TK: Herr Minister, Sie sind in zweiter Amtszeit Minister für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg. Was sind aus Ihrer Perspektive die wichtigsten Erfolge im Bereich Gesundheit und Pflege in dieser Legislaturperiode?  

Manne Lucha: Es ist gar nicht so einfach, bei der Fülle an Aufgaben, die unser Haus derzeit zu bewältigen hat, nur einige wenige Themen herauszugreifen. Einschneidend waren sicherlich die Pandemiejahre. Das Ende meiner ersten und der Beginn meiner zweiten Amtszeit standen ganz unter dem Eindruck der Bewältigung der Corona-Pandemie. Am Ende sind wir vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen und haben gelernt, wie man sich zukünftig für solche Ereignisse besser wappnet.

Manne Lucha

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Minister für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg (Grüne)

Ein wichtiger Schwerpunkt meiner Amtszeit ist die Modernisierung der Krankenhausstruktur. Manne Lucha

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt meiner Amtszeit war und ist die Modernisierung der Krankenhausstruktur. Es ist grundsätzlich richtig, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach die Krankenhauslandschaft reformieren und verbessern möchte. Allein über den Weg dorthin sind wir uns nicht einig und haben noch immer keinen Konsens erzielt. Indessen ist die Situation der Krankenhäuser im Land leider weiterhin sehr angespannt. Baden-Württemberg steht auf jeden Fall weiterhin zu seiner Verantwortung.

Baden-Württemberg hat bereits einige Strukturveränderungen im Krankenhausbereich umgesetzt. Aktuell sind wir das Bundesland mit der geringsten Bettendichte gemessen an den Einwohnern. Wir bleiben nicht stehen, sondern gehen voran. Deshalb haben wir uns im Rahmen der Krankenhausreform auch sehr für sektorenübergreifende Versorger eingesetzt.

Ein großer Erfolg für die medizinische Versorgung in der Fläche war sicherlich auch die Einführung der Landarztquote im Jahr 2021 durch das Landarztgesetz. Langfristig bringen wir damit mehr hausärztlich tätige Ärztinnen und Ärzte in die Fläche.

Eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre ist die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Pflege in einer alternden Gesellschaft. Grundvoraussetzung ist, dass Deutschland über ausreichendes Personal verfügt, das bestmöglich qualifiziert, effizient und motiviert diese wichtigen Versorgungsaufgaben erbringen kann. Die generalistische Pflegeausbildung ist hier sicherlich von Vorteil. Aus meiner Sicht haben wir die anfänglichen Herausforderungen der Generalistik zusammen mit den betroffenen Verbänden zielorientiert gemeistert.

Um dem Personalmangel in der Pflege entgegen zu wirken, setzen wir auch auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. So haben wir beispielsweise das Programm "Deutschsprachkurse im Ausland zur Gewinnung ausländischer Pflegefachkräfte im Rahmen von Triple Win der Bundesagentur für Arbeit" aufgelegt. Das Land fördert hier die Sprachkurskosten im Ausland in einer Höhe von bis zu 3.000 Euro pro Fachkraft, bevor diese nach Deutschland kommen.

Besonders wichtig - und das sind wichtige Lehren aus den Pandemiejahren - ist mir auch die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Mit dem Pakt für den ÖGD haben Bund und Länder bereits während der Pandemie im September 2020 die Weichen für eine strukturelle Stärkung des ÖGD gestellt.   

 

TK: Ein Highlight war sicherlich der Vorsitz in der Gesundheitsministerkonferenz in 2023, die besonders im Zeichen der Krankenhausreform stand. Mit welchem Fazit blicken Sie auf das vergangene Jahr zurück?  

Lucha: Das vergangene Jahr war durchwachsen, würde ich sagen. Wir, also die Länder,  sind sehr gut und mit großen Ambitionen und großer Einigkeit in den von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angestoßenen Prozess der Krankenhausreform gestartet. Auf unserer Hauptkonferenz in Friedrichshafen im Juli 2023 hatten wir uns mit dem Bund auf Eckpunkte geeinigt. Leider hat Herr Lauterbach dann den gemeinsam vereinbarten Weg verlassen und sich nicht mehr an die Eckpunkte gehalten. Der größte Wortbruch war, dass das Gesetz nicht mehr zustimmungspflichtig sein sollte. 

Minister Lauterbach hat die Länder übergangen - wohlwissend, dass Krankenhausplanung Ländersache ist. Manne Lucha

Damit hat Minister Lauterbach die Länder übergangen - wohlwissend, dass Krankenhausplanung Ländersache ist. Dabei wurde viel Vertrauen zerstört. Eine Krankenhaus-Reform ist unbestritten wichtig - aber was die Umsetzung angeht, müssen die Interessen der Länder mitberücksichtig werden. Das war leider nicht der Fall. Wir werden nun über Bundesratsinitiativen unsere Interessen einbringen und versuchen, den Prozess im parlamentarischen Verfahren noch entsprechend zu beeinflussen.

TK: Prägend dürfte auch die angespannte Haushaltssituation sein, die Förderprogramme oder Investitionen unter Vorbehalt stellt. Wie bewerten Sie Ihre Handlungsspielräume im Land? 

Lucha: Die Haushaltslage ist in der Tat angespannt. Jetzt gilt es, die Weichen richtig zu stellen und Prioritäten zu setzen. Im Bereich Gesundheitspolitik liegt der Hauptfokus ganz sicher auf der Landeskrankenhausplanung im Zuge der Krankenhausreform. Wir werden alles daran setzten, dass in Baden-Württemberg an jedem Ort das richtige medizinische Angebot besteht. Das muss nicht immer ein Krankenhaus sein, wir werden die sektorenübergreifende Versorgung aber auch die Digitalisierung in der Medizin weiter voranbringen müssen. Das bedeutet auch, dass wir gewohnte Bahnen verlassen müssen und gewachsene Strukturen zu überdenken und ggf. auch zu ändern sind.  Künftig wird gelten: Digital vor ambulant vor stationär. 

TK: Als Techniker Krankenkasse interessiert uns natürlich besonders dieser Satz im Koalitionsvertrag: "Wir werden Baden-Württemberg zum Vorreiter der Digitalisierung im Gesundheitswesen machen." Hand aufs Herz - wie weit sehen Sie das Land hierbei? 

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz bieten enorme Chancen für das Gesundheitswesen. Manne Lucha

Lucha: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz bieten enorme Chancen für das Gesundheitswesen - und diese Chancen müssen und wollen wir nutzen. Es geht z.B. darum, Gesundheit und Lebensqualität der Menschen im Land insgesamt zu fördern, die Qualität der Versorgung zu verbessern, Ressourcen zu schonen oder auch Personal zu entlasten. Baden-Württemberg ist hier bundesweit Vorreiter. Bereits 2017 haben wir die ressortübergreifende Digitalisierungsstrategie digital@bw entwickelt, Gesundheit und Pflege nehmen hier eine zentrale Rolle ein. Zahlreiche Projekte haben wir seitdem gefördert, so z. B. das Projekt "docdirect", das bundesweit die Weichen gestellt hat für Videosprechstunden. 

Zahlreiche Projekte werden auch über das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg, das Ministerpräsident Winfried Kretschmann 2018 ins Leben gerufen hat. Ein Beispiel ist die cloudbasierte Gesundheitsdatenplattform "MEDI:CUS". Damit wollen wir die Nutzung von Daten vereinfachen und die Kooperation und Vernetzung der Akteurinnen und Akteure stärken. Ein weiteres Projekt ist die  "Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz bei Patientinnen und Patienten und Bürgerinnen und Bürgern in Baden-Württemberg". Damit wollen wir die Digitalkompetenz der Menschen im Land stärken. Denn von der Digitalisierung sollen und müssen alle profitieren, keiner darf ausgeschlossen werden. Klar ist bei all dem auch: Menschliche Empathie und Fürsorge sind nicht ersetzlich. Der Mensch und seine Bedürfnisse stehen für uns stets im Mittelpunkt.

Der Mensch und seine Bedürfnisse stehen für uns stets im Mittelpunkt. Manne Lucha


TK: Zum Abschluss wüssten wir, in Anlehnung an Steve Jobs gerne, was Ihr "One More Thing" ist… welche eine Sache wollen Sie unbedingt bis zum Ende der Legislaturperiode noch umgesetzt wissen?

Lucha: Also die eine große Sache, die ich tatsächlich noch erleben möchte in meiner Amtszeit, ist, dass wir die Weichen für eine wirklich gute Krankenhauslandschaft und eine gute ambulante Struktur in Baden-Württemberg so gestellt kriegen, dass wir für alle Menschen das richtige medizinische Angebot am richtigen Ort vorhalten können. Was mich außerhalb der Gesundheitspolitik noch umtreibt - unser "Viel-Sparten-Haus" ist ja auch noch für viele andere Themen zuständig - ist die Frage, wie wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie wieder stärken können. Es scheint gerade bei jungen Leuten sehr viel Vertrauen in die Politik verloren gegangen zu sein. Hier müssen wir ran! Wir müssen viel stärker zeigen, dass wir jeden Tag aufs Neue um gute Lösungen für die wichtigen Fragen der Zukunft ringen. 

Zur Person:

Manne Lucha ist seit 2016 Minister für Soziales, Gesundheit und Integration im Kabinett Kretschmann. Er wurde am 13. März 1961 im Landkreis Altötting geboren, ist dort aufgewachsen und hat eine Ausbildung zum Chemiewerker gemacht. Der Zivildienst und die Liebe führten ihn nach Oberschwaben.
Nach einer Krankenpflege-Ausbildung studierte er Sozialarbeit und später Management im Sozial- und Gesundheitswesen. Mehr als 30 Jahre arbeitete er in der psychiatrischen Versorgung in der Region Bodensee-Oberschwaben.

Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Sollte er zwischen all seinen Terminen einmal Zeit finden, um sich auf seine Hobbies zu konzentrieren, dann fährt er gerne Rad und geht wandern in den Bergen. 

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