Zur Sache: Fachkräftesituation im Gesundheitswesen
Interview aus Hamburg
Der Fachkräftemangel ist in Deutschland und auch im Gesundheitswesen stark zu spüren. Daher beauftragte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege (SVR), ein Gutachten zur Fachkräftesituation zu erstellen.
In dem im April 2024 veröffentlichten Gutachten "Fachkräfte im Gesundheitswesen. Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource" stellt der SVR fest, dass Deutschland im internationalen Vergleich relativ viele Beschäftigte im Gesundheitswesen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig zeigen sich aber in der Versorgung Engpässe.
Welche Vorschläge der SVR macht, um die Gesundheitsfachkräfte künftig gezielter einzusetzen, berichtet Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Direktor des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) der Universität Hamburg und stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit & Pflege, im Interview "Zur Sache".
TK: Herr Professor Dr. Schreyögg, können Sie für uns den Sachverhalt auflösen, dass der SVR auf der einen Seite feststellt, dass wir im internationalen Vergleich relativ viel medizinisches Personal haben, sich die Versorgungsrealität vielerorts aber anders darstellt? Welche Erklärungen liefert das Gutachten des SVR?
Prof. Dr. Jonas Schreyögg: Die vorhandenen Personalressourcen werden nicht effizient im Sinne der Patienten eingesetzt. Beispielweise haben wir die Fehlentwicklung, dass Jahr für Jahr immer mehr Ärztinnen und Ärzte in den stationären Sektor gehen und der ambulante Sektor die Ärztedecke kaum halten kann. Innerhalb des stationären Sektors verteilt sich das Personal auf zu viele nicht bedarfsnotwendige Krankenhäuser und Fachabteilungen.
Wir zeigen in dem Gutachten auf, dass der zentrale Hebel zur Überwindung der Engpässe vor allem in der Reduktion der Patiententage in Krankenhäusern besteht. Dies kann nur durch Strukturreformen gelingen.
TK: Welche Veränderungen sind notwendig, um das Gesundheitswesen mit Blick auf die Fachkräftesituation nachhaltig aufzustellen?
Schreyögg: Es wird nicht gelingen, die Engpässe allein durch mehr Ausbildung und Migration zu beheben. Wir zeigen in dem Gutachten auf, dass der zentrale Hebel zur Überwindung der Engpässe vor allem in der Reduktion der Patiententage in Krankenhäusern besteht. Dies kann nur durch Strukturreformen gelingen. Eine besonders starke Wirkung würde eine weitgehende Reform der Notfallversorgung entfalten, so wie sie der SVR empfohlen hat.
TK: Wird die angedachte Krankenhausreform dazu führen, dass sich die Fachkräftesituation entspannt, oder gibt es Maßnahmen, die aus Ihrer Sicht stärker drängen?
Schreyögg: Ob uns die Krankenhausreform bei der Reduktion von Fachkräfteengpässen hilft, wissen wir noch nicht. Dies hängt insbesondere von der Festlegung verbindlicher Qualitätsindikatoren für die Leistungsgruppen ab und ob diese dann tatsächlich zu einer Schließung von Fachabteilungen führen werden.
TK: Das HCHE hat seit kurzem den neuen Forschungsschwerpunkt zu Fachkräften im Gesundheitswesen. Wie wird dieser künftig ausgestaltet?
Schreyögg: Zu diesem Schwerpunkt existieren bereits jetzt diverse Projekte. Zukünftig soll es vor allem um die Analyse verschiedener Maßnahmen gehen. Darunter sind auch ganz neue Konzepte, zum Beispiel besondere Schichtmodelle in der Pflege oder Konzepte zur Überwindung von Fachkräfteengpässen.
Weitere Informationen
Hier können Sie das SVR-Gutachten "Fachkräfte im Gesundheitswesen.
Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource" (April 2024) als PDF herunterladen.