Studie: Auswirkungen der Coronapandemie in der Pflege
Interview aus Bayern
Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie auf die Bewältigung des Alltags für hilfsbedürftige Personen? Welche spezifischen Belastungen und Langzeitfolgen erleben hilfsbedürftige Personen durch Coronapandemie und Covid-19-Erkrankung? Wie ist die Situation der pflegenden Angehörigen? Diese und weitere Fragen möchte die BaCom-Studie beantworten. Die Abkürzung steht für "Bayerischer ambulanter Covid-19-Monitor".
Neben dem LMU Klinikum München sind die Katholische Stiftungshochschule München sowie die Universitätskliniken in Würzburg und Erlangen beteiligt. Gefördert wird die Studie vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege.
Der Sprecher der BaCom-Studie und Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Klinikum der LMU, Prof. Dr. Jochen Gensichen, erklärt im Interview unter anderem, welche ersten Zwischenergebnisse die Untersuchung schon geliefert hat.
TK: Seit wann läuft die Studie?
Prof. Dr. Jochen Gensichen: Der Startschuss der vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege bewilligten Studie war der 1. März 2021. Seitdem werden an drei bayerischen Standorten (München, Erlangen und Würzburg) Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer eingeschlossen.
TK: Wie lange wird die Studie laufen?
Prof. Gensichen: Die geplante Studienlaufzeit ist voraussichtlich drei Jahre, das heißt, die Studie läuft bis Ende 2024.
TK: Wie viele Menschen soll sie einschließen?
Prof. Gensichen: Die Studie können bis zu 2.000 Patientinnen und Patienten nach einer Covid-19-Infektion aufgenommen werden, deren Angehörige, Hausärztinnen und -ärzte und Pflegekräfte sowie auch Kontrollpatientinnen und -patienten.
TK: An welche Personengruppen richtet sich die Studie?
Prof. Gensichen: Die Studie richtet sich an alle erwachsenen Personen nach einer Covid-19-Infektion, die bei der Bewältigung ihres Alltags auf Hilfe angewiesen sind. Hierzu gehören Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, aber auch Personen, die in ihrem häuslichen Umfeld Hilfe in Anspruch nehmen, sei es von An- und Zugehörigen oder von ambulanten Pflegediensten. Um belastbare Erkenntnisse zu ermöglichen, richtet sich die Studie aber auch an Kontrollpatientinnen und -patienten ohne Hilfsbedürftigkeit bzw. ohne überstandene Covid-19-Infektion.
Deutlich wird vor allem, wie unterschiedliche verschiedene Personengruppen die Pandemie wahrnehmen und von ihr betroffen sind.
TK: Welche konkreten Fragen soll die Studie beantworten?
Prof. Gensichen: Folgende Fragen möchten wir beantworten:
- Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie auf die Bewältigung des Alltags für hilfsbedürftige Personen?
- Welche spezifischen Belastungen und Langzeitfolgen erleben hilfsbedürftige Personen durch Coronapandemie und Covid-19-Erkrankung?
- Welche Lücken bestanden und bestehen in der Versorgung hilfsbedürftiger Patienten während der Coronapandemie?
- Wie ist die Situation der (pflegenden) Angehörigen? Was sind deren Schwierigkeiten und Bedarfe?
TK: Gibt es mittlerweile Zwischenergebnisse?
Prof. Gensichen: Interessanterweise hat sich der Alltag vieler pflege- und hilfsbedürftiger Menschen durch die Covid-19 Pandemie gar nicht so stark verändert, wie man das zunächst erwarten könnte. Zumindest weisen unsere Daten bisher in diese Richtung. Viele sind zum Beispiel durch ihre nachlassende Mobilität im Alter ohnehin schon stark eingeschränkt in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe.
Die spezifischen Bedarfe hilfsbedürftiger Personen in Zeiten der Corona-Pandemie sind bisher unzureichend erforscht.
Das heißt natürlich nicht, dass diese Menschen nicht stark belastet wären: Im Gegenteil! Gerade weil deren Möglichkeiten mitunter so eingeschränkt sind und der körperliche Zustand so prekär, fallen die zusätzlichen Belastungen - etwa durch den vorübergehenden Ausfall von Therapien - besonders ins Gewicht.
Als krisenhaft erleben die Situation aber wohl vor allem die Angehörigen von pflegebedürftigen Menschen. In der stationären Versorgung waren viele sehr unglücklich mit den Möglichkeiten, ihre pflegebedürftigen Angehörigen weiterhin in das Familienleben miteinzubeziehen, das heißt, gemeinsam zu essen oder zu feiern.
Heimleitungen und Pflegende haben hingegen die Angehörigen als sehr fordernd wahrgenommen, trotz aller Kontaktgelegenheiten, die man unter den jeweiligen Infektionsschutzvorgaben zu organisieren vermochte. Deutlich wird vor allem, wie unterschiedliche verschiedene Personengruppen die Pandemie wahrnehmen und von ihr betroffen sind. Hier werden Zielkonflikte sichtbar, die hoch relevant sind für mögliche Hebel, an denen Verbesserungsbemühungen ansetzen könnten.
TK: Welche Schlussfolgerungen sollen mit den Ergebnissen gezogen werden?
Prof. Gensichen: Die spezifischen Bedarfe hilfsbedürftiger Personen in Zeiten der Coronapandemie sind bisher unzureichend erforscht. Die Studie soll eine wissenschaftliche Grundlage liefern für die Erarbeitung von spezifischen Maßnahmen, um Lücken in der medizinischen und pflegerischen und Versorgung hilfsbedürftiger Patientinnen und Patienten verbessern können.