Land der Forschung und Innovation
Interview aus Sachsen-Anhalt
Interview mit Prof. Dr. Armin Willingmann, Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt.
TK: Herr Prof. Dr. Willingmann, obwohl Sachsen-Anhalt mit rund 2,2 Millionen Menschen zu den bevölkerungsärmeren Bundesländern gehört, verfügt es über zwei Universitäten. Welche Prognose geben Sie, mit Blick auf die angespannte Haushaltslage und die rückläufige Bevölkerungszahl, für deren zukünftige Entwicklung innerhalb der nächsten zehn Jahre?
Prof. Dr. Armin Willingmann: Sachsen-Anhalt ist ein Land der Forschung und Innovation. Damit das so bleibt, fördert die Landesregierung auch in finanziell angespannten Zeiten wissenschaftliche Exzellenz sowie den Wissenstransfer in verschiedenen Zukunftsbereichen wie Medizin, Biotechnologie oder Digitalisierung - und das weiterhin auf hohem Niveau. Klar ist aber auch, dass sich unsere Universitäten in den nächsten Jahren weiter spezialisieren und enger kooperieren müssen, um attraktiv und wettbewerbsfähig zu bleiben. Dabei gilt es insbesondere, noch mehr "kluge Köpfe" für die Wissenschaft im Land zu gewinnen.
Unsere Universitäten, wie auch die Hochschulen für angewandte Forschung und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, sind als zentrale Innovationsakteure eng mit ihrem wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld verbunden und darüber hinaus vor allem in der Forschung weltweit vernetzt. Das sind gute Voraussetzungen, um Lösungen für die wichtigen Fragen unserer Zeit zu finden. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem Klimaschutz, Digitalisierung, Energieversorgung und Fachkräftesicherung. Und letztlich trägt die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen ja auch dazu bei, dass vermehrt Großunternehmen und nicht zuletzt auch Weltkonzerne wie etwa der US-Chiphersteller Intel nach Sachsen-Anhalt kommen.
TK: Wie innovativ ist Sachsen-Anhalts Wissenschaft gerade beim Thema Medizin und Gesundheit? Welche besonderen Leuchtturm-Projekte hat das Bundesland und wie beurteilen Sie ihre Ausstrahlung über die Landesgrenzen hinaus?
Willingmann: Da gibt es eine ganze Menge herausragender Projekte. Das Center für Behavioral Brain Sciences an der Uni Magdeburg etwa steht für neurowissenschaftliche Spitzenforschung und zieht Forschende von Weltruf in die Landeshauptstadt. Außerdem gibt es beispielsweise den Forschungscampus STIMULATE, der bei medizintechnischer Forschung und Entwicklung in der Champions League spielt. Daneben fokussiert sich die Medizinische Fakultät in Magdeburg auch auf weitere zukunftsstarke Gebiete wie Immunologie oder Molekulare Medizin der Entzündung - gebündelt in einem eigenen Gesundheitscampus. Diese Schwerpunkte werden auch in Kooperation mit den starken Forschungsinstituten von Fraunhofer, Max-Planck oder Leibniz in der Landeshauptstadt vorangetrieben.
Am Universitätsstandort in Halle stehen vor allem die Erforschung und Anwendung von Zell- und Gentherapien sowie Immuntherapien für Krebs, Infektionen und Autoimmunerkrankungen im Vordergrund - vorangetrieben von der Medizin-Fakultät der Uni Halle sowie dem dortigen Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie. Wichtig sind hier zudem der pflegewissenschaftliche Schwerpunkt zur Unterstützung älterer und chronisch erkrankter Menschen, die interprofessionelle Forschung in der Onkologie sowie Hebammenwissenschaft und Versorgungsforschung.
TK: In der Forschung läuft häufig Vieles zweigleisig. Wo sehen Sie hier Potential und Spielräume für eine engere Zusammenarbeit - nicht nur der Universitäten - speziell im Bereich der Medizin?
Willingmann: Diese Zusammenarbeit wird in Sachsen-Anhalts Wissenschaft bereits an vielen Stellen gelebt. Stellvertretend im Medizinbereich steht etwa der Verbund "Autonomie im Alter". Hier engagieren sich Forschende aus verschiedenen Fachdisziplinen schon seit 2016 für das Ziel, praxisbezogene Strategien zur Gestaltung des demografischen Wandels in den Regionen zu entwickeln. Um einen Beitrag für mehr Autonomie in späteren Lebensphasen zu leisten, wurden landesweit insgesamt 48 Forschungsprojekte mit Fördermitteln von Land und EU unterstützt. Diese Förderung wollen wir auch in der neuen EU-Strukturfondsperiode fortsetzen. Aber natürlich ist der Ruf nach mehr Zusammenarbeit durchaus berechtigt. Dem wollen wir auch Rechnung tragen. So sollen etwa die Kompetenzen von Biowissenschaften und Immunologie an unseren zwei Medizin-Fakultäten noch stärker gebündelt werden.
TK: Viele junge Menschen verlassen nach ihrer Ausbildung Sachsen-Anhalt. Wie fördert das Bundesland insbesondere Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, um diese zu halten oder in das Land zu holen, und damit beispielsweise auch die Gründung von Startups im Bereich digitaler Gesundheit, Medizintechnik und Ähnlichem voranzutreiben? Gibt es hier konkrete Maßnahmen?
Willingmann: Die Abwanderung junger Menschen nach der Ausbildung ist auch für unsere Wissenschaftslandschaft eine enorme Herausforderung. Um Wissenschaftsnachwuchs zu halten oder ins Land zu holen, gibt es ganz unterschiedliche Initiativen, die vor allem die Forschungsförderung und die Vernetzung mit der Wirtschaft in den Blick nehmen. Die Maßnahmen sind vielfältig und reichen von der Unterstützung der Nachwuchswissenschaftlerkonferenz in diesem Jahr an der Hochschule Harz bis hin zur Begleitung von ambitionierten Forschenden in Förderwettbewerben.
Dass Auszeichnungen wie etwa die begehrten "Starting Grants" des Europäischen Forschungsrats zunehmend nach Sachsen-Anhalt gehen, zeigt eindrucksvoll: Unser Land ist ein attraktiver Standort für Spitzenforschung. Und schließlich haben wir Mitte 2021 auch unser Hochschulgesetz modernisiert. Schwerpunkt dabei sind die Erleichterungen für Hochschulen, die sich an Startups beteiligen wollen. Last not least haben wir die Voraussetzungen für zusätzliche Stellen an allen staatlich finanzierten Hochschulen des Landes geschaffen, damit diese mehr junge Menschen für eine wissenschaftliche Tätigkeit in Sachsen-Anhalt gewinnen können. Dies alles wird dazu beitragen, vermehrt junge Wissenschaftler im Land zu halten sowie zusätzlich die Gründung von Unternehmen voranzutreiben, auch in Bereichen wie digitale Gesundheit oder Medizintechnik.
Zur Person
Prof. Dr. Armin Willingmann wurde 1963 in Dinslaken/Niederrhein geboren und ist seit September 2021 Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt und erster stellvertretender Ministerpräsident. Bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode von 2016 bis 2021 führte der SPD-Politiker das Haus als Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt. Seit 2020 ist Willingmann stellvertretender Landesvorsitzender der SPD Sachsen-Anhalt.