"Unser Ziel ist mehr Lebensqualität für Parkinson-Betroffene"
Interview aus Rheinland-Pfalz
Interview mit Dr. Sergiu Groppa, Professor für Neurologie und Leiter der Sektion für Bewegungsstörungen und Neurostimulation an der Universitätsmedizin Mainz.
Rund 400.000 Menschen sind in Deutschland von Morbus Parkinson betroffen. Sie ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Das neue Versorgungsprojekt "INSPIRE-PNRM+" hat sich zum Ziel gesetzt, die Versorgung der betroffenen Patientinnen und Patienten zu optimieren und bedarfsgerecht auszurichten. Wir haben mit dem Leiter des Innovationsfondsprojektes, Univ.-Prof. Dr. Sergiu Groppa, gesprochen. Er ist Leiter der Sektion Bewegungsstörungen und Neurostimulation der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz, bei der die Konsortialführung liegt.
TK: Das Versorgungsprojekt INSPIRE-PNRM+ möchte die Versorgung von Patienten mit Morbus Parkinson optimieren. Worauf liegt dabei der Fokus?
Prof. Sergiu Groppa: Der Verlauf der Parkinsonerkrankung ist heterogen, das heißt, wir kennen verschiedene Formen: Zum Beispiel gibt es Patienten und Patientinnen, die bei einer guten Behandlung über Jahre und Jahrzehnte nur wenige Beschwerden und eine sehr gute Lebensqualität haben. Andererseits sehen wir auch Fälle, in denen die Erkrankung doch recht rasch verläuft. Für beide Szenarien ist es aber außerordentlich wichtig zu wissen, dass geeignete Therapien zu einer deutlich verbesserten Lebensqualität beitragen können. Im Fokus unseres Versorgungsprojektes steht die neue Versorgungsform (nVF), die zu einer sektorenübergreifenden und patientenzentrierten Versorgung führen soll. Unser Ziel ist es, neue Versorgungsansätze zu erproben, die Krankheitsbelastung zu senken und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Darüber hinaus soll die nVF neue Wege gehen, Prozesse optimieren und gesundheitsökonomische Vorteile bringen.
TK: Inwiefern unterscheidet sich diese Versorgungsform von der gängigen Behandlung?
Prof. Groppa: Die nVF besteht aus drei Komponenten: Dazu gehören die Advanced Practice Nurses, kurz APN. Das sind Personen, die bereits länger in der Pflege tätig waren, sich mit einem Studium weiter spezialisiert haben und speziell für die Parkinsonversorgung weitergebildet wurden. Weitere Komponenten sind das interdisziplinäre und transsektorale Netzwerk sowie die telemedizinische Plattform (TMP). Die nVF kann durch die spezifische, telemedizinisch gestützte Intervention im spezialisierten Netzwerk und mit der Funktion einer APN gezielt die Krankheitsbelastung senken und die Lebensqualität der Menschen mit Parkinson-Syndromen steigern. Im Vergleich zur Regelversorgung kann die nVF zu einer verbesserten Vernetzung der an der Behandlung beteiligten Akteure und Akteurinnen beitragen und neue Strukturen für eine bessere Versorgung der Patienten etablieren. So wird die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen verschiedenen Versorgungssektoren, Einrichtungen, Disziplinen und Berufsgruppen optimiert. Diese leitliniengerechte, auf die einzelnen Patienten abgestimmte und bestmöglich spezialisierte Versorgung weist gesundheitsökonomische Vorteile im Vergleich zur Regelversorgung auf und hat somit das Potenzial, das Gesundheitssystem langfristig signifikant zu entlasten.
TK: Mit der Unimedizin Mainz und den Unikliniken Frankfurt und Kiel sowie der deutschen Parkinson Vereinigung e.V. sind - neben weiteren Partnern - vier Institutionen am Projekt beteiligt, die viel Expertise auf dem Gebiet der Parkinson-Behandlung einbringen. Was versprechen Sie sich von dieser Zusammenarbeit?
Prof. Groppa: Die zusätzliche Einbindung der Expertise auf dem Gebiet der Parkinson-Behandlung fördert und stärkt die bereits bestehenden interdisziplinären und sektorenübergreifenden Netzwerkstrukturen des ParkinsonNetz RheinMain+ (PNRM+). Zu den im Netzwerk beteiligten Berufsgruppen zählen neben zahlreichen neurologischen Fachärzten und -ärztinnen und APNs unter anderem auch Heilmittelerbringer wie Physio- und Ergotherapeuten und -therapeutinnen sowie Logopäden und Logopädinnen, Apotheken und Parkinson-Selbsthilfegruppen. Ärzte und Therapeuten sparen durch die digitale interprofessionelle Vernetzung Zeit und Ressourcen für die Koordination der Versorgung sowie die Befunderhebung, die wiederum für die individuelle Behandlung sowie für wichtige Therapieentscheidungen im Rahmen der Behandlung genutzt werden können. Unser Ziel ist es, auch auf lange Sicht diese neuartige Versorgungsform bundesweit verfügbar zu machen. Daher ist es uns sehr wichtig, dass wir uns bereits aktuell überregional vernetzen und auch die Expertise auf dem Gebiet der Parkinson-Behandlung entsprechend bündeln.
TK: Der Einsatz von speziell ausgebildetem Pflegepersonal, den sogenannten Advanced Practice Nurses (APNs), ist ein weiterer Baustein im Projekt. Was macht dies so besonders bzw. welche Qualifikationen dieser APNs führen zu einer besseren Versorgung?
Prof. Groppa: Die APNs sind auf Masterniveau qualifizierte Pflegefachpersonen mit mehrjähriger Berufserfahrung im Bereich der medizinischen Behandlungspflege. Vor Ausübung der projektspezifischen Tätigkeiten erhalten die APNs zusätzliche Fortbildungseinheiten zur Versorgung von Menschen mit Parkinson und zur telemedizinischen Versorgung. Die APNs sind damit befähigt, die für die Umsetzung klinischer Leitlinien und Standards notwendigen Behandlungsmaßnahmen anzustoßen und ggf. auch selbst zu übernehmen.
Die Versorgung durch eine speziell ausgebildete APN ermöglicht den Patienten und Patientinnen eine individuelle leitliniengestützte Behandlung. Darüber hinaus erhalten sie durch die APN Unterstützung bei der Anpassung ihrer Lebenssituation an die Krankheitsfolgen. Dabei sollen Über- und Fehlversorgungen vermieden werden, indem unter anderem Medikamenten- und Therapiepläne bedarfsgerecht abgestimmt und angepasst werden. Außerdem werden durch digitale Konsultationen das Vertrauen und die Autonomie der Patienten gestärkt, indem die APN als Hauptansprechperson fungiert und die Patienten in der Krankheitsbewältigung berät und schult.
TK: Im Projekt setzen Sie auch auf Telemedizin. Welche Vorteile ergeben sich daraus in der Zusammenarbeit der Behandelnden sowie in der Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten?
Prof. Groppa: Die telemedizinische Plattform (TPM) ermöglicht, dass alle patientenrelevanten Informationen digital gebündelt werden und damit allen an der Versorgung Beteiligten (APNs, Leistungserbringende des PNRM+ und darüber hinaus) zur Verfügung stehen. Mit Hilfe der digitalen Plattform können alle an der Versorgung Beteiligten barrierearm untereinander und mit den Patienten vernetzt werden. Eine weitere wichtige Funktion der TPM ist die Möglichkeit, in dringenden Fällen Kontakt mit den APNs aufzunehmen oder gegebenenfalls später auch mit den behandelnden Ärzten und Ärztinnen zu kommunizieren. Dadurch können den Patienten und Patientinnen und Familien lange Wege in die Praxen oder in die Notaufnahme erspart und Ressourcen überlegt und evidenzbasiert genutzt werden.
Hinweis zur Person:
Sergiu Groppa ist Professor für Neurologie und Leiter der Sektion für Bewegungsstörungen und Neurostimulation an der Universitätsmedizin Mainz. Nach dem Studium der Medizin an den Universitäten Bonn, Innsbruck und Kiel wurde er als Neurologe und klinischer Neurowissenschaftler an den Universitäten Kiel und am King's College London ausgebildet. Seine wissenschaftliche Arbeit konzentriert sich auf Mechanismen der Reorganisation des Gehirns für motorische und kognitive Funktionen und als Anpassungsprinzip bei neurologischen Erkrankungen. Er entwickelt die Versorgung der Patienten mit M. Parkinson weiter und erforscht Paradigmen für eine optimierte Neuromodulation mit tiefer Hirnstimulation (DBS).