe Ebmeyer, Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, über wissenschaftliche Ansätze für eine optimale Gesundheitsversorgung.
Das deutsche Gesundheitswesen ist eines der stabilsten und leistungsstärksten der Welt. Gleichzeitig hat uns die Coronapandemie mit ihren Folgen die Stärken und Schwächen des bestehenden Systems aufgezeigt. Das Gesundheitssystem ist nicht homogen und im ständigen Wandel. Herausforderungen, wie die demografische Entwicklung, die Digitalisierung oder der Klimawandel, verändern die Variablen des Systems ständig. Hinzu kommen der politische Einfluss und die finanziellen Grenzen und Engpässe. Medizinische Forschung und medizinische Neuerungen verändern zugleich die bestehenden Möglichkeiten.
Ständiger Änderungsprozess
All das sind Stellschrauben, die das System sich in einem ständigen Änderungsprozess befinden lassen. Zu ergründen, welche Auswirkungen dies für die Versorgung hat, ist eine essenzielle Aufgabe, denn wir Ärztinnen und Ärzte verfolgen das Ziel, jeden Menschen im Falle einer Krankheit optimal und bestmöglich zu versorgen und zu behandeln. Wie aber kann festgestellt werden, wie eine optimale Versorgung aussieht? Genau hier setzt die Versorgungsforschung an, die sich mit diesem Thema wissenschaftlich und praxisbezogen beschäftigt. Die dabei zutage kommenden Erkenntnisse müssen schnell in der Versorgung ankommen. Eine bessere Anbindung und Kooperation mit der klinischen Forschung wird aktuell daher - zu Recht - diskutiert.
Im Idealfall bedeutet Versorgungsforschung nicht, dass sie die Auswirkungen der veränderten Stellschrauben untersucht, sondern, insbesondere im Hinblick auf politische Entscheidungen, diesen zuvor als Entscheidungsgrundlage dient.
Eine derzeit aktuell angestrebte Ambulantisierung der bislang stationär erbrachten Operationen beruht zum Teil auf Ergebnissen bereits erfolgter Versorgungsforschung. Dass die Umsetzung dennoch nicht immer optimal verläuft, zeigen die derzeitigen Diskussionen. Die Versorgungsforschung muss daher - egal wie weitreichend die Umsetzung ausgestaltet sein wird - die tatsächlichen Auswirkungen auf die Versorgung aufarbeiten, um schnelle Erkenntnisse für eine verbesserte zukunfts- und bedürfnisgerechte Versorgung der Patienten zu erzielen.
Nachholbedarf bei der Digitalisierung
Das deutsche Gesundheitssystem hat im Bereich der Digitalisierung einen erheblichen Nachholbedarf. Nicht zuletzt, weil der Datenschutz häufig zum Selbstzweck verkommt und sinnvolle Projekte ausbremst. Wir erleben bereits heute, wie notwendig es ist, dass die Entwicklungen und Rahmenbedingungen eng mit der tatsächlichen Versorgungssituation gekoppelt werden. Projekte, die an der Versorgungssituation oder der Infrastruktur vorbeigeplant werden, werden im Gesundheitssystem lediglich hohe Kosten, aber kaum Nutzen erzeugen. Dies gilt es zu vermeiden.
Es gibt unzählige Gebiete im Gesundheitssektor, welche einer guten strukturierten Versorgungsforschung bedürfen. Ich möchte es bei den genannten Beispielen belassen.
Flächenland mit Herausforderungen
Abschließend möchte ich aber einen Aspekt benennen, der für mich - und ich denke hier spreche ich für die gesamte Ärzteschaft - entscheidend ist: Versorgungsforschung muss unabhängig erfolgen. Das ist eine Herausforderung, da Forschungsvorhaben häufig finanziell aufwendig sind. Für Forschungsergebnisse, die dem Gesundheitswesen und insbesondere der Patientenversorgung wirksam zu Gute kommen sollen, ist dies aber notwendig. Die Bundesärztekammer (BÄK) führte auf der Grundlage eines Beschlusses des 108. Deutschen Ärztetages aus dem Jahr 2005 ein Programm zur Förderung der Versorgungsforschung ein. Hier wurden in der Vergangenheit beispielsweise viele ärztliche und medizinische Leitlinien evaluiert oder implementiert.
Sachsen-Anhalt als Flächenland mit eigenen Herausforderungen und demografischen Eigenheiten ist nahezu ideal für die Versorgungsforschung geeignet. Diese findet, insbesondere an beiden Universitätsstandorten, bereits eindrucksvoll statt.
Wir können daher positiv in die Zukunft blicken, wenn im eigenen Land die Versorgungsforschung einen so großen Stellenwert genießt und die Versorgung aktiv positiv beeinflussen kann.
Zur Person
Prof. Uwe Ebmeyer ist stellvertretender Klinikdirektor und leitender Oberarzt der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Im Juli 2011 wurde er zum Vizepräsidenten der Ärztekammer Sachsen-Anhalt gewählt, seit 2021 vertritt er das oberste Gremium der Ärzteschaft in Sachsen-Anhalt als Präsident. Der Anästhesist und Notfallmediziner ist in verschiedenen Gremien und Ausschüssen tätig. So ist er unter anderem. seit 2000 Mitglied der Gruppe Leitender Notärzte der Landeshauptstadt Magdeburg und seit vielen Jahren Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin.