Ergebnisbericht der Enquetekommission
Interview aus Niedersachsen
Der Ergebnisbericht der Enquetekommission ist nach zweijähriger, intensiver Arbeit abgeschlossen. Wir fragten die gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen im Niedersächsischen Landtag zum Bericht und wie es damit weitergeht.*
TK: Mit dem Ergebnisbericht liegen eine umfangreiche Analyse und konkrete Verbesserungsvorschläge für die Weiterentwicklung des niedersächsischen Gesundheitssystems vor. Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf und was sollte noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden?
Uwe Schwarz: Es ist die gemeinsame Verpflichtung aller verantwortlichen Akteurinnen und Akteure, die erzielten Ergebnisse der Enquete-Kommission jetzt im Parlament und am Verhandlungstisch zügig anzugehen und umzusetzen. Der Abschlussbericht darf nicht bloß als Dokument der Zeitgeschichte abgeheftet werden.
Insbesondere wegen der Corona-Pandemie stehen derzeit natürlich Maßnahmen im Fokus, die auf die Bewältigung dieser Krise abzielen. Ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und an die rasche Umsetzung der Maßnahmen aus dem 'Pakt für den ÖGD' auf Landesebene. So können die vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlastet und die Abläufe in den Gesundheitsämtern weiter verbessert werden.
Nicht weniger wichtig ist jetzt allerdings auch die schnelle Umsetzung der Kommissions-Empfehlungen für die medizinische Regelversorgung. Erste Schritte sind dabei aus meiner Sicht: die Neuausrichtung der Landeskrankenhausplanung und Maßnahmen zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung auf dem Land. Ferner die Nachwuchsgewinnung sowie die Einführung sektorenübergreifender Versorgungsmodelle. Zu Letzterem zählt besonders das eigens durch die Kommission entwickelte Konzept 'Regionales Gesundheitszentrum Niedersachsen'.
Volker Meyer: Zunächst einmal hat die Enquetekommission festgestellt, dass rund 685.000 Beschäftigte des niedersächsischen Gesundheitswesens in Krankenhäusern, Arztpraxen, Gesundheitsämtern, den Rettungsdiensten und zahlreichen Gesundheitseinrichtungen eine landesweite und flächendeckende Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau sicherstellen.
Durch die Novellierung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes sollte das entwickelte Versorgungsstufenkonzept Grundlage für eine bedarfsorientierte und an Versorgungsstufen orientierte Krankenhausplanung werden. Weiterhin muss bei der nächsten Novellierung des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes die verpflichtende Einführung von IVENA vorgeschrieben werden.
Meta Janssen-Kucz: Die Herausforderungen sind vielfältig und wir sollten schnellstmöglich damit beginnen, die Handlungsempfehlungen der Kommission umzusetzen.
Insbesondere bei der Krankenhausfinanzierung, bei der medizinischen Versorgung auf dem Land, in der Geburtshilfe und in der Pflege haben wir die größten Baustellen.
Susanne Schütz: Die große Herausforderung ist das Personal - hier muss schnell gehandelt werden. Wir brauchen eine bessere Entlohnung in der Pflege und mehr Studienplätze für Medizinerinnen und Mediziner.
Zudem kann die Digitalisierung für das Personal Entlastung schaffen - das darf nicht länger warten. Aber auch kleine Bausteine, wie beispielsweise die Vergütung von Geburten, könnten aus unserer Sicht schnell auf den Weg gebracht werden. Die Krankenhausstruktur ist ein großes Rad - auch das müssen wir zum Drehen bringen.
TK: Hat die Corona-Pandemie die Ergebnisse der Enquete beeinflusst - und wenn ja wie?
Uwe Schwarz: Die Corona-Pandemie hat das gesellschaftliche Leben und besonders die Gesundheitsversorgung vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Obwohl die Arbeit der Kommission Mitte 2020 nahezu abgeschlossen war, wurde sie - vor diesem Hintergrund - erneut auf den Prüfstand gestellt. Erkenntnisse aus der Pandemie und entsprechende Handlungsempfehlungen wurden daraufhin in den Bericht miteinbezogen.
Wir hätten wohl alle gerne auf diese Krise verzichtet. Was die Qualität der Ergebnisse und die Arbeitsweise betrifft, hat Corona diese Enquete allerdings positiv befeuert. Die Pandemie hat, wie mit einem Brennglas, die Schwächen, aber auch die Stärken unseres Gesundheitssystems aufgezeigt. In der Zusammenarbeit war plötzlich Pragmatismus und schnelles Handeln gefordert - insbesondere sektorenübergreifend wie beispielsweise beim Thema Digitalisierung oder beim Öffentlichen Gesundheitsdienst. Auch die erhöhte Bereitschaft, in dieser für alle noch nie dagewesenen Ausnahmesituation, enger zusammenzurücken und festgefahrene Standpunkte noch einmal zu überdenken, war bei allen Mitgliedern deutlich spürbar.
Volker Meyer: Durch Corona hat die Enquetekommission die debattierten Problemlagen und Maßnahmen unter einem neuen Gesichtspunkt betrachtet. Zunächst waren Themen wie der öffentliche Gesundheitsdienst oder telemedizinische Angebote nur Randthemen. Während der Corona-Krise erfuhren diese Themen einen Schub, den kaum eine politische Maßnahme hätte initiieren können.
Der erhöhte Effizienzdruck im Gesundheitswesen durch die Covid-19-Pandemie kann als Antrieb nutzbar gemacht werden. Beispielsweise für eine, seit langem fällige Überwindung hergebrachter Versorgungsstrukturen und für die Entwicklung innovativer Ansätze in der Regelversorgung.
Meta Janssen-Kucz: Definitiv! Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass unser Gesundheitssystem auch für Krisen gewappnet ist, gleichzeitig aber auch deutlich gemacht, wie wichtig qualifiziertes Personal und gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen sind. Das betrifft insbesondere die Pflegeberufe, aber auch den öffentlichen Gesundheitsdienst. Hier haben wir großen Handlungsbedarf.
Susanne Schütz: Die Corona-Pandemie hat den Blickwinkel auf die medizinische Versorgung verändert und damit die Arbeit des Ausschusses geprägt. Der Berichtsteil über den öffentlichen Gesundheitsdienst wäre ohne Pandemie sicherlich anders ausgefallen. Jetzt ist seine Bedeutung in der Daseinsvorsorge aber ohne Zweifel. Im Bereich der stationären Versorgung, in dem die Kommission eine Vielzahl an Vorschlägen zur Weiterentwicklung erarbeitet hat, wurde uns aufgezeigt, wie wichtig gut ausgestattete Krankenhäuser auf der Stufe der Maximalversorger sind. Hier muss die Arbeit weiter gehen, damit ausreichend pflegerisches Personal, beste medizinische Ausstattung und eine 24/7 Vorhaltung von Fachärztinnen und Fachärzten sichergestellt ist.
TK: Was war Ihr wichtigster Kompromiss, den Sie eingegangen sind und umgekehrt: Bei welchen Themen gab es die höchste Übereinstimmung unter den Mitgliedern?
Uwe Schwarz: Eine entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit der Enquete-Kommission war die Einigkeit aller Mitglieder. Einigkeit darüber, dass sich grundsätzlich etwas in unserem Gesundheitssystem ändern muss, wenn wir auch zukünftig gut versorgt sein wollen. Vor diesem Hintergrund gab es bei schätzungsweise 95 Prozent der Handlungsempfehlungen eine Übereinstimmung unter allen Mitgliedern. Unser konsensorientierter Ansatz war also richtig. Der einstimmige Beschluss am Ende ist ein großartiges Ergebnis, auf das alle Beteiligten zu Recht stolz sein können.
Widerstände gab es meist dort, wo mit Vorschlägen auch Zuständigkeiten und Finanzierungslogiken berührt waren. Beispielsweise bei der Infragestellung der sogenannten doppelten Facharztschiene. Intensiv diskutiert wurde auch die Frage, ob allein das Vorhandensein eines Krankenhauses - unabhängig von seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit - per se ein Zeichen guter Versorgung in einer Region ist. Oder ob in Regionen, in denen Krankenhäuser nicht dauerhaft betrieben werden können, alternative Versorgungsmodelle zu einer besseren Versorgung führen können.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch diese sehr strukturellen Themen endlich ansprechen und angehen müssen. Ein grundlegender Wandel kann gelingen. Für eine zukünftige medizinische Versorgung sollten wir alle gemeinsam den Menschen Perspektiven aufzeigen und nicht mit Schreckensszenarien Verlustängste befördern.
Volker Meyer: Der wichtigste Kompromiss war für uns, die Notwendigkeit der in Deutschland vorgehaltenen 'doppelten Facharztschiene' zu prüfen. Im Kontext zukünftiger sektorenübergreifender Versorgungsplanungen. Hohe Übereinstimmung gab es bei der Modellentwicklung der regionalen Gesundheitszentren als zukünftige Versorgungsform.
Meta Janssen-Kucz: Beim Thema sektorenübergreifende Versorgung gab es große Übereinstimmungen. Da haben wir sehr gute Lösungen erarbeitet. Bei den Themen Pflege und Geburtshilfe hätte ich mir allerdings etwas Mut gewünscht, um insbesondere die Personalausstattung zu verbessern. Deshalb habe ich auch ein Sondervotum abgegeben.
Susanne Schütz: Den größten Kompromiss sind wir eingegangen bei der Zusammenlegung der Notfallnummer 112 sowie den Servicenummern 116 und 117 für die Terminvergabe des ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Wir unterstützen die aktuellen Aufgaben und Funktionen der 116/117, sehen aber keine ausreichende Abgrenzung zur Nummer 112, da diese auch Aufgaben und Funktionen abseits der medizinischen Versorgung übernimmt. Große Diskussionen gab es auch zur Frage der Wirtschaftlichkeit im Gesundheitssystem. Hier mussten wir Kompromisse eingehen mit den Befürwortern der "Füllhorn-Politik".
Die höchste Übereinstimmung in der Kommission gab es beim Thema Digitalisierung und der Einführung sowie dem Nutzen der elektronischen Patientenakte.
TK: Vielen Dank!
*Reihenfolge der Antworten nach Fraktionsstärke.