"Einsamkeitsgefühle sind wie ein Warnsystem"
Interview aus Schleswig-Holstein
Lucia Domke arbeitet als psychologische Beraterin beim Studentenwerk Schleswig-Holstein in Lübeck. Studierende mit privaten Herausforderungen oder studienbezogenen Problemen können sich niederschwellig per Telefon, Video oder im persönlichen Gespräch an sie wenden. Im Interview berichtet sie, welche Rolle das Thema Einsamkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen spielt.
TK: Frau Domke, die Pandemie hat die psychische Gesundheit, insbesondere auch bei jungen Menschen, stärker ins Bewusstsein gerückt. Welche Veränderungen beobachten Sie als psychologische Beraterin?
Lucia Domke: Insgesamt ist die Nachfrage nach psychologischer Beratung für Studierende in den letzten Jahren stark angestiegen. Während vor der Pandemie Themen wie Prüfungsangst und Prokrastination im Vordergrund standen, suchen seither viele Unterstützung bei persönlichen Herausforderungen und Fragen zur mentalen Gesundheit. Zu Pandemiezeiten waren wir dann oft ausgebucht, mit Wartezeiten von bis zu acht Wochen - das ist viel zu lang für ein niederschwelliges Angebot, wie wir uns verstehen. Dank zusätzlicher Landesmittel bis Ende des Jahres 2024, konnten wir unser Team von vier auf zehn Mitarbeitende aufstocken. So sind wir besser gerüstet, um den Anliegen der Studierenden gerecht zu werden.
TK: Wenn sich Studierende an Sie wenden: Welche Rolle spielt das Thema Einsamkeit?
Einsamkeit gehört in gewissem Ausmaß zum Leben dazu. Es ist ein Gefühl, das auch mal da sein darf und dann wieder geht. Erst, wenn es dauerhaft bleibt und man es zum Teil der Persönlichkeit werden lässt, ist es ein Problem.
Domke: Üblicherweise kommen die Studierenden nicht mit dem Hauptanliegen zu uns, dass sie sich einsam fühlen. Es zeigt sich aber im Laufe der Beratungen, dass Einsamkeit oft eine Begleiterscheinung darstellt. Das ist wenig verwunderlich, denn laut Studien erfährt etwa jede dritte Person das Gefühl von Einsamkeit im Laufe des Studiums.
Einsamkeit gehört in gewissem Ausmaß zum Leben dazu. Es ist ein Gefühl, das auch mal da sein darf und dann wieder geht. Wenn es dauerhaft bleibt und ein Leidensdruck entsteht, kann es zu einem Problem werden.
TK: Wieso sind junge Menschen in besonderem Maße von Einsamkeit betroffen? Sind soziale Medien ein möglicher Faktor?
Domke: Da Einsamkeit ein sehr subjektives Empfinden ist, kann dieses Gefühl bei jungen Menschen vor allem damit verbunden sein, dass Erwartungshaltungen und die Realität auseinandergehen. Zum Beispiel, dass sie mit Studienbeginn direkt Anschluss finden, auf die richtigen Partys gehen, eine erfüllende Liebesbeziehung führen und so weiter - der soziale Druck und Veränderungen sind bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders hoch und machen sie für Einsamkeitsgefühle besonders vulnerabel.
Auf diese Dynamik zielen natürlich auch soziale Medien ab. Zwar können sie einerseits Menschen miteinander vernetzen, aber sie bieten auch viele Vergleichsmöglichkeiten. Daraus kann schnell ein sogenanntes "fear of missing out"- Gefühl entstehen, nach dem Motto "Alle anderen führen gerade ein erfülltes Leben und ich sitze hier allein im Zimmer". Auch wenn die meisten jungen Menschen wissen, dass diese bunten Bilder kaum die Realität abbilden, ist es schwer, sich davon abzugrenzen, und kann in der Konsequenz das Einsamkeitsgefühl verstärken. Soziale Medien stellen also ein zweischneidiges Schwert dar, wo es sich lohnt, diese bewusst zu konsumieren.
Der soziale Druck und Veränderungen sind bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders hoch und machen sie für Einsamkeitsgefühle besonders vulnerabel.
TK: Was sagen und raten Sie jungen Menschen, die mit dem Gefühl von Einsamkeit zu kämpfen haben?
Domke: Erstmal versuchen wir, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Einsamkeit ein wichtiges Gefühl ist, das da sein darf und soll. Denn Einsamkeitsgefühle sind wie ein Warnsystem, das sagt: "Etwas stimmt nicht", "Etwas fühlt sich nicht richtig an". Dann kann man der Ursache auf den Grund gehen: Möchte ich mich verabreden? Welche Kontakte tun mir gut? Gibt es Vernetzungsmöglichkeiten vor Ort und so weiter.
Ganz konkret biete ich verschiedene Gruppen wie eine Spaziergehgruppe oder eine Online-Entspannungsgruppe an. Die Entspannungsgruppe ist für alle Studierende in Schleswig-Holstein kostenlos zugänglich und in vier aufeinander aufbauenden Terminen zeige ich verschiedene Entspannungsmethoden, Achtsamkeitsübungen oder Tools gegen Prüfungsangst. Auch wenn das Thema Einsamkeit da nicht im Fokus steht, sehen die Teilnehmenden ganz konkret: Ich bin nicht allein mit meinem Problem und bei anderen läuft auch nicht alles rund. Dieser Austausch ist dann schon mal extrem erleichternd für Betroffene.
TK: Eine Frage zum Abschluss: Einsamkeit wird oft auch als Tabuthema in der Gesellschaft diskutiert. Können Sie das anhand Ihrer Erfahrungen bestätigen?
Domke: Also erstmal positiv hervorzuheben ist, dass unter den Studierenden die Awareness für seelische Gesundheit deutlich zugenommen hat. Innerhalb der Peergroup sind seelische und mentale Themen wie Einsamkeit oder Depressionen deutlich seltener tabuisiert. Allerdings erlebe ich in den Beratungen durchaus, dass die Betroffenen kein Verständnis von älteren Generationen wie ihren Eltern oder ihren Großeltern erfahren.
Einsamkeit kann nach wie vor mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden sein. Doch nur wer sich traut, über Einsamkeit zu sprechen und sich aktiv Hilfe zu holen, kommt aus dem negativen Gefühl wieder raus.
Die Enttabuisierung in der breiten Gesellschaft ist also ein Schritt, an dem es sich lohnt, dranzubleiben, denn Einsamkeit kann nach wie vor mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden sein. Doch nur wer sich traut, über Einsamkeit zu sprechen und sich aktiv Hilfe zu holen, kommt aus dem negativen Gefühl wieder raus.
Weitere Informationen
Webseite zum Studentenwerk Schleswig-Holstein