Weiterentwicklung der Bremer Psychiatrielandschaft
Interview aus Bremen
Wie der Patientennutzen verbessert werden kann, erläutert Bernhard Breuker, Krankenhausexperte der TK-Landesvertretung Bremen.
TK: Herr Breuker wie ist die Situation in der Psychiatrieversorgung in Bremen, wie hat die Entwicklung begonnen?
Bernhard Breuker: In Folge der Psychiatrie-Enquête von 1975 hat sich die Behandlung psychisch Kranker in Bremen von einer häufig wohnortfernen Versorgung in Landeskrankenhäusern - für Bremen war das das Kloster Blankenburg - zu einer gemeindenahen Sozialpsychiatrie am Wohnort des Patienten entwickelt. Im Zuge dieser Entwicklung wurden zahlreiche Patienten nach teilweise jahrzehntelangem Aufenthalt aus den Landeskrankenhäusern in ihre Herkunftsgemeinde entlassen. Die Behandlungsqualität und Teilhabe am Leben dieser Patienten wurde damit deutlich verbessert.
Nach dieser Reform in den siebziger Jahren des letzten Jahrtausends galt die Bremer Psychiatrie lange Zeit als Vorzeigepsychiatrie. Natürlich haben andere Regionen inzwischen nachgezogen und uns teilweise sogar überholt.
Wenn ich die Situation der Psychiatrischen Versorgung heute beschreiben soll, können wir von einer strukturell hoch versorgten Region sprechen. Das Angebot in der psychiatrischen Versorgung in Bremen bildet in seiner Vielfalt eine gute Ausgangslage für eine qualitativ hochwertige Versorgung.
Bis hierhin könnte man sagen, in Bremen ist alles toll, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, es besteht kein weiterer Handlungsbedarf. Aber es gibt noch eine andere Seite: Nach Analyse der TK-Abrechnungsdaten liegen die durchschnittlichen Kosten für psychiatrische Behandlungen in Bremer Kliniken an vierter Stelle im Bundesvergleich, noch vor den anderen Stadtstaaten Berlin und Hamburg. Zudem sind die Bremer Patienten Spitzenreiter bei Krankenhauswiederaufnahmen: Mit durchschnittlich1,5 Wiederaufnahmen innerhalb eines Jahres hat Bremen die höchste Wiederaufnahmerate aller Bundesländer.
Wir müssen feststellen, dass den hohen Kosten der Bremer Psychiatrie keine entsprechend bessere Qualität gegenübersteht.
Dieses Problem ist auch der Bremer Politik bekannt. Die Bremische Bürgerschaft hat bereits 2013 in einem Beschluss eine Psychiatriereform gefordert, die unter anderem die Erprobung von Modellversuchen nach § 64 b SGB V fordert.
TK: Was bedeutet Modellversuch nach § 64 b SGB V?
Breuker: Bei uns in Deutschland werden im internationalen Vergleich psychiatrisch erkrankte Patienten zu häufig stationär behandelt. Dem weiter voranschreitenden Bettenaufbau und den damit verbundenen Ausgabensteigerungen muss ein tragfähiges Konzept entgegengesetzt werden. Seit 2013 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, auf der Grundlage von § 64b SGB V Modellvorhaben zu vereinbaren.
Diese Regelung gibt Krankenkassen zusammen mit ausgewählten psychiatrischen Einrichtungen die Möglichkeit, alternative Behandlungskonzepte zu erproben.
Das Kernziel der Modellvorhaben ist die innovative Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung mit der Zielsetzung, stationäre Behandlung durch ambulante und aufsuchende Behandlungsformen zu substituieren. Durch die Etablierung von vergleichbaren Modellvorhaben sollen Erkenntnisse sowohl für die Weiterentwicklung der Vergütung als auch für die Optimierung der Versorgung gewonnen und in die Regelversorgung überführt werden. Mittels der Weiterentwicklung der Vergütung wird für die Leistungserbringer der finanzielle Anreiz gesetzt, vermehrt sektorenübergreifend und bedarfsgerecht zu versorgen.
TK: Halten Sie ein Modellversuch für geeignet, die Versorgung und die Versorgungsqualität zu verbessern?
Breuker: Da an ein § 64er-Modell sehr hohe administrative und formale Voraussetzungen gestellt werden, hatten wir zunächst das Ziel verfolgt, die Ursachen in den Strukturen der Regelfinanzierung beseitigen. Dies betrifft z.B. die Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA). Eine gute Behandlungskoordination zwischen Krankenhaus und PIA kann Krankenhausaufenthalte vermeiden oder zumindest deutlich verkürzen.
In vielen Bundesländern - so auch in Bremen - wird die PIA über Quartalspauschalen vergütet. Diese Form der Vergütung hat zur Folge, dass es für das Krankenhaus wirtschaftlich nachteilig ist, Patienten während eines Quartals häufiger und intensiver zu behandeln. In den Bundesländern, in denen die PIA über eine Quartalspauschale vergütet wird, finden deutlich weniger Patientenkontakte statt als in den Ländern, in denen die Kliniken eine am Behandlungsaufwand orientierte Einzelleistungsvergütung vergütet bekommen.
Nach Berechnungen der TK hat eine Bremer PIA im Durchschnitt 5,4 Kontakte pro Jahr zu ihren Patienten. Das ist die niedrigste Kontaktquote bundesweit. Im Vergleich dazu sind es in Ländern mit Einzelleistungsvergütung wie Thüringen oder Bayern 11 Kontakte pro Jahr. Erschwerend für die Bremer PIA-Patienten kommt hinzu, dass die Fallzahlen in den meisten PIAs nach oben begrenzt sind. Die Kliniken haben nach Erreichen der vereinbarten Fallzahlen keinen Anreiz, weitere Patienten in die PIA aufzunehmen. Hier wird deutlich, dass diese Form der PIA-Vergütung einer weiteren Ambulantisierung der psychiatrischen Behandlung im Wege steht. Deshalb streben wir auch eine Umstellung der PIA-Vergütung an. Diese soll aufwands- und verursachungsgerecht nach Einzelleistungen vergütet werden und die Fallzahlbegrenzung soll wegfallen.
Eine solche Vereinbarung birgt natürlich auch gewisse Risiken: Es besteht die Gefahr, dass die Anzahl der abgerechneten PIA-Leistungen ansteigt, so dass hier zusätzliche Kosten entstehen, ohne dass stationäre Behandlungen dadurch ersetzt werden.
Hier bietet ein Modell nach § 64 b SGB V tatsächlich einen interessanten Gestaltungsspielraum. Durch Vereinbarung eines Gesamtbudgets über die verschiedenen Sektoren hinweg kann den Patientinnen und Patienten die passende Behandlung - stationär, teilstationär, Behandlung zu Hause (Hometreatment) - passend zur jeweiligen Situation angeboten werden. Dadurch kann die Transformation der bisher vorwiegend stationären psychiatrischen Behandlung hin zu ambulanten Versorgungsformen gelingen, ohne dass der Leistungserbringer - in diesem Fall das Krankenhaus - finanzielle Nachteile erleidet. Der bisherige ökonomische Optimierungszwang entfällt.
Konzeptionell ist dies natürlich kein Sparmodell - das ist auch nicht das Ziel dabei. Dennoch kann sich im Laufe der Zeit eine Win-Win-Situation für Krankenkassen und Krankenhaus durch Erschließen Wirtschaftlichkeitsreserven ergeben.
Primär geht es jedoch um die Erhöhung des Patientennutzens durch eine Verbesserung der Behandlungsqualität. Deshalb ist für uns auch die Evaluation der Ergebnisse von zentraler Bedeutung. Die TK und die anderen Ersatzkassen haben in der Ausgestaltung von Modellvorhaben eine hohe Kompetenz. Durch Erfahrungen mit laufenden Modellen aus anderen Bundesländern wissen wir, welche Modellkonstruktionen erfolgreich sind und welche nicht. Diese Erfahrungen bringen wir in die aktuelle Diskussion ein. Wir würden uns wünschen, dass alle Krankenkassen an dem geplanten Transformationsmodell teilnehmen, denn nur so kann ein Umbruch gelingen.