Auf die neue Führungsspitze der KV Baden-Württemberg warten schwierige Aufgaben. Die ambulante medizinische Versorgung steht vor tiefgreifenden Veränderungen. 

Auf der einen Seite macht sich der Ärztemangel gerade in ländlichen Regionen immer mehr bemerkbar. Andererseits eröffnen medizinischer Fortschritt und digitale Vernetzung den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten neue Perspektiven.

TK: Frau Mussa, was erwarten Sie vom neuen Führungsduo der KV Baden-Württemberg?

Nadia Mussa: Offenheit und Flexibilität halte ich für sehr wichtig, um bei den sich schnell ändernden Rahmenbedingungen zu guten Lösungen zu kommen. Ich wünsche mir eine vertrauensvolle, konstruktive Zusammenarbeit mit dem neuen KV-Vorstand und biete diese auch selbst an. Denn es warten große Herausforderungen: Die ambulante medizinische Versorgung steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Auf der einen Seite macht sich der Ärztemangel gerade in ländlichen Regionen immer mehr bemerkbar. Erstmals in Baden-Württemberg wurde offiziell Unterversorgung festgestellt. Andererseits eröffnen medizinischer Fortschritt und digitale Vernetzung den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten neue Chancen. Die gilt es konsequent zu nutzen. 

Ich setze auf Kontinuität, wenn es darum geht, innovative Lösungen für Baden-Württemberg zu finden. Nadia Mussa

Nadia Mussa

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Leiterin der TK Landesvertretung Baden-Württemberg

Dabei setze ich auch auf Kontinuität, wenn es darum geht, innovative Lösungen für Baden-Württemberg zu finden. In den vergangenen Jahren wurden beispielsweise die Notfallpraxen auf den Weg gebracht, das Förderprogramm "Ziel und Zukunft" (ZuZ) aus der Taufe gehoben und mit docdirekt der Einstieg in die Telemedizin geschafft. Daran möchte ich gerne zusammen mit Herrn Dr. Braun und Frau Dr. Reinhardt anknüpfen. 

TK: Welche Chancen und Perspektiven sehen Sie für die ambulante Versorgung?

Mussa: Intelligente Vernetzung im ambulanten Sektor führt zum einen dazu, dass Krankenhausaufenthalte auf das notwendige Maß reduziert werden und sich zum anderen auch die Versorgungsqualität verbessert. Ein Beispiel: Seit April wird das Telemonitoring bei Herzinsuffizienz als GKV-Leistung angeboten. Dabei werden medizinische Parameter wie etwa Blutdruck oder Herzrhythmus laufend an ein telemedizinisches Zentrum (TMZ) übermittelt, wo erfahrene niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte für Innere Medizin und Kardiologie die Daten beobachten. Falls Auffälligkeiten festgestellt werden, erfolgt umgehend eine Information an die Arztpraxen, die vor Ort für die Behandlung zuständig sind. 

Das Modell, arztbasierte Callcenter in unterversorgten Bereichen einzurichten, passt zu unserem Vorschlag, telemedizinische Versorgungspakte zu bilden. Nadia Mussa

Die KV arbeitet derzeit an einem Konzept, in unterversorgten Regionen arztbasierte telemedizinische Callcenter einzusetzen. Dieses CUB-Modell (Callcenter unterversorgte Bereiche) passt zu unserem Vorschlag, telemedizinische Versorgungspakte zu bilden: Dabei werden Ärztinnen und Ärzte in überversorgten Gebieten telemedizinisch in solchen Regionen tätig, in denen eine Unterversorgung droht oder bereits eingetreten ist. Damit wäre eine gute Grundlage gelegt, um digitale Behandlungsketten von der Videosprechstunde bis zum E-Rezept zu realisieren. 

Es würde mich sehr freuen, wenn sich die ambulante Versorgung rasch in diese Richtung entwickeln würde. Baden-Württemberg wäre damit wieder einmal richtungsweisend. Wir bieten hier gerne die Zusammenarbeit mit dem neuen KV-Vorstand an.

TK: Nicht nur die Welt der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ändert sich. Auch andere Sektoren wie die stationäre Versorgung oder die Pflege sind im Umbruch. Was bedeutet das für die ambulante Medizin?    
   
Mussa: Das bedeutet, dass wir zu diesen Bereichen endlich Schnittstellen schaffen müssen, die einen vernünftigen Übergang im Interesse der Patientinnen und Patienten ermöglichen. Das kann bei der Schließung von Krankenhäusern ein regionales Gesundheitszentrum mit ambulanten Therapieangeboten sein - immer angepasst an die Gegebenheiten vor Ort. Einige Landkreise wie zum Beispiel der Ortenaukreis gehen bei diesem Strukturwandel mit gutem Beispiel voran.

Durch das Krankenhauszukunftsgesetz fließen derzeit rund 500 Millionen Euro zur Digitalisierung der Krankenhäuser allein nach Baden-Württemberg. Damit soll auch das Entlassmanagement deutlich verbessert werden. Für mich ist wichtig, dass davon auch die anschließende ambulante Versorgung profitiert. Dies könnte einen Schub bedeuten für gemeinsame telemedizinische Netzwerke. Das geht mir in Baden-Württemberg zu langsam voran, hier sind andere Bundesländer weiter.   

Es gibt aber auch Verbesserungspotenzial zu Bereichen, die bisher nicht so sehr im Fokus stehen, zum Beispiel zur Zahnmedizin. Im kommenden Jahr werden rund 400 Hausarzt- und Zahnarztpraxen in Baden-Württemberg und NRW digital vernetzt, um die gefährliche Wechselwirkung zwischen Diabetes Typ-2 und Parodontitis in den Griff zu bekommen.