TK: Mit "Pflegeausbildung - bleib dran" gibt es seit 2023 ein Angebot an den Pflegeschulen in Bremen und Bremerhaven, das sich an angehende Pflegefach- und Hilfskräfte richtet und verhindern soll, dass Auszubildende ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen. Wo setzt das Projekt konkret an, und wie erreichen Sie Auszubildende, die mit dem Gedanken spielen, ihre Ausbildung vorzeitig abzubrechen?

Anke Schmidt: Alle Pflegeazubis in Bremen und Bremerhaven besuchen eine der 11 Pflegeschulen im Land (8 in Bremen und 3 in Bremerhaven). Dort nehme ich Kontakt auf, indem ich das Beratungsangebot von ‚bleib dran‘ in den Kursen vorstelle und das Gespräch mit den Auszubildenden, aber auch mit Schulleitungen und Pflegepädagog:innen suche. Flyer und Plakate sind überall präsent.

Neben regelmäßigen Sprechstunden in Präsenz in den Schulen berate ich auch in meinen Büroräumlichkeiten oder auch gerne in einem ganz anderen Setting, zum Beispiel im Café. Inzwischen ist ‚bleib dran‘ so bekannt, dass die Auszubildenden mich über die Website, E-Mail oder das Handy anschreiben oder anrufen, um einen Termin ganz nach Bedarf und Situation zu vereinbaren.

‚bleib dran‘ ist ein Unterstützungs- und Beratungsangebot für alle Akteure der Pflegeausbildung im Land, wenn auch der Fokus natürlich auf der Begleitung von ratsuchenden Auszubildenden liegt.
Anke Schmidt, Leiterin im Projekt "Pflegeausbildung - bleib dran"

Außerdem komme ich auf Wunsch in die ausbildenden Einrichtungen und vernetze mich über Veranstaltungen, Weiterbildungen und Treffen mit Praxisanleitenden und Vertreter:innen von Pflegeheimen, Kliniken und ambulanten Pflegediensten. ‚bleib dran‘ ist ein Unterstützungs- und Beratungsangebot für alle Akteure der Pflegeausbildung im Land, wenn auch der Fokus natürlich auf der Begleitung von ratsuchenden Auszubildenden liegt.

Nicht zuletzt haben wir auf Anregung von Praxisanleitungen einen Stammtisch für Bremer Pflegeazubis ins Leben gerufen, um in entspannter Atmosphäre miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein Erfolgsmodell, das ich gerne weiter ausbauen würde!

Anke Schmidt

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Projektleiterin im Projekt "Pflegeausbildung - bleib dran"

TK: Mit welchen Herausforderungen sind die Auszubildenden Ihrer Wahrnehmung nach besonders stark konfrontiert?

Schmidt: Die generalistische Pflegeausbildung ist in Theorie und Praxis interessant, vielfältig und spannend, aber auch überaus anspruchsvoll. Die Auszubildenden werden in der Praxis mit existentiellen Fragen um Leben und Tod, aber auch mit einer sehr hohen Verantwortung konfrontiert - und das im belastenden, meistens ungewohnten Schichtdienst. Die theoretischen Inhalte sind komplex, vielfältig und alles andere als simpel. Hieraus ergibt sich eine hohe Belastungssituation und die Notwendigkeit vielfältiger Lern- und Problemlösungskompetenzen, die nicht immer aus der vorangegangenen Schulbildung mitgebracht werden. Wenn dann noch das soziale Umfeld und die allgemeine Lebenssituation nicht stabil sind, wird es schwierig!

Die generalistische Pflegeausbildung ist in Theorie und Praxis interessant, vielfältig und spannend, aber auch überaus anspruchsvoll.
Anke Schmidt, Leiterin im Projekt "Pflegeausbildung - bleib dran"

Hemmnisse gelingender Ausbildung finden sich in schulischen Schwierigkeiten und Konflikten in der Praxis, aber vor allem in persönlichen und häufig komplexen, schwierigen bis prekären Lebenslagen: Die Notwendigkeit, bezahlbaren Wohnraum zu finden, nicht (allein) zu bewältigende Behördenangelegenheiten, Finanznöte, familiäre und psychosoziale Problemlagen mindern die Belastbarkeit und verhindern unbeschwertes Lernen.

Viele der Auszubildenden haben Migrationshintergrund und kämpfen neben der Ausbildung mit gravierenden Integrationsproblemen wie immensen und undurchschaubaren bürokratischen Hürden, mangelnder Sprachförderung, sozialer Isolation und den Folgeerscheinungen. 

TK: Was muss sich aus Ihrer Sicht tun, um die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern und den Arbeitsalltag von Auszubildenden und Fachkräften in der Pflege zu erleichtern?

Schmidt: Der Pflegeberuf beziehungsweise die Ausbildung zur generalistischen Pflegefachkraft ist grundsätzlich überaus attraktiv! Neben dem sinnstiftenden und vielfältigen Berufsbild ist der Verdienst bereits in der Ausbildung sehr gut und die Übernahme- und Weiterentwicklungsaussichten nach bestandener Prüfung bestens. Viele Akteure in der Pflegeausbildung bemühen sich sehr um individuelle Unterstützung und möglichst gute Bedingungen.

Die Arbeitsbedingungen in der Praxis spiegeln das jedoch leider oft nicht wider. Zeitmangel und Unterbesetzung vor Ort sind bekannt und keine Seltenheit, was schon in der Ausbildung zu Überforderung durch mangelnde Begleitung führt. Personalmangel und hoher Krankenstand führen bei den verbleibenden Fachkräften zu zunehmendem Stress und Frustration. Dies verursacht neben den bekannten Problemen für die Pflegebedürftigen, die Stationen und Wohnbereiche natürlich auch notdürftige Praxisanleitung unter Zeitnot und damit Überbelastung von Auszubildenden. Diese werden mit Anforderungen konfrontiert, für die sie noch gar nicht ausgebildet sind: ein Teufelskreis.

Die Auszubildenden, aber auch die Fachkräfte, die aus dem Ausland zu uns kommen (und die wir so DRINGEND brauchen!), benötigen Begleitung, Förderung, Unterstützung statt Ausgrenzung und Ablehnung: Hilfe zum Ankommen, zur Erweiterung der Sprachkompetenzen und zur gesellschaftlichen und sozialen Integration statt bürokratischer Hürden und Alltagsrassismus.

Die Lebenslagen vieler junger Menschen - aus dem In- und Ausland - sind geprägt von vielfältigen Problemen und Schwierigkeiten. Pflegeazubis mit Schulsozialarbeit zu begleiten, wäre für die Pflegeschulen eine wichtige, sinnvolle und entlastende Ergänzung des Angebots!
Anke Schmidt, Leiterin im Projekt "Pflegeausbildung - bleib dran"

Die Lebenslagen vieler junger Menschen - aus dem In- und Ausland - sind geprägt von vielfältigen Problemen und Schwierigkeiten. Pflegeazubis mit Schulsozialarbeit zu begleiten, wäre für die Pflegeschulen eine wichtige, sinnvolle und entlastende Ergänzung des Angebots! Leider gibt es hierfür im Land Bremen aktuell kein Finanzierungsmodell. ‚bleib dran‘ als Projekt von Arbeitnehmerkammer und Senatorin für Gesundheit kann hier leider nur sehr begrenzt helfen.

TK: Wie schätzen Sie die Rolle der Digitalisierung in der Pflegeausbildung und später im Pflegeberuf ein? An welchen Stellen kann die Digitalisierung Möglichkeiten der Entlastung im Arbeitsalltag schaffen und - mit Blick auf die Ausbildung - gegebenenfalls auch dabei unterstützen, Ausbildungsabbrüchen vorzubeugen?

Schmidt: Nach meiner beruflichen Erfahrung in Pflegeheimen und im Beratungskontext kann Digitalisierung immer nur ein Hilfsmittel, eine Ergänzung, sein und niemals persönliche Begleitung ersetzen. Viel wichtiger wäre die Vereinfachung von Dokumentationen, von Anträgen, Verwaltung und Prozessen, also echter, spürbarer Bürokratieabbau.

Ein durchaus nennenswerter Teil meiner Beratungstätigkeit beschäftigt sich mit Unterstützung bei digitalen Antragstellungen an diverse Behörden. Die Anforderungen sind alles andere als einfach oder barrierearm: oft so komplex, dass sie für die Betroffenen kaum zu bewältigen sind. Das raubt allen Beteiligten Zeit, Energie, Mut.

TK: Wann gehen Sie mit einem positiven Gefühl aus einer Beratung? Und wie definieren Sie einen Beratungserfolg?

Meine Beratung ist grundsätzlich ergebnisoffen, um ein vertrauensvolles Gespräch zu ermöglichen. Viele Auszubildende, die zu mir kommen, haben große Ängste oder erleben ihre Situation als ausweglos. Sie bedanken sich oft für die Zeit, das Zuhören, die Wertschätzung. Sie erfahren Begleitung und Unterstützung - in den großen Fragen ihrer persönlichen Zukunft, aber auch und gerade im Kleinen, bevor der Abbruchgedanke unumkehrbar wird.

Manchmal ist die Hilfe sehr konkret: die Formulierung einer Bewerbung um ein WG-Zimmer, der Link zur Wohngeldstelle oder die Terminanfrage bei einer Behörde, ein gemeinsames Gespräch mit Lehrer oder Praxisanleiterin. Manchmal verweise ich zu anderen Unterstützungs- und Hilfsangeboten: Lerncoaching, Beratung für junge Migranten und Flüchtlinge, sozialpsychiatrische Beratung und viele andere. Ich vermittele ehrenamtliche Ausbildungsbegleitung und rege Fördermaßnahmen an. Oft entwickeln Auszubildende im Gespräch auch selbst Ideen, was in der jeweiligen Situation helfen könnte oder die nächsten Schritte sind.

Nach meiner Erfahrung ist jedes Gespräch individuell - und jede Not ist es wert, angehört zu werden.
Anke Schmidt, Leiterin im Projekt "Pflegeausbildung - bleib dran"

Erfolgreich ist meine Beratung dann, wenn sie zur Klärung beiträgt, stabilisiert und bestenfalls zur Fortsetzung der Ausbildung befähigt. Nach meiner Erfahrung ist jedes Gespräch individuell - und jede Not ist es wert, angehört zu werden.