Warum die Manipulationsbremse so wichtig ist
Interview
Im Finanzausgleich der Kassen sind Diagnosen entscheidend für die Zuweisungen. Mit dem "Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung" (GKV-FKG) wurde eine Manipulationsbremse eingeführt, um auffälligen Anstiegen bei bestimmten Diagnosen entgegenzuwirken. TK-Expertin Dr. Barbara Bertele erläutert, wie die Manipulationsbremse wirkt - und warum sie im jetzt gültigen Vollmodell dringend notwendig ist.
TK: Mit dem GKV-FKG wurde auch eine Manipulationsbremse eingeführt. Wie funktioniert sie?
Dr. Barbara Bertele: Die Manipulationsbremse ist die politische Antwort auf Kodierbeeinflussung durch Krankenkassen. Ziel dieser Beeinflussung ist, über mehr relevante Diagnosen höhere Zuweisungen zu erhalten. Die Bremse stoppt vorrübergehend die Zuweisungen für Diagnosen, deren Fallzahlen auffällig stark ansteigen.
TK: Können Diagnosen nicht auch aus anderen Gründen häufiger gestellt werden?
Bertele: Ja, natürlich können steigende Fallzahlen auch medizinische Ursachen haben. Aber zum einen reden wir von Anstiegen von mindestens 50 Prozent über dem Durchschnitt. Das ist schon eine steile Kurve. Zum anderen wird im Rahmen der Manipulationsbremse auch geprüft, ob es eine medizinische oder diagnostische Erklärung für diese Entwicklung gibt. Ist das der Fall, greift die Bremse nicht.
TK: Die Manipulationsbremse wird ab dem Jahresausgleich 2021 bei allen Kassen angewendet. Reicht es nicht, nur bei auffälligen Kassen einzugreifen?
Bertele: Vielleicht erscheint es auf den ersten Blick nicht einleuchtend, aber von einer GKV-weiten Bremse haben insbesondere die Kassen etwas, die keine Kodierungen beeinflussen. Denn: Die Zuweisungen entfallen in den stark beeinflussten Morbiditätsgruppen und werden auf die unauffälligen Gruppen verteilt. Dadurch profitieren die Regelkonformen.
TK: Wird mit dem nun eingeführten Vollmodell die Manipulationsbremse überflüssig?
Bertele: Im Gegenteil, gerade ein Vollmodell braucht die Manipulationsbremse. Ein bekanntes Phänomen ist, dass Krankheiten, sobald sie RSA-Zuweisungen auslösen, immer häufiger dokumentiert werden - im Vollmodell also alle Erkrankungen. Zwar gibt es dann je Krankheit weniger Geld. Eine effizient durchgeführte Kodierbeeinflussung bleibt jedoch lukrativ.
Stichwort "HMG"
Hierarchisierte Morbiditätsgruppen (HMG) sind Teil der Berechnungslogik im Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich ("Morbi-RSA"). Sie clustern Diagnosegruppen nach Schweregraden und bilden die Basis für die Berechnung der morbiditätsbedingten Zuweisungen.
Blogbeitrag zur Manipulationsbremse
Hier finden Sie Infografiken zum Risikostrukturausgleich.
Mehr zum Morbi-RSA
Wo exakt liegen die Probleme im Morbi-RSA? Und welche Vorschläge hat die TK, diese zu beheben? Mehr Infos dazu auf den TK-Themenseiten zur RSA-Reform .