Angesichts des demografischen Wandels und der Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017 haben immer mehr Menschen Anspruch auf Pflegeleistungen. Mehr Menschen, die Pflege benötigen - damit steigen auch die Kosten. 

TK:  Wie sollte Ihrer Meinung nach die geplante Pflegereform aussehen, damit wir als Gesellschaft diese Herausforderung stemmen können? 

Michael Wäschenbach: "Die Situation in der Pflege ist mittlerweile überall von Notlagen belastet. Sowohl die Alten- und Krankenpflege, die pädiatrische Pflege als auch die Pflege von geistig oder körperlich behinderten Menschen sind vom Personalmangel betroffen. Die Ampel-Regierungen in Bund und Land dürfen also nicht länger warten: Nach dem jetzigem Stand ist das aktuelle System der Pflege gescheitert - so deutlich muss man es formulieren. Deshalb brauchen wir eine tiefgreifende Pflegereform, um eine menschenwürdige Pflege auch in Zukunft finanzieren zu können. 

Michael Wäschen­bach MdL

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Pflegepolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion

Der Teufelskreis aus Abwanderungsbewegungen aus vielen Bereichen der Pflegeberufe führt zusammen mit dem demografiebedingten Mehrbedarf unweigerlich zu Personalmangel. Hinzukommt, dass zahlreiche Beschäftigte ihrem bisherigen Job in der Pflege in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt oder sich neu orientiert haben. Der Verbleib junger Menschen nach der Ausbildung im Pflegeberuf ist erschütternd gering. Hier müssen sich Schulen und Arbeitgeber sehr deutlich verbessern, um den jungen Menschen die Freude am Beruf zu erhalten. 

Das umlagefinanzierte Pflegesystem hat seine Grenzen erreicht. Ich persönlich unterstützte einen Systemwechsel für eine steuerfinanzierte Vollversicherung, denn Pflege darf kein Armutsrisiko sein! Wir brauchen außerdem weitere Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege, beispielsweise flexible Überstundenregelungen mit finanziellen Anreizen. Der Aufgabenzuschnitt zwischen Betreuung, Nachbarschaftshilfe, Pflegeassistenz und Pflegefachleistungen muss im Sinne einer ganzheitlichen Versorgung anders justiert werden. Dazu gehört auch die Beseitigung der starren Fachkraftquote. Wir brauchen jede helfende Hand. Letztlich muss der größte Pflegedienst, die Angehörigenpflege, entlastet werden, zum Beispiel durch Rentenpunkte oder Pflegezeit, damit eine Vereinbarkeit zwischen Pflege und Beruf gewährleistet ist."  

TK: Mehr als 240.000 Menschen in Rheinland-Pfalz sind, pflegebedürftig. Wer auf stationäre Pflege angewiesen ist, zahlt im ersten Jahr monatlich einen Eigenanteil von 2.608 Euro - 161 Euro mehr als im Vorjahr. Würde das Land sich vollumfänglich an den Investitionskosten stationärer Pflegeheime beteiligen, würde das den monatlichen Eigenanteil allein schon um 474 Euro reduzieren. Sollte Rheinland-Pfalz Ihres Erachtens nach dieser Verantwortung nachkommen? 

Wäschenbach: Pflege darf keine Frage des Geldbeutels oder des Bundeslandes sein, in dem man gepflegt wird. Wer in Rheinland-Pfalz pflegebedürftig ist, zahlt extrem hohe Pflegekosten. Bereits jetzt wissen viele Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, nicht, wie sie die Kosten stemmen sollen - die Rente alleine reicht bei vielen nicht aus. Viele sprechen von einer Armutsfalle. In der Vergangenheit gab es bereits eine Förderung durch das Land zu den Investitionskosten in der Pflege. Die Förderung wurde aufgrund eines Gesetzentwurfes von SPD und FDP im Jahr 2003 eingestellt.

Wenn sich das Land - wie die allermeisten anderen Bundesländer - wieder finanziell beteiligen oder ein Pflegewohngeld zahlen würde, wäre eine beträchtliche Reduzierung der Eigenanteile für die Investitionskosten von Pflegebedürftigen und Angehörigen möglich. Zu Pflegende sowie die Angehörigen würden dadurch auch in Rheinland-Pfalz bei den zu erbringenden Pflegekosten entlastet. 

Es reicht nicht, wenn der ehemalige Minister Schweitzer auf den Bund und die Reform der Pflegeversicherung verweist; hier kommt das Land seinen eigenen Sozialstaatsansprüchen in keinster Weise nach. Konkrete Vorschläge der CDU-Landtagsfraktion wurden bisher immer wieder abgelehnt. Die Kostenexplosion in der Pflege wird immer mehr zu einem privaten Risiko, die Landesregierung sieht zu und steuert nicht dagegen. Dem Staat ist nicht geholfen, wenn die pflegebedürftigen Menschen in die Sozialhilfe abrutschen."  

TK: Mit welchen Maßnahmen sollte dem Fachkräftemangel in der Pflege begegnet werden?

Wäschenbach: Nicht nur in den Pflegeeinrichtungen herrscht Mangel, auch im ambulanten und häuslichen Bereich. Die 24-Stunden-Pflege zu Hause, mit Hilfe meist osteuropäischer Betreuung, entlastet die professionelle stationäre Pflege. Hier muss angesetzt werden und das deutsche Arbeitsrecht muss für ausländische Beschäftigte angepasst und die legale Beschäftigung im Sinne der versorgungsbedürftigen Menschen vereinfacht werden. 

Im Pflegebereich ist der Fachkräftemangel besonders gravierend, dem sich Einrichtungen im Angesicht der demographischen Entwicklung stellen müssen. Um den Mangel an professionellen Pflegekräften zu beheben, müssen sich die Maßnahmen zuallererst intensiv darauf konzentrieren, Personal zu halten und neu zu gewinnen. Ohne die gezielte Gewinnung von Pflegekräften aus dem Ausland wird es nicht möglich sein, den Personalbedarf in Deutschland kurz- und mittelfristig zu decken. Das Problem: Einstellungsprozesse dieser Menschen sind mit behördlichen Hürden verbunden. Qualifikationsanerkennung und Arbeitserlaubnis sind nur zwei wichtige Punkte, die erfüllt werden müssen und viel Zeit beanspruchen. 

Im Bereich der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen müssen endlich Standards vereinfacht und Bürokratie abgebaut werden. Das Verkürzen von Visaverfahren, der Aufbau von Kapazitäten in den Konsulaten und Botschaften - der Bund muss auch seine Auslandsvertretungen personell so ausstatten, dass innerhalb eines vertretbaren Zeitraums ein Visum ausgestellt wird - sowie die Vereinheitlichung der Anerkennungsprozesse von Berufsabschlüssen sind unabdingbar für eine erfolgreiche Auslandsanwerbung. 

Eine von der CDU auf Bundesebene geforderte bundesweite Agentur zur Anwerbung von Fachkräften würde hier einen wichtigen Beitrag leisten. Deutschland ist nur attraktiv für Krankenschwestern und Pfleger aus Drittstaaten, wenn deren Ausbildung hier anerkannt wird, bzw. in den ersten sechs Monaten während der Arbeit angeglichen werden kann. Ansonsten entscheiden sie sich für andere Länder, in denen Englisch gesprochen wird und wo sie keinen teuren Deutsch-Kurs machen müssen. 

Um Prozesse und Strukturen bei der Fachkräfteeinwanderung und Berufsanerkennung insgesamt zu optimieren und besser zu vernetzen, rege ich an, dass die rheinland-pfälzischen Ministerien - für Inneres, für Soziales und für Justiz - enger zusammenarbeiten. Ziel muss sein, aufenthalts- und anerkennungsrechtliche Prozesse besser aufeinander abzustimmen. 
 
TK: Bürokratischer Aufwand in der Pflege belastet Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer mehr. Was muss sich ändern, damit das Pflegepersonal auch tatsächlich mehr Zeit für die Pflege hat? Könnte eine zunehmende Digitalisierung Ihres Erachtens ein Teil der Lösung sein? 

Wäschenbach: Bis zu 50 Prozent der pflegerischen Arbeitszeit gehen für Bürokratie und Dokumentation verloren. Die Digitalisierung kann deshalb in der Pflege in Rheinland-Pfalz ein enormes Unterstützungspotenzial entfalten, wir haben Hochschulen im Land, die sich exzellent mit diesem Thema befassen. Diese Chance muss die Landesregierung im Sinne der Versorgungsqualität aber auch zur Entlastung der Pflegekräfte endlich ergreifen. Digitale Hilfsmittel und eine Vielzahl an digitalen Anwendungen, wie etwa Spracherkennungsprogramme für die Dokumentation oder KI-gesteuerte Systeme können Pflegebedürftige, Angehörige und Fachkräfte unterstützen und die Pflegesituation erleichtern. 

Gerade in den Pflegeeinrichtungen und Stationen bietet die Digitalisierung die Möglichkeit, Strukturen und Routineprozesse wie die Erfassung von Vitalparametern zu vereinfachen und damit das Personal zu entlasten. Es gibt auch bereits digitale Pflegebetten oder das digitale Pflegezimmer, für dessen Einsatz in Rheinland-Pfalz wir uns einsetzen. Aber auch den Pflegebedürftigen ist besser geholfen, z. B. durch schnelleres Eingreifen bei Stürzen. Auch in der Robotik gibt es enorme Chancen wie z. B. bei der Mobilisierung oder bei Hebehilfen. Dazu müssen in Aus-, Fort-, und Weiterbildung verstärkt auch digitale Kompetenzen vermittelt und der Datenschutz durch Einwilligungserklärungen im Sinne der Versorgung angepasst werden. Die Pflege ist und bleibt aber eine Arbeit am Menschen, die durch die Digitalisierung - auch mit einer Tele-Pflege - unterstützt, nicht aber ersetzt werden kann. Dessen muss man sich immer bewusst sein."

Zur Person

Michael Wäschenbach wurde am 15. Juli 1954 in Kirchen (Sieg) geboren. 1981 legte er sein Fachabitur ab und absolvierte daraufhin an der Fachhochschule des Bundes ein Studium zum Diplom-Verwaltungswirt. Seit 1985 ist Wäschenbach kommunalpolitisch aktiv. 2004 trat er in die CDU ein und wurde im gleichen Jahr zum Ortsbürgermeister gewählt. Auch in den Jahren 2009, 2014 und 2019 wurde er für dieses Amt wiedergewählt. Seit 2012 gehört der gebürtige Westerwälder dem Landtag an und ist zudem pflegepolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Michael Wäschenbach ist verheiratet und hat zwei Kinder.