TK: Frau Dr. Christine Schwill, Sie sind niedergelassene hausärztlich Internistin, die nicht nur Menschen behandelt, sondern sich auch leidenschaftlich für den Klimaschutz im Gesundheitswesen einsetzt. Wie kam es dazu?

Dr. Christine Schwill: Mein Engagement für den Klimaschutz begann, als ich erkannte, wie eng die Gesundheit meiner Patientinnen und Patienten mit der Gesundheit unseres Planeten verbunden ist. Luftverschmutzung, extreme Wetterereignisse und der Verlust der Biodiversität haben allesamt direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Die Tatsache, dass mehr als 99 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich einig sind, dass der Klimawandel menschengemacht ist, hat mich darin bestärkt, aktiv zu werden.

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Zudem bin ich Mutter von zwei erwachsenen Kindern, die mich in vielen Gesprächen herausgefordert haben, an meinem ökologischen Fußabdruck zu arbeiten. Diese Gespräche haben mich motiviert meine Reichweite als Ärztin in einer Arztpraxis zu nutzen, um den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen zu können. 

Dr. med. Chris­tine Schwill

Fachärztin für Innere Medizin und im Vorstand der ÄKSH sowie Ärztenetz Eutin-Malente e.V. Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.

TK: Man könnte die Klimakrise also auch als eine Gesundheitskrise bezeichnen. Was genau bedeutet das denn für die Menschen?

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit sind vielfältig und bereits heute spürbar. 
Dr. Christine Schwill, Fachärztin für Innere Medizin und im Vorstand der ÄKSH sowie Ärztenetz Eutin-Malente e.V.

Schwill: Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit sind vielfältig und bereits heute spürbar. Extreme Wetterereignisse wie die Überschwemmungen im Aartal oder die Brände in Kalifornien führen nicht nur zu unmittelbaren Todesfällen und Verletzungen, sondern auch zu erheblichen psychischen Belastungen.

Doch nicht nur Katastrophen, sondern auch die erhöhte Luftverschmutzung führen zu mehr Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, was ich bereits in meinem Praxisalltag bemerke. Darüber hinaus wissen wir, dass Temperaturverschiebungen die Ausbreitung von Infektionskrankheiten begünstigen. Wir beobachten also vermehrt Infizierungen durch Tigermücken und Zecken. Auch die Pollenflugzeiten verändern sich bereits, was langfristig zu einem Anstieg von Allergien führen wird. 

Ein oft übersehener Aspekt sind außerdem die psychischen Belastungen. Bei jüngeren Generationen beobachten wir zunehmend Klimaangst. Gleichzeitig sinkt die psychische Belastbarkeit der Menschen insgesamt, was zu erhöhter Aggressivität führt.

Auf all diese unmittelbaren und langfristigen Auswirkungen muss das Gesundheitswesen vorbereitet sein. Wir müssen also einerseits unsere Patientinnen und Patienten besser informieren, wir müssen aber auch unsere Mitarbeitenden schützen. 

TK: Welche Maßnahmen können Arztpraxen denn sofort umsetzen?

Schwill: Arztpraxen können in zwei Hauptbereichen aktiv werden, um auf den Klimawandel zu reagieren: einerseits durch unmittelbare Maßnahmen bei Hitze und andererseits durch langfristige Reduzierung ihres ökologischen Fußabdrucks.

Bei Hitzewellen können Praxiszeiten in kühlere Tagesstunden verlegt werden und Flüssigkeiten angeboten werden. Es gibt auch die Möglichkeit Mitarbeitenden mit kühlenden Westen auszustatten, um sie an besonders heißen Tagen zu schützen. Wir markieren zudem vulnerable Patientinnen und Patienten in unserem System, um gezielt nach ihrem Wohlbefinden bei Hitze zu fragen. Auch außerhalb der Hitzeperioden spreche ich mit Patientinnen und Patienten über ihre Medikamenteneinnahme - beispielsweise können Wassertabletten bei Hitze vorübergehend abgesetzt werden.

Für eine klimabewusste Praxisführung lassen sich ebenfalls diverse Maßnahmen ergreifen: Das fängt beim Anbieten von Fahrradständern oder Jobbikes für Mitarbeitende an, über energieeffizientes Heizen und Lüften bis hin zu einer klimabewussten Medikamentenverordnung. Hierfür gibt es Listen mit umweltfreundlicheren Alternativen, wie zum Beispiel Ibuprofen statt Diclofenac, das einen schlechteren Abbauweg hat. Es lohnt sich also auch die Medikamentenpläne anzupassen und gegebenenfalls auch etwas zu reduzieren, wenn es medizinisch begründbar ist.

Arztpraxen können in zwei Hauptbereichen aktiv werden: einerseits durch unmittelbare Maßnahmen bei Hitze und andererseits durch langfristige Reduzierung ihres ökologischen Fußabdrucks. Dr. Christine Schwill, Fachärztin für Innere Medizin und im Vorstand der ÄKSH sowie Ärztenetz Eutin-Malente e.V.

TK: Sie sind im Vorstand der Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH) und dem Ärztenetz Eutin-Malente e. V. sowie Mitglied bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.) - Inwiefern engagieren Sie sich dort zum Thema Klimaschutz und welche Projekte gibt es?

Schwill: Zum einen leite ich den Qualitätszirkel Klimawandel und Gesundheit, dieser tagt regelmäßig zu verschiedenen Themen, immer wechselnd online oder vor Ort in Eutin. Dadurch erreichen wir Ärztinnen und Ärzte in ganz Schleswig-Holstein und können unser Wissen und unsere Erfahrungen breit teilen.

Zudem haben wir in der ÄKSH vor zwei Jahren das "Qlima"-Projekt initiiert. Die Hauptziele des Projekts sind medizinisches Fachpersonal zu befähigen, effektiv klimafreundliche Maßnahmen in ihren Praxen zu etablieren. In Schleswig-Holstein akkreditiert die ÄKSH außerdem Veranstaltungen, die klimabewusst ausgestaltet sind - beispielsweise bei der Verwendung von Materialien und der Option einer Anreise von öffentlichen Verkehrsmitteln. Unser Ziel ist es, dieses Konzept in Zukunft bundesweit mit anderen Ärztekammern umzusetzen. 

Im Rahmen der deutschen Gesellschaft für Innere Medizin gibt es jetzt auch eine neu gegründete AG "Klima und Gesundheit", in der ich mich aktiv einbringe. Als Ärztin oder Arzt kann man also auf verschiedenen Ebenen aktiv werden - von kleinen Schritten in der eigenen Praxis über regionale Vernetzung bis hin zum Engagement in bundesweiten Projekten.

TK: Zum Abschluss noch ein ganz praktischer Blick auf die Gegenwart: Hitzewellen werden immer häufiger und intensiver - was sind Ihre drei wichtigsten Tipps, die unsere Zuhörenden sofort umsetzen können, um sich bei extremer Hitze zu schützen?

Schwill: Ganz wichtige Frage, weil Hitzewellen auf uns zukommen werden, und zwar ganz unvermittelt und ungeplant - auch hier bei uns im Norden! Das Erste, was ich empfehle, ist: die Hitze zu meiden und auszusperren. Das heißt nur morgens und abends lüften und anschließend Fenster und Vorhänge zu machen. Das Zweite ist: Bewusstsein für vulnerable Mitmenschen zu schaffen. Hierzu gehören Schwangere, Kinder, Pflegebedürftige, chronisch Erkrankte, Menschen, die im Freien arbeiten und Menschen, die allein leben oder ohne Hilfe sind. Meine Idee hierzu ist "Hitze-Partnerschaften" zu gründen, indem sich zwei Menschen zusammenfinden, die aufeinander aufpassen. Zum Beispiel könnte das Enkelkind daran denken, ob die Oma etwas zu trinken braucht oder auch, dass man der Schwangeren im Bus den kühleren Platz anbietet. Und abschließend das jeder für sich darauf achtet: ausreichend zu trinken, wasserhaltiges Obst zu essen oder den Urin zu kontrollieren - hierfür gibt es sogar extra Plakate, welche anhand der Farbgebung anzeigen, wieviel Wasser man noch zuführen sollte. Diese können Arztpraxen auch in ihren Zimmern aufhängen.

Für die Zukunft erhoffe ich mir, dass wir das Bewusstsein schaffen, dass gesunde Menschen nur auf einem gesunden Planeten leben können.