Kommunikation als Schlüssel: Projekt will Teamwork in der Geburtshilfe verbessern
Interview aus Bremen
Forschende der Jacobs University Bremen beschäftigen sich derzeit mit der Frage wie die Zusammenarbeit auf Geburtsstationen verbessert werden kann. Im Fokus stehen dabei die Kommunikationskompetenzen, die mithilfe einer App entwickelt und ausgebaut werden sollen. Professorin Sonia Lippke betreut hauptverantwortlich das TeamBaby-Projekt - wir haben sie zum aktuellen Stand, den Auswirkungen der Corona-Pandemie und den Chancen der Studie interviewt.
TK: Der Innovationsfonds fördert seit vier Jahren u.a. unterschiedliche Projekte aus dem Bereich der Versorgungsforschung. Die TK und die Jacobs University kooperieren derzeit beim TeamBaby Projekt. Was steckt hinter dem Projektnamen?
Professorin Sonia Lippke: Zentral im Projekt ist die Sicherheit von (werdenden) Müttern und Kindern in der Geburtshilfe. Dazu ist eine gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten notwendig. Mit einer digitalen App sollen grundlegende Kompetenzen der Kommunikation und Zusammenarbeit - auch zwischen werdenden Eltern und dem Fachpersonal - vermittelt und ausgebaut werden.
Bei der Suche nach einem Projektnamen ging es um allgemeine Verständlichkeit. Für die Sicherheit eines Babys sollten alle gut zusammenarbeiten. Somit sind Kommunikation und Teamarbeit essentielle Elemente der Patientensicherheit - also in der Geburtshilfe, bei werdenden Eltern, in frischgebackenen Familien aber auch generell bei der Kommunikation im Gesundheitswesen.
Im Sinne der Patientensicherheit und der Sicherheit des ungeborenen Kindes ist es notwendig, dass medizinisches Fachpersonal bzw. Krankenhauspersonal (wie z.B. Ärzte, Hebammen, Pfleger oder Psychologen) effektiv mit den werdenden Eltern zusammenarbeitet, um eine sichere Geburt zu gewährleisten.
TK: Womit beschäftigen Sie sich derzeit und wie ist das Projekt im Weiteren gegliedert?
Professorin Lippke: Wir befinden uns derzeit mitten in der Durchführung des Projektes. Dabei gibt es drei Studienphasen:
In der ersten Phase absolviert das Klinikpersonal persönliche Trainingseinheiten. Ihre Fähigkeiten, sicher miteinander zu kommunizieren, sollen sich dadurch verbessern. Die Anzahl und der Schweregrad der vermeidbaren Fehler auf den Geburtsstationen, sowie deren Kosten, sollen sich in Folge dessen verringern.
In der zweiten Phase werden die werdenden Eltern online geschult und die Wirksamkeit der Online-Schulung im Vergleich zu einer nicht geschulten Kontrollgruppe erfasst. Dabei erwarten wir, dass die werdenden Mütter aufgrund der Trainings eine höhere Kommunikationskompetenz in der Interaktion mit Fachkräften entwickeln und eine höheres Selbstvertrauen bezüglich der Kommunikation mit Fachkräften entsteht. Eine deutliche Reduktion der Anzahl und der Schweregrad der Fehler und Missverständnisse soll sich ebenfalls im direkten Vergleich der Gruppen ergeben.
Bei der finalen Phase rückt die App, die auf Basis der vorhergehenden Schulungen entwickelt wurde, in den Fokus. Auch hier wird erwartet, dass die Nutzung einer digitalen Kommunikations-App zu einer Reduktion von Fehlern und Missverständnissen führt, da sich die Kommunikation verbessert.
TK: Derzeit beschäftigen wir uns mit …
Professorin Lippke: …dem Projekt, so wie wir es geplant haben, aber auch mit der aktuellen Situation aufgrund der Corona-Pandemie. Wir kümmern uns um die Belastungen der Menschen in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im speziellen, aber auch allgemein im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung.
In TeamBaby befinden wir uns momentan in der zweiten von drei Phasen (Schulung von werdenden Müttern und Begleitpersonen). Aber auch die Vorbereitung der dritten Phase bringen wir gerade voran: Die Entwicklung der Kommunikations-App für das medizinische Fachpersonal und die werdenden Mütter sowie deren Begleitpersonen.
Hierarchien als Hindernis
TK: Welchen Bedarf konnten Sie bereits in den untersuchten Geburtsstationen ausmachen? Von welchen Problemen wird Ihnen berichtet?
Professorin Lippke: Es werden unterschiedliche Bedarfe in Hinblick auf Kommunikation geäußert. Verbesserungsmöglichkeiten sehen wir zwischen den verschiedenen Berufsgruppen z.B. hinsichtlich der unterschiedlichen Herangehensweisen und Ausbildungen. Dementsprechend ist eine verbesserte Kommunikation auch hier notwendig, um diese so sicher wie möglich zu gestalten, insbesondere wenn Sprachbarrieren gegeben sind.
Weitere Bedarfe sind struktureller (insbesondere Hierarchien) und personeller Natur (z.B. unterbesetzte Stationen, mangelnde Zeit für Patientenkontakte und Austausch). Hier machen sich vor allem der weitverbreitete Personalmangel und die oftmals hohe Auslastungssituation auf den Stationen bemerkbar.
Allgemeine Anspannung durch Corona
TK: Kann man feststellen, dass die Kommunikationsprobleme unter dem Einfluss der Corona-Pandemie zugenommen haben?
Professorin Lippke: Mitarbeiter haben noch einmal verstärkt in Schichten gearbeitet, um das Risiko einer Infektion auf der Station so gering wie möglich zu halten und ggf. auch nachvollziehen zu können, wo ein Infektionsfall aufgetreten ist. Das war zum Teil ein Belastungsfaktor für das Personal. Daneben konnten Begleitpersonen die werdenden Mütter auf der Station und sogar im Kreißsaal nur zeitweise besuchen. Eingeschränkter Kontakt zwischen den Begleitpersonen und den werdenden Müttern erzeugt Stress, Unwohlsein, Unsicherheiten, Ängste sowie Gefühle des Kontrollverlusts und Einschränkung in der Selbstbestimmung. Generell haben viele, die während des Lockdowns Hilfe wegen gesundheitlicher Probleme gesucht haben, von einer Verschlechterung der Kommunikation in dieser Zeit berichtet.
TK: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Eckpunkte für eine sichere Kommunikation auf Geburtsstationen?
Professorin Lippke: Gute Kommunikation zwischen medizinischen Fachpersonal und werdenden Müttern: Patientinnen und Begleitpersonen sollen als Partner der Behandlung und Genesung gesehen und als solche auch einbezogen und ermutigt werden, Rückfragen zustellen, sowohl bei Unsicherheiten als auch bei Verständnisproblemen.
Das Fachpersonal sollte über die Hierarchiestufen hinweg mögliche Bedenken z.B. zu einer Behandlung äußern. Zudem soll die Stärkung eines Perspektivwechsels (weg vom wissenden Profi mit Fachterminologie, ohne Empathievermögen) hin zu einem medizinischen Fachpersonal, das sich in die Patienten und Angehörigen hineinfühlen kann, herbeigeführt werden.
TK: Was davon kann in den angedachten persönlichen Trainings vermittelt werden?
Professorin Lippke: Im persönlichen Training können die Kommunikationskompetenzen geübt und gestärkt werden.
Zudem werden in weiteren Modulen folgende Elemente trainiert: Bewusstseinsbildung, Perspektivwechsel, Empathiefähigkeit, Selbstwirksamkeit, Handlungspläne und Konfliktbewältigung. Mit den Mitarbeitenden vor Ort konnten die persönlichen Trainings stattfinden.
Und es kommt auf alle Partner an, also trainieren wir nicht nur Mitarbeiter sondern auch Patientinnen und Begleitpersonen. Diese Schulungen können aber nicht vor Ort stattfinden, sondern müssen online durchgeführt werden.
Erfahrungen fließen in die Entwicklung der App mit ein
TK: Wie könnte eine entsprechende App die Verbindlichkeit der Kommunikation zwischen Fachkräften, Patienten und Angehörigen verbessern?
Professorin Lippke: Den Kern der App stellen die Schulungseinheiten dar, die die werdenden Mütter sowie deren Begleitpersonen und das medizinische Fachpersonal durchlaufen. Die Inhalte der verschiedenen Gruppen sind aufeinander abgestimmt und basieren z.T. auf den vorherigen Phasen, wie z.B. aus den praktischen Mitarbeiter-Schulungen vor Ort.
Durch regelmäßige Reflexionsübungen und Einheiten soll ein gemeinsames Kommunikationsverständnis zwischen Fachkräften/Mitarbeitern und den werdenden Eltern sichergestellt werden.
TK: Welche Chancen für die Versorgung hätte eine gelungene Umsetzung des Konzepts in der Praxis?
Professorin Lippke: Die entworfenen Elemente sind nicht nur theoretisch gut verankert, sondern auch praxisnah entworfen und von Anfang an mit den verschiedenen Zielgruppen gemeinsam entwickelt worden. Fehler und Missverständnisse sollen im Nachhinein reduziert werden sowie die Patientensicherheit erhöht werden. Kommunikationstrainings sowie die App wurden bereits partizipatorisch mit den Klinik Mitarbeitern dahingehend entwickelt, dass sich beide Elemente (App und Training) in den Arbeitsalltag integrieren lassen. Das gleiche gilt auch für die Kommunikationstrainings der werdenden Mütter.