Wie können wir Antibiotika nachhaltiger einsetzen?
Interview aus Schleswig-Holstein
Dr. Evelyn Kramme leitet das Antibiotic Stewardship (ABS) Team am UKSH Campus Lübeck. Ihr Ziel ist es, den steigenden Raten multiresistenter Erreger und dem stetig zunehmenden Verbrauch von Reserveantibiotika entgegenzuwirken. Welche Risiken Antibiotikaresistenzen bergen und wie wir Antibiotika nachhaltiger einsetzen können, erzählt die Infektiologin im Interview.
TK: Antibiotika sind in der Behandlung bakterieller Infektionen und in der modernen Medizin, etwa bei Organtransplantationen, unverzichtbar. Welche Risiken bestehen, wenn zur Verfügung stehende Antibiotika durch zunehmende Resistenzen nicht mehr ausreichend wirken?
Dr. Evelyn Kramme: Vermeintlich harmlose Infektionen wie Lungenentzündungen und Harnwegsinfektionen werden schwer oder unbehandelbar, wenn sie durch resistente Erreger ausgelöst werden, gegen die uns nur noch wenige oder keine Antibiotika mehr zur Verfügung stehen. Das beträfe in besonderem Maße Patientinnen und Patienten mit Beeinträchtigung des Immunsystems. Die Folgen sind persönliches Leid der Betroffenen, schwerere Krankheitsverläufe, vermehrte Todesfälle auch durch harmlose Infektionen und erhebliche Kostensteigerungen. Viele Errungenschaften der modernen Medizin sind ohne den Einsatz wirksamer Antibiotika nicht durchführbar.
TK: Eine von der TK beauftragte Forsa-Befragung zeigt, dass beim Thema Antibiotika-Einsatz viel Unwissenheit in der Gesellschaft herrscht. 97 Prozent der Befragten haben zwar schon einmal von Resistenzen im Zusammenhang mit Antibiotika gehört. Fast ein Drittel der Befragten meint aber, dass Antibiotika auch bei Virusinfektionen wirken. Mit welchen Maßnahmen lässt sich ein größeres Problembewusstsein erreichen?
Kramme: Es gibt zahlreiche Aufklärungskampagnen, z.B. auch deutschsprachiges Informationsmaterial von der ECDC, von den Krankenkassen und Ärztekammern. Das UKSH hat im Rahmen des Europäischen Antibiotikatages im November einen Aktionstag an beiden Campi mit einem Quiz und Aufklärung über den vernünftigen Einsatz von Antibiotika von Patientinnen und Patienten und Besucherinnen und Besucher sowie dem Personal durchgeführt. Die Verbreitung der Informationen zum sinnvollen Einsatz von Antibiotika in allen Bevölkerungsgruppen ist entscheidend.
TK: Im April 2023 hat das Bundeskabinett die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie DART 30 verabschiedet. Hand aufs Herz: Sind wir damit in Bezug auf einen nachhaltigeren Einsatz von Antibiotika auf einem guten Weg?
Eine verbesserte digitale Vernetzung im Gesundheitssystem würde die Früherkennung einer Ausbreitung resistenter Erreger deutlich beschleunigen und erleichtern.
Kramme: In der "DART 30" Strategie sind wesentliche Handlungsfelder zur Vermeidung der Ausbreitung resistenter Erreger und deren Bekämpfung zusammengefasst. Wichtige Ziele sind die Vorbeugung, die Surveillance der Resistenzsituation und des Antibiotikaeinsatzes, die Fortbildung vom Basiswissen bei Studierenden bis zu der Expertise als Infektiologin oder Infektiologe, die Forschung, aber auch die Kommunikation und die internationale Zusammenarbeit. Durch den hauptsächlichen Einsatz von Antibiotika im ambulanten Bereich kommt diesem bei der aktualisierten DART Strategie eine besondere Bedeutung zu. Das deutsche Zentrum für Infektionsmedizin ist ein Beispiel einer Forschungseinrichtung sowohl mit dem Schwerpunkt der Weiterentwicklung des Forschungsfeldes als auch mit der DZIF Academy der Aus- und Fortbildung einer neuen Generation von Infektionsforschenden. Eine entscheidende Rolle bei der Erhebung, Zusammenführung und Interpretation entscheidender Daten zur Surveillance aber auch auf Patient:Innenebene kommt der dringenden Notwendigkeit eines schnellen Fortschritts bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu. Wesentlich ist auch der "One health Ansatz", der sich nicht auf die Humanmedizin beschränkt.
TK: Wie ist der Stand in der Forschung zu neuen Antibiotika und im Kampf gegen zunehmende Resistenzen?
Kramme: Bislang beruhte die Entwicklung neuer Antibiotika häufig auf Modifikationen bekannter Grundstrukturen. Der Prozess dauert lange, ist kostenintensiv und lohnt sich für Pharmafirmen häufig nicht, da viele Substanzen bereits in den klinischen Studienphasen scheitern. Wenn sie in der Therapie zum Einsatz gelangen, werden sie restriktiv eingesetzt. Deshalb besteht ein neuer Ansatz der Forschung bezüglich neuer antimikrobieller Substanzen darin, zunächst innovative Arzneimittelkandidaten zu entwickeln, die dann gemeinsam mit Industriepartnern in die Praxis gebracht werden sollen. Hier werden Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen gefördert, zusätzlich bestehen internationale Kooperationen. Die Entwicklung alternativer bzw. immunmodulatorischer therapeutischer Verfahren stellt einen weiteren wichtigen strategischen Ansatz zur Behandlung bakterieller Infektionen dar.
Entscheidend für die Behandlung von Infektionen durch resistente Erreger, aber auch die Verhinderung der Ausbreitung sind schnelle diagnostische Möglichkeiten zur Identifikation und Empfindlichkeitstestung. Hier kommt der engen Kommunikation der mikrobiologischen Labore mit den Behandlerinnen und Behandlern eine besondere Bedeutung zu.
TK: Die Corona-Pandemie haben wir gerade hinter uns gelassen. Kann uns ein "super-multiresistenter Erreger" ähnliche Probleme bereiten? Wie hoch ist das Risiko und wären wir darauf gut vorbereitet?
Kramme: Panresistente Bakterien, gegen die keine der im klinischen Alltag eingesetzten Antibiotika mehr wirken, sind weltweit seit langem mit unterschiedlicher Häufigkeit nachweisbar. Für 2019 wird geschätzt, dass fast 5 Millionen Todesfälle weltweit im Zusammenhang mit resistenten Bakterien auftreten. Die Ausbreitung resistenter Erreger wird häufig auch als "silent pandemic" bezeichnet. Über zahlreiche Wege werden resistente Bakterien global verbreitet, z.B. auch über Reisende. Weltweit existieren Surveillance Systeme, die diese Ausbreitung überwachen. Eine verbesserte digitale Vernetzung im Gesundheitssystem würde die Früherkennung einer Ausbreitung resistenter Erreger deutlich beschleunigen und erleichtern. Maßnahmen könnten effektiver umgesetzt und überprüft werden. Deshalb sollten die Prävention der Resistenzentwicklung und -verbreitung sowie die Früherkennung gestärkt werden.