"Durch Digitalisierung mehr Zeit für persönliche Zuwendung ermöglichen."
Interview aus Baden-Württemberg
Ein Interview mit Heike Baehrens MdB, der gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, zur Digitalisierung in der Pflege.
TK: PUEG, DigiG und Co. - welche der gesetzgeberischen Impulse für die Stärkung der Digitalisierung in der Pflege erachten Sie als besonders wirkungsvoll?
Heike Baehrens: Ganz besonders wichtig erscheint mir im Moment, dass die digitale Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Leistungserbringern, wie Pflegediensten, Heimen, Ärzten und Pflegekassen, besser funktioniert. Das entlastet auch die Pflege, denn eine reibungslose Kommunikation spart sowohl zeitliche als auch personelle Ressourcen. Der quartalsweise Gang der ambulanten Pflegedienste in die Arztpraxen erledigt sich, wenn die Verordnungen für die häusliche Krankenpflege künftig elektronisch übermittelt werden können. Eine digitale Ausfüllhilfe verhindert, dass die Verordnungen unvollständig und damit unbrauchbar sind.
Eine digitale Ausfüllhilfe verhindert, dass die Verordnungen unvollständig und damit unbrauchbar sind.
Deswegen ist es wichtig, dass die Telematikinfrastruktur ausgebaut und die elektronischen Verordnungen im Versorgungsalltag flächendeckend genutzt werden. Mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) wurde bereits das Förderprogramm für den Ausbau der digitalen Infrastruktur verlängert und die Fördertatbestände ausgeweitet. Die Regelungen im geplanten Digitalgesetz sind ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer funktionierenden digitalen und sektorenübergreifenden Kommunikation. Zu diesen Investitionen müssen auch die Länder ihren Beitrag leisten. Das passiert derzeit leider nur unzureichend.
TK: Beim GKV-Spitzenverband wird ein interdisziplinäres "Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege" eingerichtet. In Baden-Württemberg gibt es bereits das Landeskompetenzzentrum Pflege & Digitalisierung Baden-Württemberg (PflegeDigital@BW). Was erhoffen Sie sich politisch von solchen Einrichtungen?
Baehrens: In der Pflege gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Leistungserbringer, insbesondere bei den Pflegediensten. Sie variieren in ihrer Größe, haben unterschiedliche Strukturen, Arbeitsabläufe und Leistungsspektren. Da ist es wichtig, dass es einen kompetenten Ansprechpartner gibt, der die Pflegedienste individuell bei der Implementierung von digitalen Technologien unterstützt und ihnen auch bei der Schulung ihrer Mitarbeitenden zur Seite steht. Denn nur, wenn die Potenziale der digitalen Technologien im Arbeitsalltag richtig genutzt werden, kann das Pflegepersonal spürbar entlastet und die Versorgung verbessert werden. In Baden-Württemberg hat sich das Kompetenzzentrum auf Landesebene bewährt. Wir erhoffen uns ähnliche Effekte auf Bundesebene.
TK: Pflegende Angehörige sind oftmals noch durch Beruf und Kinder stark belastet und könnten durch digitale Angebote, wie etwa durch digitale Kommunikation mit Pflegestützpunkten oder eine Plattform mit komfortabler Suchfunktion und aktueller Angebotsübersicht, besonders profitieren. Welche Bemühungen speziell für diese Gruppe gibt es von politischer Seite?
Digitale Anwendungen können pflegende Angehörige in vielfältiger Weise entlasten.
Baehrens: Digitale Anwendungen können pflegende Angehörige in vielfältiger Weise entlasten. Das beginnt bereits mit einer einfachen und unbürokratischen digitalen Kommunikation mit den Pflegekassen. Es hat einen absoluten Mehrwehrt, wenn man Erstattungsleistungen direkt über ein Online-Portal abwickeln kann, ohne die Anträge ausdrucken, unterschreiben und zur Post oder persönlich vorbeibringen zu müssen.
Regelmäßig aktualisierte Übersichtsplattformen können die Suche nach geeigneten Pflegeangeboten für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen enorm vereinfachen. Sie können aber auch eine Mehrbelastung für die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen bedeuten, weil diese Listen tagesaktuell gehalten werden müssen. Solche digitalen Möglichkeiten auszuloten und in geeigneter Form umzusetzen wird ebenfalls Aufgabe des Kompetenzzentrums für Digitalisierung und Pflege sein. Da es sich hier um lokale Strukturen handelt, müssen die Länder und Kommunen mit ins Boot geholt werden.
TK: Seit einiger Zeit stehen digitale Pflegeanwendungen (DiPAs) sowie digitale Pflegehilfsmittel wie digitale Medikamentenspender oder ein Assistenzsystem, das unter anderem Stürze erkennt, für GKV-Versicherte zur Verfügung. Wie bewerten Sie diese Leistungen und wie kann man sie stärker in die Versorgung bringen?
Baehrens: Diese Programme können die Selbstständigkeit von pflegebedürftigen Menschen fördern, einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit vorbeugen und so dazu beitragen, dass Menschen länger in ihren eigenen vier Wänden leben und gepflegt werden können. Wir haben den Anspruch auf digitale Pflegeanwendungen unabhängig vom Pflegegrad gesetzlich verankert, sodass sie über die Pflegekassen abgerechnet werden können. Nun kommt es darauf an, dass die Pflegeanwendungen auch wirklich das halten, was sie versprechen und stärker in die Versorgung integriert werden. Im Moment wird geprüft, ob sich die Zulassungsverfahren vereinfachen und entbürokratisieren lassen.
TK: Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Welches Potenzial - und eventuell Gefahren - sehen Sie beim Thema Künstliche Intelligenz in der Pflege?
Das eigentliche Ziel der Digitalisierung in der Pflege ist nicht, das Pflegepersonal zu ersetzen, sondern mehr Zeit für persönliche Zuwendung zu ermöglichen.
Baehrens: Grundsätzlich sehe ich ein großes Potential. Digitale Anwendungen, die Gesundheitsparameter digital erfassen und selbstständig dokumentieren, sparen dem Pflegepersonal beispielsweise sehr viel Zeit und Aufwand. Intelligente Softwares helfen bei der effizienten Organisation und Tourenplanung der ambulanten Pflegedienste. So bleibt mehr Luft für den direkten Kontakt und auch dem Fachkräftemangel lässt sich damit begegnen. Wichtig ist, den ethischen Aspekt bei der Nutzung digitaler Möglichkeiten und insbesondere der künstlichen Intelligenz niemals aus den Augen zu verlieren. Das eigentliche Ziel der Digitalisierung in der Pflege ist nicht, das Pflegepersonal zu ersetzen, sondern mehr Zeit für persönliche Zuwendung zu ermöglichen.
Zur Person:
Heike Baehrens, geboren 1955 in Bevern, ist seit September 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Seit 2021 ist sie gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Zudem ist sie ehrenamtliche Vorsitzende des Kreisbehindertenrings Göppingen. Von 1996 bis 2013 war Heike Baehrens Geschäftsführerin im Diakonischen Werk Württemberg, ab 2002 zusätzlich stellvertretende Vorstandsvorsitzende im dreiköpfigen Vorstand.
Heike Baehrens ist verheiratet und hat zwei Kinder und vier Enkel.