Die neue UKS-Chefin sieht vielfältige Herausforderungen
Interview aus Saarland
Mit Prof. Dr. Jennifer Diedler steht erstmals eine Frau an der Spitze des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS) in Homburg. Im Interview geht sie auf ihren Start, die anstehenden Herausforderungen und nötige Reformen im Krankenhaussektor ein.
TK: Frau Prof. Dr. Diedler, Sie sind seit dem 1. Oktober 2021 neue Ärztliche Direktorin und Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Wie war Ihr Start und wie ist Ihr erster Eindruck vom Saarland?
Prof. Dr. Jennifer Diedler: Ich hatte einen sehr guten Start und einen sehr freundlichen Empfang hier am Universitätsklinikum. Mein erster Eindruck ist, dass hier im Saarland sehr hilfsbereite und freundliche Menschen leben, die gerne mit anpacken. Ich bin nun gespannt, in den ersten Monaten das Klinikum kennenzulernen und zu hören, welche Themen Patientinnen, Patienten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier bewegen.
TK: Welche Herausforderungen sehen Sie für die Uniklinik und die Krankenhäuser im Saarland generell in den kommenden Jahren?
Prof. Dr. Diedler: Die Herausforderungen sind vielfältig und die Corona-Pandemie hat aus meiner Sicht einige Schwächen des Gesundheitssystems - nicht nur im Saarland - demaskiert, die es nun anzugehen gilt. So sind die patientenzentrierte Neuordnung der Behandlungspfade mit Berücksichtigung der gesamten Versorgungskette und damit der Vernetzung der Leistungserbringer auch über Sektorengrenzen hinaus zentral für ein leistungsfähiges Gesundheitssystem. Hinzu kommen die dringend notwendige Modernisierung der Infrastruktur und die erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung. Eine zentrale Aufgabe, die am UKS höchste Priorität hat, ist die Ausbildung, Gewinnung und Förderung von Pflegepersonal sowie Ärztinnen und Ärzten.
Gut ist der Trend hin zu mehr Qualität und Transparenz, um auch einen Vergleich zwischen den Leistungserbringern zu ermöglichen. Das bedeutet aber für die Kliniken gleichzeitig eine weitere Herausforderung bei der Dokumentation und den hierfür notwendigen Personalressourcen.
Zentral für die Kliniken und insbesondere auch für eine Großorganisation wie ein Universitätsklinikum ist in diesem Zusammenhang, ein moderner Arbeitgeber zu sein und gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern höchsten Qualitätsansprüchen gerecht zu werden - von den patientennahen Bereichen bis zur IT. Die Medizin der Zukunft benötigt ein multiprofessionelles Team mit den klügsten und engagiertesten Köpfen. Schließlich geht es um unsere Gesundheit. Ich sehe es somit als eine Kernaufgabe des gesamten Klinikumsvorstandes an, die Attraktivität der Arbeitsplätze im UKS weiter zu erhöhen und eine positive Arbeitsatmosphäre kombiniert mit exzellenter Expertise weiter zu fördern.
Die Medizin der Zukunft benötigt ein multiprofessionelles Team mit den klügsten und engagiertesten Köpfen. Schließlich geht es um unsere Gesundheit.
TK: Wir als TK sehen dringenden Reformbedarf bei der Finanzierung der Kliniken und schlagen einen modularen Aufbau vor: Bedarfsgerechte Häuser bekommen Vorhaltekosten von uns Krankenkassen erstattet. Zu diesen leistungsunabhängigen Vorhaltekosten kommen noch die leistungsabhängigen überarbeiteten Fallpauschalen sowie Qualitätszuschläge. Was halten Sie von der Idee?
Prof. Dr. Diedler: Hier möchte ich einen Schritt weiter vorne ansetzen. Zwei zentrale Probleme in den Kliniken sind der Investitionsstau und wie oben aufgeführt der Mangel an Fachkräften, bei gleichzeitig steigenden Struktur- und Qualitätsanforderungen. Eine moderne, auch digitale Infrastruktur und qualifiziertes Personal sind jedoch beides Grundvoraussetzungen für eine hohe Behandlungsqualität - und deren Nachweis. Da uns auch in Zukunft weiterhin nur begrenzte Investitionsmittel und qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen, muss aus meiner Sicht dringend die Strukturfrage angegangen werden, im Sinne einer strukturierten regionalen Versorgungsplanung mit einer qualitäts- und patientenzentrierten und ganzheitlichen Neuordnung der Versorgungspfade.
Eine moderne, auch digitale Infrastruktur und qualifiziertes Personal sind beides Grundvoraussetzungen für eine hohe Behandlungsqualität.
Zentrale Fragen für mich sind in diesem Zusammenhang: Welches ambulante, teilstationäre und stationäre Versorgungsangebot, welchen Versorgungslevel benötigen die Patientinnen und Patienten zu welchem Zeitpunkt? Wie erreichen wir eine höchstmögliche Versorgungsqualität in einem angemessenen Zeitrahmen? Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang daher den Punkt der TK, dass für die Versorgung verzichtbare und unwirtschaftliche Strukturen beispielsweise durch die Finanzierung der Vorhaltekosten nicht zementiert werden dürfen.
Darüber hinaus beinhalten die Vorschläge der TK mit der an die Versorgungsstufe angepassten Vergütung, der Berücksichtigung der regionalen Kostenstruktur und der Incentivierung von Qualität sehr relevante Punkte. Wobei es auch berechtigte Stimmen gibt, die vor einer weiteren Aufsplittung des DRG-Systems warnen, man denke allein an die Ausgliederung der Pflegebudgets. Auch geeignete Parameter zur Messung der Versorgungsqualität zu finden und in diesem Rahmen auch neue Versorgungsmodelle unter Einbezug der Digitalisierung zu finden ist alles andere als trivial. Hierbei ist die Forderung der TK nach einem Abbau der Sektorengrenzen und die Flankierung durch eine konsequent umgesetzte Digitalisierung in den Krankenhäusern sehr zu begrüßen.
TK: Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) stehen den saarländischen Kliniken rund 50 Millionen Euro zur Verfügung, mit denen digitale Infrastruktur und Prozesse verbessert und ausgebaut werden sollen. Wieso ist diese Förderung so wichtig?
Prof. Dr. Diedler: Es besteht im Bereich der Digitalisierung enormer Nachholbedarf im gesamten deutschen Gesundheitssystem. Sie ist aber kein Selbstzweck. Die konsequente und erfolgreiche Digitalisierung im Gesundheitswesen ist eine Grundvoraussetzung für eine moderne, qualitativ hochwertige und patientenzentrierte Medizin.
Es besteht im Bereich der Digitalisierung enormer Nachholbedarf im gesamten deutschen Gesundheitssystem.
Auch Bereiche wie die Patientensicherheit und ein transparentes Qualitätsmanagement in der Medizin können durch die Digitalisierung auf ein ganz anderes Niveau gehoben werden. Man denke zum Beispiel nur an ein modernes Medikationsmanagement, Stichwort Unit-Dose, aber auch ein Echtzeit-Qualitätsmonitoring zum Beispiel im OP. Im Moment sind wir vielerorts allerdings noch am Aufbau der Basisinfrastruktur, die im 21. Jahrhundert eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Auch zur Verbesserung der internen Prozesse ist eine leistungsfähige digitale Infrastruktur dringend notwendig. Es ist zum Beispiel mehr als ungünstig, dass in Zeiten extrem knappen Personals in Klinken noch täglich Zeit dafür aufgebracht werden muss, Daten zu dokumentieren. Diese könnten eigentlich automatisiert genutzt werden und würden bei sinnvoller Nutzung darüber hinaus frühzeitig Hinweise auf mögliche Prozessfehler geben. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur ist zudem keine einmalige Sache, denn die Medizin macht weiterhin rasante Fortschritte, sei es mit der Anwendung von Künstlicher Intelligenz und Big Data in allen Behandlungsbereichen, personalisierter Medizin oder dem Einsatz von Robotik. In diesem Rahmen werden stetig weitere Bedarfe und Anforderungen auf uns zukommen, die nur auf Basis einer konsequent umgesetzten Digitalisierung effektiv gelöst werden können. Wenn wir das verschlafen, verschlafen wir den Wechsel in Richtung einer modernen Medizin. Gleichzeitig sieht man auch hier, dass die Vorhaltung einer extrem aufwändigen und teuren Infrastruktur gezielt und geplant eingebettet in regionale Versorgungskonzepte erfolgen muss.
TK: Ihr Haus hat unter anderem die Einrichtung eines virtuellen Krankenhauses aus diesen Mitteln beantragt. Was erwarten Sie sich von dem Modell?
Prof. Dr. Diedler: Das virtuelle Krankenhaus bietet die Chance der Vernetzung der Krankenhäuser im Saarland und darüber hinaus. Damit bietet es die Grundlage zur abgestimmten und abgestuften Versorgung der Patientinnen und Patienten in der Fläche und gewährleistet optimale Patientenversorgung immer mit der Möglichkeit des Zugriffs auf und durch die Maximalversorgung des UKS. Die direkte Kommunikation zwischen den Leistungserbringern der einzelnen Krankenhäuser erfolgt über eine gemeinsame IT-Plattform, in welcher auch die zur Behandlung notwendigen Patientendaten direkt zur Verfügung stehen, somit werden Schnittstellen minimiert und Informationsverluste reduziert. Des Weiteren kann über das virtuelle Krankenhaus neben der Patientenversorgung die Aus- und Fortbildung unterstützt und in der Fläche ausgebaut werden. Insgesamt ist das virtuelle Krankenhaus ein zukunftsweisendes Projekt, das den Menschen im Saarland zu jeder Zeit den Zugang zur jeweils erforderlichen medizinischen Versorgungsstufe ermöglichen soll.
Zur Person
Prof. Dr. Jennifer Diedler ist seit 1.10.2021 hauptamtlich neue Ärztliche Direktorin und Vorstandsvorsitzende des UKS. Sie ist zurzeit in Deutschland die einzige Frau an der Spitze eines Universitätsklinikums. Prof. Diedler hat in Tübingen Medizin studiert, ihre Facharztqualifikation für Neurologie und die Habilitation im Bereich Neuro-Intensivmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg absolviert. Nach zweijähriger Tätigkeit in einer Unternehmensberatung war sie dann an den Universitätsklinika Tübingen und Freiburg im strategisch-organisatorischen Bereich tätig.