Kohlenhydrate: Weniger ist mehr
Für Menschen mit Typ-2-Diabetes zählen die sogenannten "nicht medikamentösen Maßnahmen" zu den wirkungsvollsten Grundlagen jeder Behandlung, so schreibt es die Nationale Versorgungsleitlinie Diabetes. Dazu gehört vor allem eine ausgewogene Ernährung, die eine optimale Versorgung mit Nährstoffen sicherstellt und die Bauchspeicheldrüse entlastet. Fachgesellschaften empfehlen heute, gesunde Kohlenhydrate zu bevorzugen und sie in dem Maß zu genießen, wie es individuell sinnvoll ist.
Bevor es Diabetes-Medikamente gab, galt eine kohlenhydratarme Ernährung - heute würde man sagen Low-Carb - als Standardtherapie von Diabetes. Durch die Einführung von Insulin und blutzuckersenkenden Medikamenten kann heute der Blutzucker gesenkt werden, auch wenn man sich kohlenhydratreich ernährt. Bislang empfehlen viele Schulungsprogramme für Diabetes nicht ausdrücklich, die tägliche Menge an Kohlenhydraten zu begrenzen. Stattdessen steht der Verzicht auf zuckerhaltige, industriell verarbeitete Nahrungsmittel und Softdrinks im Vordergrund. Diese Empfehlung ist grundsätzlich wichtig und richtig, aber Studien zufolge sollte der Anteil an Kohlenhydraten ebenfalls gut überdacht sein. Warum?
Wenn rund die Hälfte der Mahlzeit aus Kohlenhydraten besteht, ist es höchstwahrscheinlich schwer, das Körpergewicht zu normalisieren oder zu halten. Dieser Faktor gilt aber bei Typ-2 Diabetes als entscheidend, um den Stoffwechsel und die Reaktion auf das Blutzucker senkende Insulin zu verbessern.
Wichtig zu wissen: Aus diesem Grund haben die Fachgesellschaften umgedacht und empfehlen heute nach dem Motto "Weniger ist mehr", die tägliche Menge an Kohlenhydraten bei Diabetes zu begrenzen.
Kalorien begrenzen verbessert die Reaktion auf Insulin
Erst wenn weniger Kalorien als benötigt verzehrt werden, mobilisiert der Körper Fetteinlagerungen in Leber und Bauchspeicheldrüse. Dies führt dazu, dass beide Organe ihre ursprüngliche Funktion wiedererlangen. Die Leber reagiert dann sensibler und schneller auf das Blutzucker senkende Insulin und stoppt die Abgabe und die Herstellung von Glukose. Studien zeigen, dass sich dadurch bei vielen Betroffenen die erkrankten Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse erholen und selbst 10 Jahre nach der Diagnose Diabetes häufig wieder zu einer normalen Ausschüttung von Insulin zurückfinden können.
Wie geht das? Entscheidend für diese Wirkung ist es, die individuelle Schwelle zu unterschreiten, bei der Leber und Bauchspeicheldrüse Fett einlagern. Wieviel (Über-)Gewicht man dafür abnehmen muss, ist individuell sehr unterschiedlich, aber meist funktioniert es nach einer Gewichtsabnahme von ca. 10-15 kg.
Welche Diät ist effektiv und zugleich gesund?
Zahlreiche Studien haben sich mit dieser Frage beschäftigt und zum Beispiel Low-Carb-Diäten mit fettarmen, kohlenhydratbetonten Diäten verglichen. Ein Forschungsteam hat jetzt alle Studien gemeinsam ausgewertet und kam zu folgenden Ergebnissen:
Die Begrenzung von Kohlenhydraten ist anderen Diäten mit Blick auf die Blutzuckerkontrolle deutlich überlegen. Der Langzeitwert HbA1c sinkt stärker, je niedriger der Anteil an Kohlenhydraten ausfällt. Interessanterweise zeigte sich auch, dass eine Low-Carb-Diät im Vergleich zu Low-Fat-Diäten die versteckten Fette im Körper bei gleicher Gewichtsabnahme besser abbaut. Dadurch verbessert sich das Ansprechen der Zellen auf Insulin, was wiederum den Stoffwechsel stabilisiert.
Nachteile in Vorteile verwandeln: Ein Mangel an Nährstoffen und der mögliche Anstieg des schädlichen LDL-Cholesterins zählen zu den Nachteilen, wenn Sie die Kohlenhydrate über einen längeren Zeitraum einschränken. Dies lässt sich aber relativ einfach vermeiden, indem Sie auf eine mediterrane, kohlenhydratarme Ernährung mit viel Obst und Gemüse, Olivenöl, sowie Fisch und Nüssen als Eiweißquelle umstellen. Bevorzugen Sie dabei Kohlenhydrate mit einem geringen "glykämischen Index" (GI) und einer geringen "glykämischen Last" (GL).
Das bedeutet für Sie: Bevorzugen Sie gesunde, also vollwertige, ballaststoffreiche und fettarme Kohlenhydrate und Lebensmittel, die so wenig wie möglich verarbeitet sind. Dadurch stehen bei Ihnen automatisch Kohlenhydrate auf dem Tisch, die einen niedrigen GI/GL-Wert aufweisen und zugleich viele Ballaststoffe und Nährstoffe enthalten. Welche Menge an Kohlenhydraten für Sie persönlich sinnvoll ist und vor allem, was Ihnen schmeckt, sollten Sie in einer Ernährungsberatung oder beim nächsten ärztlichen Kontrolltermin besprechen.
So verschieden sind Kohlenhydrate - Glykämischer Index (GI) und Glykämische Last (GL)
GI: Der sogenannte Zuckerindex, auch "glykämischer Index" genannt, bildet ab, wie ein kohlenhydrathaltiges Nahrungsmittel auf den Blutzuckerspiegel wirkt. Ein hoher GI spricht dafür, dass der Blutzucker nach dem Verzehr eines Nahrungsmittels schnell und stark ansteigt. Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise Weißbrot, Cornflakes und Pommes Frites. Kohlenhydrathaltige Lebensmittel mit niedrigem GI brauchen sehr viel länger, bis sie einen Blutzuckeranstieg bewirken. Zu dieser Gruppe zählen alle Vollkornprodukte, Gemüse und Hülsenfrüchte.
GL: Um die Wirkung von Kohlenhydraten auf den Blutzuckerspiegel im Verhältnis zur verzehrten Menge einschätzen zu können, gibt es einen zweiten Index, "die glykämische Last". Möhren und Baguette haben beispielsweise einen ähnlichen GI, aber Möhren enthalten mehr Ballaststoffe und dadurch liegt ihre GL deutlich tiefer als bei Baguette.
Spannend ist, dass gekochte Möhren mehr Zucker enthalten als rohe Möhren und dass die restlichen Bestandteile einer Mahlzeit auch einen Einfluss darauf haben, wie schnell Kohlenhydrate ins Blut gelangen.
Unser Tipp: Gekochte Kartoffeln haben einen relativ hohen glykämischen Index. Aber wenn Sie gerne Kartoffeln essen, können Sie den GI mit einem einfachen Trick senken: Kochen Sie Ihre Kartoffeln vor und lassen Sie sie über Nacht abkühlen, dadurch sinkt der GI von 73 auf 49 ab. Süßkartoffeln dagegen haben einen vergleichsweise niedrigen GI, wenn sie gekocht werden. Wer Süßkartoffeln-Pommes aber im Backofen zubereitet, erhöht den GI von 46 auf 88 und liegt damit im oberen Bereich. Um den Anteil von Kohlenhydraten in Obst und Gemüse besser einschätzen zu können, gibt es den Saison-Kalender.