"Zahlreiche Gesetze der vergangenen Jahre kosten die GKV dauerhaft viel Geld".
Interview aus Sachsen-Anhalt
Im Interview spricht Thomas Thierhoff, Leiter des Geschäftsbereichs Finanzen und Controlling der Techniker Krankenkasse, über die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung und was er für eine solide Haushaltsplanung grundsätzlich als notwendig erachtet.
TK: Während der vom Bundesministerium für Gesundheit festgelegte durchschnittliche Zusatzbeitragssatz zum Jahreswechsel gestiegen ist, hat die TK ihren Beitrag stabil gehalten. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Thomas Thierhoff: Zum einen ist es uns wichtig, unsere Versicherten in Zeiten von Inflation und Energiekrise nicht noch weiter zu belasten. Zudem ist es so, dass die Politik im vergangenen Jahr erneut entschieden hat, Reserven der Krankenkassen einzuziehen, um damit das strukturelle Finanzdefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung, kurz GKV, auszugleichen. Das halten wir für ungerecht, denn es ist das Geld der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Außerdem werden dadurch gut wirtschaftende Kassen bestraft.
Die Entscheidung der Politik, dass Kassen nur noch geringe Reserven vorhalten sollen, geht gegen unsere Überzeugung. Vor diesem Hintergrund haben wir uns jedoch dazu entschieden, unsere Rücklagen jetzt dafür zu nutzen, den TK-Beitragssatz stabil zu halten, bevor das Geld wieder von der Politik eingezogen beziehungsweise anders ausgedrückt den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern weggenommen wird.
Weitere Faktoren, die dazu führen, dass wir den Beitragssatz stabil bei 15,8 Prozent halten konnten, sind unsere solide Finanzplanung der vergangenen Jahre und unsere schlanken Prozesse.
TK: Wie steht es insgesamt um die Finanzlage der GKV?
Thierhoff: In der GKV gibt es ein strukturelles Defizit in Milliardenhöhe. Für dieses Jahr musste ein zweistelliges Milliardenloch gestopft werden - vor allem aus den Taschen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Bei den Ursachen für diese Finanzlücke gibt es mehrere Faktoren: Die Ausgaben in der GKV steigen seit Jahren deutlich stärker als die Einnahmen. Die Menschen werden älter und es gibt neue Therapiemöglichkeiten.
Ein großer Teil des Ausgabenanstiegs ist aber auch politisch hausgemacht: Zahlreiche Gesetze der vergangenen Jahre kosten die GKV dauerhaft viel Geld. Zudem verschiebt die Politik immer wieder Kostenblöcke zu den Kassen, die zu tragen eigentlich Aufgabe des Staates ist.
TK: Was muss jetzt passieren?
Thierhoff: Wir brauchen nun dringend Lösungen, die die GKV-Finanzen langfristig stabilisieren. Das BMG soll bis Ende Mai Empfehlungen für eine nachhaltige GKV-Finanzierung vorlegen, und es soll ein entsprechendes Gesetz geben. Längst überfällig ist aus unserer Sicht, dass der Staat kostendeckende Sätze für Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld zahlt. Hier fehlen der GKV jährlich allein mehr als zehn Milliarden Euro. Und ganz klar ist auch: Bei allen künftigen gesundheitspolitischen Initiativen müssen die finanziellen Auswirkungen unbedingt mitgedacht werden.
TK: Sachsen-Anhalt ist das Bundesland mit dem höchsten Altersdurchschnitt. Inwiefern preisen Sie die demografische Entwicklung in die Finanzplanung ein?
Thierhoff: Als bundesweite Kasse müssen wir selbstverständlich immer sämtliche Effekte, also auch die Summe von regionalen Besonderheiten aus den Bundesländern, in unsere Haushaltsplanung einfließen lassen. Im Rahmen der Finanzplanung nutzen wir zum Beispiel sogenannte Altersstrukturmodelle, um die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die TK insgesamt für verschiedene Leistungsbereiche zu prognostizieren.
TK: Eine Frage zum Abschluss: Was ist grundsätzlich wichtig, damit eine solide Haushaltsplanung möglich ist?
Thierhoff: Verlässlichkeit der Politik. Das war gerade in den letzten Jahren durch die vielfachen kurzfristigen Eingriffe des Gesetzgebers in die finanziellen Rahmenbedingungen der Kassen nicht immer gegeben. Wichtig für uns Krankenkassen ist, dass politische Entscheidungen, die die Finanzen der GKV im kommenden Jahr betreffen, rechtzeitig feststehen, sodass wir diese dann in unsere Haushaltsplanung im Herbst einbeziehen können. Insgesamt gilt für Krankenkassen natürlich auch, dass die Planungen durch die vielen wirtschaftlichen Unwägbarkeiten - zum Beispiel die Inflation und die Energiepreise - schwieriger geworden sind.
Zur Person
Thomas Thierhoff ist Bank- und Diplom-Kaufmann und seit 2011, zuerst als Geschäftsbereichsleiter Finanzen, und seit 2017 als Leiter des Geschäftsbereiches Finanzen und Controlling der Techniker Krankenkasse (TK) hauptverantwortlich für den Etat der Kasse. Dieser beträgt im Jahr 2023 mehr als 51 Milliarden Euro. Davon entfallen allein 40 Milliarden Euro auf den Bereich Krankenversicherung und weitere 8,4 Milliarden Euro auf die Pflegeversicherung.