Wo der Klimawandel auch einen Wetterexperten überrascht hat
Interview aus Baden-Württemberg
Karsten Schwanke ist als Wetterexperte der ARD seit Jahren bekannt. Im Interview erklärt er anhand von Baden-Württemberg, auf welche Szenarien wir mit welcher Erderwärmung zusteuern und warum Klimaschutz auch Gesundheitsschutz ist. Außerdem spricht er über das Jahr 2018 und warum das so einschneidend für Deutschland und Westeuropa war.
TK: Herr Schwanke, Sie sind seit über 30 Jahren beruflich im Feld der Meteorologie unterwegs. Wie hat sich der Beruf, aber auch das Klima seither verändert?
Karsten Schwanke: Fangen wir mit dem Beruf an. Der hat sich insofern verändert, dass ich als Wetterexperte heute auch immer wieder über das Klima sprechen muss. Rein wissenschaftlich müsste man diese beiden Themen trennen, denn bei der Klimaforschung geht es um Temperatur-Mittelwerte von mehreren Jahrzehnten und das Wetter ist eben die Momentaufnahme. Ich habe aber gelernt, dass wir das eben doch in einen Topf werfen müssen, denn den Klimawandel erkennen wir nicht nur in Statistiken, sondern er ist auch deutlich im täglichen Wetter zu erleben.
Nun zur Veränderung des Klimas. Viele Menschen verstehen nicht, warum es um die Begrenzung von jedem Zehntelgrad Erderwärmung geht. An einem Tag im Oktober ist es ja erstmal kein Drama, wenn es statt 13 eben 15 Grad sind. Doch wir sprechen hier von 30-jährigen Mittelwerten und das hat eben große Auswirkungen.
Während es von 1960 bis 2020 eine mittlere Erwärmung um "nur" 0,8 Grad gab, sind in Deutschland die Hitzewellen um vier bis fünf Grad heißer geworden.
Was das für explizite Auswirkungen hat, können wir auch anhand von Daten für Baden-Württemberg sehen. In Stuttgart gab es in den 60er und 70er Jahren noch Sommer, in denen nicht einmal die 30-Grad-Marke geknackt wurde. Heute sind wir im Mittel bei Höchsttemperaturen um 36 Grad - mit Ausreißern in Richtung 39 Grad. Am Oberrhein in Mannheim und Karlsruhe geht es sogar in Richtung 40 Grad.
Wir werden Hitzewellen im Bereich von 40 Grad haben.
Bei einer weiteren Erwärmung werden wir in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts - also nach 2050 - regelmäßig Hitzewellen im Bereich von 40 Grad haben mit Ausreißern in Richtung 43 bis 45 Grad. Und darauf sind weder die Menschen noch die Infrastruktur vorbereitet.
Ich muss auch gestehen, ich bin selbst etwas von der rasanten Entwicklung überrascht worden. Bis 2017 hätte ich gesagt, dass wir in Westeuropa noch lange von den krassen Auswirkungen verschont bleiben. Doch dann kam 2018 und wir hatten ein halbes Jahr Hochdruck-Wetter, die gesamte Wetterzirkulation der Nordhalbkugel hat stillgestanden. Jetzt hatten wir in den vergangenen fünf Jahren vier Dürrejahre. Dieses Extremwetter hatte ich bei einer globalen Erwärmung von einem Grad bei uns nicht erwartet. Das zeigt, wohin wir mit einer Erwärmung von drei Grad und mehr steuern würden.
TK: Sie sind auch für Reportagen viel unterwegs. Welcher Moment ist Ihnen im Gedächtnis geblieben, bei dem Sie die Auswirkungen des Klimawandels mit eigenen Augen gesehen haben?
Schwanke: Da möchte ich gerne drei Beispiele nennen. Ich stand diesen Sommer mitten in einem ausgetrockneten See in Österreich, wo die schlimmste Dürre seit 100 Jahren herrschte. Außerdem kann man es sehr gut an den Alpengletschern sehen. Die haben innerhalb der letzten 20 Jahre ein Drittel ihres Volumens durch Schmelze verloren. Das sieht man, wenn man davorsteht, nicht direkt. Aber wenn man sich dann die eigenen Fotos von vor einigen Jahren ansieht, sind die Unterschiede gravierend. Als letztes Beispiel fällt mir Spitzbergen ein. Dort habe ich im April 2018 oder 2019 gedreht und war richtig erschrocken. Normalerweise gibt es zu dieser Zeit dort strengen Frost, aber Spitzbergen hat sich so sehr erwärmt wie kaum eine andere Gegend. Daher hatten wir damals tatsächlich Tauwetter.
TK: Man hört immer wieder den Slogan "Klimaschutz ist Gesundheitsschutz". Können Sie diesen so unterschreiben und wenn ja, was sind aktuell und in absehbarer Zukunft die grundlegendsten Gefährdungen durch den Klimawandel.
20 bis 30 Prozent der Betroffenen von Hurrikanen entwickeln eine Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung.
Schwanke: Ja definitiv! Neben den vielen Hitzetoten, die wir in den Hitzewellen jedes Jahr zu beklagen haben, gibt es auch weitere eindeutige Hinweise. So wurde im letzten Weltklimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change - auch Weltklimarat genannt - erstmals das Thema Gesundheit erfasst. Und das aus einem guten Grund. Studien besagen, dass Extremwetter-Ereignisse neben den vielen direkten Folgen wie Verletzungen oder Unfällen auch viele psychische Erkrankungen auslösen. So entwickeln 20 bis 30 Prozent der Betroffenen von Hurrikanen, also tropischen Wirbelstürmen, eine Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung. Bei Kindern ist die Quote noch höher. Andere Studien sprechen sogar von 50 Prozent.
Ein weiterer Faktor ist die Verbreitung tropischer Krankheiten. Während die Asiatische Tigermücke, die unter anderem das Dengue-Fieber übertragen kann, 2004 erstmals in Frankreich nachgewiesen wurde, scheint sie sich nun angesiedelt zu haben. 2022 wurden 41 Fälle des Dengue-Fiebers in Frankreich gemeldet, die nicht durch eine Reise zustande kamen. Vermutlich waren dafür diese Mücken verantwortlich. Das heißt, das wird in Zukunft auch auf uns vermehrt zukommen. Das alles zeigt, wir schützen mit Klimaschutz auch das Leben der Menschen.
Zur Person:
Karsten Schwanke ist Meteorologe und Wetter-Moderator der ARD. Seit seinem Studium an den Universitäten in Berlin und Hamburg ist er dem Wetter treu geblieben. Heute moderiert er nicht nur das Wetter vor Acht, sondern produziert auch Reportagen und Wissenschaftssendungen.