Seit im Sommer 2023 die ersten Eckdaten der Klinikreform bekanntgeworden sind, herrscht in der Krankenhauslandschaft, auch in Hessen, viel Aufregung. Die Idee, die hinter der Reform steckt: Nicht mehr jedes Krankenhaus soll jede Leistung erbringen können, sondern nur noch die Leistungen, für die es jeweils qualitativ, technisch und personell ausgestattet ist. Hierfür sollen 65 Leistungsgruppen eingeführt werden, die wiederum an Qualitätsvorgaben gekoppelt sind. Vorgesehen ist, dass die Planungsbehörden der Länder den einzelnen Krankenhäusern ihre jeweiligen Leistungsgruppen zuweisen. Verständlicherweise überlegt gerade jede Krankenhausgeschäftsführung, was das für ihr Haus bedeuten würde. Allen dürfte dabei klar sein: Ein so großer Strukturwandel, wie er erforderlich ist, kann nicht nur Gewinner hervorbringen. 

Hessisches Gesundheitsministerium fordert Klinken zum Reden auf

Während aktuell auf Bundesebene noch viel über die genaue Ausgestaltung der Klinikreform diskutiert wird, hat Hessens Gesundheitsministerin Diana Stolz die Kliniken im Land bereits mehrfach dazu ermuntert, nicht auf die fertige Klinikreform zu warten, sondern sich schon jetzt damit auseinanderzusetzen, welche Leistungen sie künftig wirklich erbringen wollen. Dabei sollten sie sich dringend auch mit den anderen Krankenhäusern in ihrer jeweiligen Stadt und Region austauschen. Die Kliniken sind aufgefordert, sich Gedanken darüber machen, wo ihre tatsächlichen Stärken liegen und wo sie künftig ihre Ressourcen investieren wollen. 

Erste Kliniken haben gehandelt

Einige Kliniken haben die Bitte aus Wiesbaden recht eigensinnig interpretiert und haben sich dafür entschieden, Leistungsangebote auszuweiten oder gleich ganz neue Abteilungen aufzubauen - in der Hoffnung, später im Prozess möglichst viele Leistungsgruppen zugewiesen zu bekommen. Andere hingegen stellen sich tatsächlich bereits darauf ein, sich künftig auf bestimmte Leistungen zu konzentrieren und dafür andere abzugeben. 

So passiert beispielsweise in Bad Arolsen: Der Träger der dortigen Klinik, die Gesundheit Nordhessen Holding (GNH), hat entschieden, bis Ende Juni die Chirurgie des Hauses zu schließen. Hintergrund sei, dass die Anzahl der Operationen am Standort Bad Arolsen seit der Corona-Pandemie deutlich zurückgegangen sei und es auch immer schwieriger werde, offene Stellen im Krankenhaus zu besetzen. Im Interview mit der HNA sagte Michael Knapp, Chef der GNH Anfang März, dass es auch einfach besser sei, bestimmte Erkrankungen wie Schlaganfälle oder Herzinfarkte in einem spezialisierten Krankenhaus behandeln zu lassen. Während es zunächst viele kritische Stimmen zur Ankündigung der Chirurgie-Schließung gegeben hatte, scheint auch die Kommunalpolitik vor Ort mittlerweile erkannt zu haben, dass es ein "Weiter so" in Bad Arolsen nicht geben kann. 

Patientenrückgang und Fachkräftemangel machen allen Kliniken zu schaffen

Ein "Weiter so" kann es auch für die anderen Krankenhäuser in Hessen nicht geben - aus denselben Gründen wie in Bad Arolsen: Die Fallzahlen sind seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie überall deutlich zurückgegangen. Hessens Kliniken haben im Jahr 2022 insgesamt 1,2 Mio. Patientinnen und Patienten vollstationär behandelt - gegenüber dem Vorjahr war dies zwar ein Anstieg um rund 1,4 Prozent. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 sind die Patientenzahlen jedoch um 11,8 Prozent zurückgegangen. Inzwischen kann davon ausgegangen werden, dass sich diese Zahlen auch künftig nicht mehr ändern werden. Die Kliniken halten also aktuell Leistungen und Betten vor, die nicht mehr benötigt werden. Das kostet unnötig Geld und verschwendet ohnehin schon knappe Personalressourcen. Auch der Fachkräftemangel macht eine Reform der Kliniklandschaft unumgänglich. Immer häufiger melden sich Kliniken von der Notfallversorgung ab oder müssen Abteilungen beziehungsweise Betten "sperren", weil nicht mehr ausreichend Personal zur Verfügung steht. 

Darmstädter Kliniken gehen eigenen Weg

Probleme wie diese machen auch vor Krankenhäusern im urbanen Raum keinen Halt. Auch sie müssen sich auf die Klinikreform und veränderte Rahmenbedingungen einstellen. Das Klinikum Darmstadt und das Agaplesion-Elisabethenstift in Darmstadt haben Ende April das hessische Gesundheitswesen mit der Ankündigung überrascht, künftig eng zusammenarbeiten zu wollen. Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um eine unverbindliche Kooperationsvereinbarung: Die beiden Häuser prüfen sogar die Gründung einer gemeinsamen Holding, an der beide Partner gleich viele Anteile hätten. Diese Ankündigung ist vor dem Hintergrund, dass es sich hier um zwei Kliniken in unterschiedlicher Trägerschaft handelt, ganz besonders erstaunlich. Das Klinikum Darmstadt ist kommunal geführt und das Elisabethenstift konfessionell-freigemeinnützig. 

Käme es zur Gründung einer gemeinsamen Holding, würden die Kliniken - zumindest in Hessen - Geschichte schreiben. Die beiden vormals getrennten Kliniken wären dann ein Unternehmen und würden gemeinsam Entscheidungen treffen. Sie würden nicht mehr länger um Patientinnen und Patienten sowie um Mitarbeitende konkurrieren und könnten ihr medizinisches Angebot untereinander aufteilen und einander anpassen.

Als Arbeitgeber attraktiver werden

Für ihre Entscheidung nennen die zwei Kliniken in ihrer gemeinsamen Stellungnahme verschiedene Gründe. Zum einen erhoffen sie sich von der Zusammenarbeit, als Arbeitgeber attraktiver zu werden, was angesichts des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels ein wichtiger Faktor sei. Gleichzeitig hätte die Zusammenarbeit auch den Vorteil, dass beide Kliniken die immer schärfer werdenden gesetzlichen Mindestmengen gemeinsam besser erreichen könnten. Grundsätzlich ginge es den Partnern darum, eine bestmögliche medizinische Versorgung für die Meschen in und um Darmstadt sicherzustellen und die Häuser auf wirtschaftlich tragfähige Beine zu stellen.
Bis eine gemeinsame Holding tatsächlich gegründet werden kann, gebe es aber viel zu tun, heißt es in der Stellungnahme der zwei Kliniken. So gebe es beispielsweise noch kartellrechtliche sowie arbeitsrechtliche Fragen zu klären. Auch hoffen die beiden Krankenhäuser auf Fördermittel der öffentlichen Hand. Nicht nur die TK, sondern auch viele weitere Akteure im hessischen Gesundheitswesen werden die Entwicklungen in Darmstadt in den nächsten Wochen und Monaten mit Spannung weiterverfolgen.