"An oberster Stelle steht für uns, dass unsere Versicherten gut mit Arzneimitteln versorgt sind"
Interview aus Saarland
Teure neue Medikamente, steigende Ausgaben, Lieferengpässe - in der Arzneimittelversorgung gibt es viele Herausforderungen zu bewältigen. Welche Entwicklungen gerade besonders drängend sind und welche Maßnahmen es jetzt braucht, erklärt der Leiter des Fachbereichs Arzneimittel bei der TK, Tim Steimle, im Interview.
TK: Herr Steimle, Sie leiten bei der Techniker Krankenkasse den Fachbereich Arzneimittel. Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen in diesem Bereich?
Tim Steimle: An oberster Stelle steht für uns, dass unsere Versicherten gut und sicher mit Arzneimitteln versorgt sind. Dafür setzen wir uns jeden Tag ein. Natürlich erleben wir, dass Nachrichten über Lieferengpässe vielen Menschen Sorgen machen. Dazu ist wichtig zu sagen: Dass ein Wirkstoff nicht lieferbar ist, kommt sehr, sehr selten vor. Häufig können Versicherte ein anderes Medikament mit dem gleichen Wirkstoff erhalten. Trotzdem ist es natürlich sehr wichtig, die Liefersicherheit zu stärken. Dafür machen wir Vorschläge und sind mit der Politik im Austausch. Wir brauchen ein besseres Frühwarnsystem und robustere Lieferketten bei den Herstellern, die wir auch vertraglich festhalten dürfen. Eine sehr große Herausforderung sind auch die Arzneimittelausgaben. Diese sind in der gesamten GKV in den letzten Jahren immens gestiegen und haben die Ausgaben für die ärztliche Versorgung überholt.
TK: Viele Arzneimittel, die neu auf den Markt kommen, sind sehr teuer. Wie kommen diese Preise zustande?
Steimle: Ganz genau. Diese neuen, sogenannten patentgeschützten Arzneimittel sind die großen Kostentreiber. Sie machen fast 50 Prozent der Ausgaben aus, aber nur sechs Prozent des Verbrauchs. Diese Zahlen zeigen schon die immensen Kosten der einzelnen Medikamente. Für neue Gentherapeutika hat sich ein Preisniveau in Millionenhöhe etabliert. Dabei ist wichtig zu sagen: Wenn diese Medikamente eine echte Verbesserung sind, sollen Patientinnen und Patienten diese natürlich schnell bekommen, das ist keine Frage. Eine wichtige Frage ist jedoch, ob die aufgerufenen Preise, die die Versichertengemeinschaft zahlt, fair und angemessen sind. Es ist oft nicht nachvollziehbar, wie diese extrem hohen Preise zustande kommen und sie schaukeln sich immer höher. Das teuerste Gentherapeutikum hatte einen Einführungspreis von über vier Millionen Euro. Wir sehen es so: Die Hersteller müssen bei diesen Preisen nachvollziehbar erklären, wie diese anhand von Forschungs-, Entwicklungs- und Herstellungskosten zustande kommen. Aktuell ist die Preisbildung komplett intransparent und die Hersteller können die Preise erst einmal frei festlegen.
TK: Was bedeutet das für die Versicherten und was muss aus Ihrer Sicht passieren, um diese Entwicklung zu stoppen?
Steimle: Die Ausgaben steigen stark. Wir wollen natürlich, dass auch in Zukunft alle Versicherten von den neuen Therapien profitieren können. Deshalb muss hier etwas passieren. Kurzfristig ist ein erhöhter Herstellerabschlag ein gutes Instrument, um die Arzneimittelausgaben zu stabilisieren. Das hat das Jahr 2023 gezeigt, in dem der Herstellerabschlag, den die Unternehmen auf bestimmte Medikamente zahlen, von sieben auf zwölf Prozent erhöht wurde.
Es ist unverständlich, warum auf Arzneimittel nicht der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent gilt.
TK: Was muss sich noch ändern?
Steimle: Es ist unverständlich, warum auf Arzneimittel nicht der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent gilt - wie auf Grundnahrungsmittel und sogar auf Schnittblumen. Dies würde die GKV jährlich um etwa sechs Milliarden Euro entlasten. Auf längerfristige Sicht müssen wir aber zu Preisen für neue Arzneimittel kommen, die sich an den tatsächlichen Forschungs-, Entwicklungs- und Herstellungskosten orientieren, um die Preisbildung transparenter und fairer zu gestalten. Ein wichtiger Punkt in dieser Diskussion ist: Wir wollen, dass Deutschland für die Pharmaindustrie ein attraktiver Standort bleibt. Dafür braucht es politische Maßnahmen, die Stichworte sind weniger Bürokratie, schnellere Genehmigungsverfahren. Es darf aber nicht sein, dass die Versichertengemeinschaft absurd hohe Preise für Arzneimittel zur Standortförderung bezahlt. Das ist nicht der Zweck von Beitragsgeldern.
TK: Sie haben schon die Gentherapien angesprochen. Was sind die Chancen, aber auch die Risiken?
Steimle: Wir haben uns in einem Report intensiv mit dem Thema beschäftigt. Dazu gehört die angesprochene Frage der Finanzierung, wenn immer mehr Gentherapeutika auf den Markt kommen. Diese neuen Medikamente bringen vielen Menschen berechtigte Hoffnung, ein Beispiel dafür ist das Gentherapeutikum Zolgensma, das gegen spinale Muskelatrophie bei Kindern eingesetzt wird. Wir haben für den Report mit Dr. Andreas Ziegler gesprochen, der am Universitätsklinikum Heidelberg Kinder mit Zolgensma behandelt. Er spricht von einer extrem erfolgreichen Therapie, genauso sagt er aus ärztlicher Sicht, dass wir uns die explodierende Zahl von teuren Therapien mit diesen Preisen auf Dauer nicht leisten können. Hier brauchen wir eine gesellschaftliche Diskussion und Lösungen für die Preisbildung.