"Ein soziales Umfeld ist wichtig, auch für die Entscheidung, wo es nach einer Ausbildung hingehen soll"
Interview aus Thüringen
Dana Hartenstein-Drobny unterstützt die Thüringer Sozialwirtschaft dabei, junge Menschen aus dem Ausland zu finden, die im Freistaat arbeiten und leben möchten. Angehende Pflegefachfrauen- und -fachmänner zu gewinnen, gehört zu ihren Hauptaufgaben. Im Interview erzählt sie, worauf es dabei ankommt.
TK: Welchen Stellenwert hat die Unterstützung angehender Pflegefachleute bei Ihrer Arbeit?
Dana Hartenstein-Drobny: Einen sehr großen. Für dieses Jahr ist es die Hauptaufgabe von meiner Kollegin und mir, 30 Auszubildende als Pflegefachfrau bzw. -fachmann aus Vietnam dabei zu unterstützen, in Thüringen einen Ausbildungsplatz zu finden. Wir begleiten sie während der Vorbereitungszeit in Vietnam und auch nach ihrer Ankunft in Thüringen und dem Start ihrer Ausbildung.
TK: Welche Voraussetzungen müssen die jungen Menschen mitbringen, um sich in Thüringen als Pflegefachkraft ausbilden zu lassen und dann hier arbeiten zu können?
Hartenstein-Drobny: Die zukünftigen Auszubildenden müssen die deutsche Sprache auf B2-Niveau beherrschen. Das heißt, sie müssen komplexere Sachverhalte verstehen und sich selbstständig ausdrücken können. Das ist wichtig, um in der Berufsschule mitkommen zu können, aber auch, um Anweisungen von Kollegen verstehen und mit Patienten kommunizieren zu können.
Außerdem müssen die jungen Menschen mindestens einen dem deutschen Realschulabschluss gleichgestellten Schulabschluss vorweisen können. Dieser muss vom TMBJS [A. d. R.: Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport] anerkannt sein.
Zusätzlich werden der Nachweis über bestimmte Impfungen, ein Gesundheitszeugnis und ein erweitertes Führungszeugnis benötigt. Das sind alles Voraussetzungen, die auch jeder deutsche Pflege-Azubi mitbringen muss.
Deutschland hat beispielsweise in Vietnam einen sehr guten Ruf.
TK: Wie leicht oder schwer ist es, junge Menschen aus dem Ausland zu überzeugen, nach Thüringen zu kommen und dann auch hier zu bleiben?
Hartenstein-Drobny: Deutschland hat beispielsweise in Vietnam einen sehr guten Ruf. Die deutsche Berufsausbildung genießt hohes Ansehen und den Menschen ist auch bewusst, dass sie in Deutschland für ihre Arbeit mehr Geld verdienen können als in ihrem Heimatland.
Eine angehende Pflegefachkraft verdient im ersten Ausbildungsjahr in den Unternehmen, die wir in Thüringen betreuen, im Mittel zwischen 1.000 und 1.250 Euro pro Monat.
Die jungen Menschen sehen dies oft auch als eine Möglichkeit, ihre Familie zu Hause finanziell unterstützen zu können. Mitunter wird das von den Familien auch so erwartet. In vielen Ländern ist das anders als in Deutschland. Hier helfen wir unseren Kindern finanziell oft bis weit nach dem Beenden einer Ausbildung oder eines Studiums.
Die Familien im Ausland unterstützen ihre Kinder vor allem aber deshalb dabei, nach Deutschland zu gehen, weil sie sich für ihre Kinder eine gute Zukunft wünschen.
Trotzdem ist es für die oft sehr jungen Menschen ein riesiger Schritt, ihre Familien und Freunde zurückzulassen, um sich am anderen Ende der Welt ein neues Leben aufzubauen. Hier haben sie viel Neues zu lernen, viele Herausforderungen zu bewältigen, neue Kontakte zu knüpfen und sich in eine andere Kultur einzuleben. Das kostet viel Kraft.
TK: Was sind die Herausforderungen?
Hartenstein-Drobny: Die größte Herausforderung, um Anschluss in einem neuen Land zu finden, ist die Sprache. Durch sie wird es erst möglich, soziale Kontakte zu knüpfen und sich einen neuen Freundes- und Bekanntenkreis aufzubauen. Wir haben festgestellt, dass dies vielen jungen Menschen anfangs schwerfällt, weil nicht alles verstanden wird und auch Ängste davor bestehen, Fehler zu machen.
Die größte Herausforderung, um Anschluss in einem neuen Land zu finden, ist die Sprache.
Doch ein soziales Umfeld ist wichtig, auch wenn es später um die Entscheidung geht, wo es nach einer Ausbildung hingehen soll. Da zählt nicht nur die Arbeit, sondern auch, dass man sich wohlfühlt. Das geht wohl allen Menschen so. Wir fühlen uns nicht gern völlig fremd, sondern suchen Anknüpfungspunkte und Vertrautes.
Daher raten wir den Unternehmen, in die wir junge Menschen vermitteln, dass sie mindestens zwei Menschen aus einem Land einstellen, damit sie sich nicht allein fühlen und sich gegenseitig unterstützen können.
Auch im Beruf ist die Sprache die größte Herausforderung, wie ich bereits erklärt habe. Pflege ist ein sozialer Beruf, der auch von der sprachlichen Interaktion lebt.
Neben der Sprache ist aber auch unsere Kultur und Lebensweise eine Herausforderung sowie mangelndes Wissen um bestimmte Prozesse. Die Fragen, ob der Brief für die Rundfunkgebühren in den Papierkorb kann oder wozu denn eine Steueridentifikationsnummer gut ist, bekommen wir regelmäßig gestellt.
TK: 30 Auszubildende klingt im Vergleich zur Fachkräftelücke, die in den kommenden Jahren auf Thüringen zukommt, nicht sehr viel. Halten Sie es für sinnvoll, um mehr junge Menschen zu werben?
Hartenstein-Drobny: Ja, das tue ich. Aber ich halte es nur dann für sinnbringend, wenn die jungen Menschen auf ihrem Weg begleitet und unterstützt werden können. Sie nur hierher zu holen und dann sich selbst zu überlassen, hat wenig Aussicht auf langfristigen Erfolg.
In Thüringen gibt es aus diesem Grund zehn Projekte, die alle über den Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert werden. Ziel der Projekte ist die Gewinnung von Fachkräften und Auszubildenden aus Drittstaaten. Die Projekte sind in unterschiedlichen Bereichen angesiedelt - im Handwerk, im Bauwesen, übergreifend, oder, so wie unseres, im Gesundheits- und Sozialwesen. Die Unterstützung der Projekte ist für Unternehmen in Thüringen kostenfrei.
TK: Das klingt nach viel Engagement. Reicht das?
Mein Wunsch für die Zukunft ist es, dass die Gewinnung von Auszubildenden und Fachkräften aus dem Ausland im Land Thüringen verstetigt wird.
Hartenstein-Drobny: Die aktuellen Gewinnungs-Projekte laufen bis Ende 2025 und es ist nie wirklich sicher, was nach dem Ende eines Projektes werden wird. Wenn es die Möglichkeit für anschließende Projekte geben wird, werden von den Projektträgern wieder Eigenmittel einzusetzen sein. Die geforderten Inhalte für kommende Projekte sind auch noch unsicher.
Mein Wunsch für die Zukunft ist es, dass die Gewinnung von Auszubildenden und Fachkräften aus dem Ausland im Land Thüringen verstetigt wird. Das existierende Fachwissen und die bestehenden Netzwerke in den Projekten sollten unbedingt bewahrt und gesichert werden.
Zur Person
Dana Hartenstein-Drobny ist Referentin und Projektkoordinatorin beim Internationalen Fachkräfteservice Thüringen für die Sozialwirtschaft, kurz IFTS. Das Projekt ist beim Paritätischen Thüringen angesiedelt. Seit 2015 unterstützt die ausgebildete Bauingenieurin Thüringer Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft dabei, Auszubildende und Fachkräfte aus dem Ausland - besonders aus sogenannten Drittstaaten - zu gewinnen.