TK: Frau Austenat-Wied, der Fokus der landespolitischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger liegt gegenwärtig stark auf dem stationären Sektor. Besteht die Gefahr, dass der ambulante Bereich vergessen wird?

Manon Austenat-Wied: Die auf Bundesebene forcierte Krankenhausreform ist logischerweise stark auf stationäre Strukturen ausgerichtet. Allerdings strahlen die Entwicklungen auch in andere Leistungsbereiche ab bzw. adressieren diese ganz direkt. So zielt das im Entwurf enthaltene Konzept der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen darauf ab, die bisherige strikte Grenze zwischen den Sektoren abzubauen.

TK: Bundesgesundheitsminister Lauterbach spricht immer wieder von Qualitätszielen, wenn es um die Krankenhausreform geht. Gelten diese auch für die ambulanten Teile der Reform?

Austenat-Wied: Die an die Leistungsgruppen gekoppelten Qualitätskriterien gelten nicht für die geplanten sektorenübergreifenden Einrichtungen. Damit fehlt es der Reform an Konsequenz. Wenn eine bessere Qualität das erklärte Ziel der Reform ist, dann müssen die entsprechenden Kriterien überall verankert werden. Grundsätzlich wären diese Einrichtungen eine Bereicherung für die Versorgung und eine dringend notwendige Unterstützung für die ambulanten Medizinerinnen und Mediziner.

Manon Auste­nat-Wied

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Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern

TK: Ist die ambulante Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend gewährleistet?

Austenat-Wied: Aus den Rückmeldungen unserer Versicherten und unserem systematischen Monitoring wissen wir, dass die ambulante Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern gut funktioniert. Gleichzeitig erreichen uns aber auch immer mehr Berichte zu fehlenden Fachärztinnen und Fachärzten und Meldungen von langen Wartezeiten auf Termine. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass diese Umstände nicht aus Boshaftigkeit resultieren, sondern das Ergebnis von systemischen Defiziten sind. 


Die optimale Versorgung der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern kann nur gelingen, wenn ambulante und stationäre Strukturen den Versorgungsauftrag gemeinschaftlich verstehen und umsetzen. 
Manon Austenat-Wied

TK: Gibt es aus ihrer Sicht Veränderungen, die dringend realisiert werden müssen?

Austenat-Wied: Mit übergeordnetem Blick fällt mir auf, dass wir alle Veränderungen stärker an dem entstehenden Mehrwert für die Patientinnen und Patienten ausrichten müssen. Die Politik, Verwaltung und Selbstverwaltung müssen Ideen umsetzen, die konkrete Verbesserungen der Versorgung herbeiführen. Das Gesundheitssystem kann keine weiteren Maßnahmen mehr tragen, die Zusatzkosten verursachen und gleichzeitig keinen spürbaren Mehrwert bieten. 

Wenn ich mich in der Versorgungslandschaft umschaue, so ist ein nach vorn gerichtetes lösungsorientiertes Agieren und Kooperieren eher die Ausnahme. Kooperation, sektorenverbindendes Arbeiten und Innovationen sollten die Versorgungslandschaft prägen. Der im Start innovativer Projekte entwickelte Auftrieb, wird oftmals an den Sektorengrenzen verwirbelt. Das verlangt den innovativen Geistern in der Versorgung doppelte Anstrengungen ab. Dabei ist der schonende und wertschätzende Umgang mit der wichtigsten Ressource, den Fachkräften, essentiell. Wenn wir von Fachkräften sprechen, dann geht es sowohl um Fachkräfte, um Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten und um Fachkräfte, Menschen, die mit ihren Familien die Fürsorge des Gesundheits- und Solidarsystems benötigen. Laut statistischem Bundesamt ist fast ein Viertel der Erwerbstätigen in Deutschland zwischen 55 und 64 Jahre alt. Der Nachwuchs ist knapp und wird überall, nicht nur in Deutschland umworben. Wir sind letztlich dafür verantwortlich leistungsfähige Strukturen vorauszudenken und gemeinsam mit der nächsten Generation von Fachkräften auf den Weg zu bringen. 

Eine bessere Gesundheitsversorgung in Mecklenburg-Vorpommern ist realisierbar, wenn wir die vorhandenen Strukturen besser verzahnen und die eingesetzten Ressourcen effizienter nutzen.

TK: Sie spielen damit auch auf die Ausgabenentwicklung an. 

Austenat-Wied: Nur in Sachsen-Anhalt sind die Leistungsausgaben der GKV je Versicherten bzw. je Versicherter höher als in Mecklenburg-Vorpommern. Die Schlussfolgerung müsste dann sein, dass die Menschen nur in Sachsen-Anhalt besser versorgt werden. Ist das so? Oder haben wir seit Jahrzehnten einen Irrweg eingeschlagen, der uns in der Logik gefangen hält, dass Mehrausgaben die Versorgungsdefizite abbauen. Ich möchte damit explizit nicht die hervorragende Arbeit vieler Ärztinnen und Ärzte angreifen, aber auf systemischer Ebene kann es so nicht weitergehen. 

TK: Wie sollte es aus Ihrer Sicht weitergehen?

Austenat-Wied: Wir müssen die vorhandenen fachärztlichen Kapazitäten besser nutzen. Den Patientinnen und Patienten darf die notwendige medizinische Expertise nicht vorenthalten werden, nur weil sie im "falschen" Sektor angesiedelt ist. Das bedeutet für mich ganz klar: Wir müssen die Ärztinnen und Ärzte aus den Krankenhäusern noch stärker in die ambulante Versorgung einbinden. 

Dafür müssen wir zwei Dinge tun. Die bestehenden Instrumente, wie Institutsermächtigungen und persönliche Ermächtigungen bedarfsgerecht stärker nutzen. Sowie die bestehenden strikten Grenzen zwischen den Sektoren abbauen. Wie dies gelingen kann, haben wir in unserem Fachartikel skizziert, den ich den Leserinnen und Lesern sehr ans Herz lege.

TK: Vielen Dank für das Interview und den Lesehinweis.