„Thüringen hat Potenzial!“
Interview aus Thüringen
Die zwei Medizinstudentinnen Paula Tomasini und Saskia Vandahl erklären, wieso sie sich für ein Medizinstudium in Jena entschieden haben und was ihnen in Bezug auf eine potenzielle Niederlassung in Thüringen wichtig ist. Es wird deutlich, dass die Nähe zur Natur, zur Familie aber auch die Entwicklung der Politik und das Thema Nachhaltigkeit eine große Rolle bei der Entscheidung spielen.
TK: Warum habt ihr euch für ein Medizinstudium in Jena entschieden?
Paula Tomasini: Ich habe mich 2018 bei einem Wettkampf in Jena in die Kernberge und das Paradies verliebt. Das viele Grün, die Saale und die Berge mit einer Aussicht, die jedes Mal aufs Neue besticht. Mein Abi habe ich in Sachsen gemacht und zum Studieren wollte ich ein kleines Stück weiter weg von zu Hause. Dass die Friedrich-Schiller-Universität dann Medizin als Studiengang anbietet, war für mich ein glücklicher Zufall.
Im Nachhinein fallen mir aber noch viel mehr Gründe ein, warum ich Jena als Studienort empfehlen würde. Die Größe der Stadt ist überschaubar, aber trotzdem für meinen Geschmack nicht zu klein. Man kennt sich. Weitere Pluspunkte sind die zahlreichen Möglichkeiten Sport zu machen, sich neben oder in der Uni zu engagieren, die vielen Studierenden, die einen Großteil des Stadtbildes prägen.
Saskia Vandahl: Die Entscheidung für ein Studium in Jena fiel in meinem Fall einfach dadurch, dass ich von allen Wunschuniversitäten nur aus Jena eine Zusage erhielt. Tatsächlich hatte ich aber auch am meisten auf eine Zusage aus Jena gehofft. Ich komme aus Thüringen, Jena ist die nächstmögliche Universität, um Medizin zu studieren und ich kannte die Stadt bereits gut. Ich musste also für mein Studium nicht in eine völlig unbekannte Stadt ziehen und bin auch nicht allzu weit von meiner Familie entfernt.
TK: Könnt ihr euch vorstellen, langfristig als Ärztin in Thüringen tätig zu sein? Vielleicht sogar als Hausärztin?
Vandahl: Aktuell möchte ich nach dem Studium erstmal eine Weile raus aus Jena und vielleicht auch raus aus Deutschland, um einen möglichst diversen Blick auf die ärztlichen Tätigkeiten zu bekommen. Dabei reizt mich vor allem die klinische Arbeit und weniger die Ambulanz, obwohl mir beide Bereiche Spaß machen.
Langfristig kann ich mir aber gut vorstellen zurück nach Thüringen zu kommen, um hier in der Nähe meiner Familie zu leben und zu arbeiten.
Langfristig kann ich mir aber gut vorstellen zurück nach Thüringen zu kommen.
Tomasini: Ich kann mir vorstellen in Thüringen als Ärztin zu arbeiten, bin mir aber noch nicht sicher, ob ich bleiben werde. Als Hausärztin aber zumindest nicht. Ich habe großen Respekt vor dieser Arbeit und glaube deshalb aber auch zu wissen, dass meine Stärken in anderen medizinischen Feldern liegen.
Die Punkte, die für mich für Thüringen sprechen sind eher emotionaler Natur. Ich fühle mich hier zugehörig, willkommen und gut aufgehoben. Ein Teil meiner Familie kommt aus Thüringen und ich verbinde schöne Kindheitserinnerungen mit dem Bundesland. Mir gefallen das Land und auch ein Großteil der Leute. Thüringen hat Potenzial.
Ich fühle mich hier zugehörig, willkommen und gut aufgehoben.
Es gibt viele veraltete Denkweisen, die durchbrochen werden müssen. Wenn dies aber erst einmal geschafft ist und man auf Augenhöhe miteinander spricht, dann lassen sich in einem etwas kleineren Bundesland wie Thüringen bestimmte Dinge besser und einfacher realisieren als in einem größeren Bundesland. So zumindest mein Wunsch.
Ein großer Punkt, der für mich gegen Thüringen sprechen könnte, ist die zukünftige politische Situation. Ich möchte in keinem Bundesland leben, in dem ein großer Teil der Menschen rechtspopulistischen Parteien die eigene Stimme geben will.
Verschiedene Meinungen sind wichtig, weil sie voranbringen. Aber Hass und Hetze sind keine Meinungen und führen zurück und nicht nach vorn. Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, dass man sich engagiert. Einfach um den Dialog wieder in Gang zu bringen. Um Verständnis zu schaffen. Gerade auch die Medizin kann helfen Brücken zu schlagen.
Gerade auch die Medizin kann helfen Brücken zu schlagen.
TK: Wie sieht es bei euren Kommilitoninnen oder Kommilitonen aus? Sprecht ihr über eure beruflichen Pläne? Gibt es überhaupt konkrete Vorstellungen?
Tomasini: Die meisten, die ins Medizinstudium starten, sind froh einen Platz bekommen zu haben. Das ist die konkrete Vorstellung, die man schon vor dem Studium hat. Weitere Gedanken zur eigenen Karriere und Laufbahn entstehen dann eher auf dem Weg. Die wenigsten, mit denen ich zu tun habe, wissen von Beginn an, was sie später einmal machen wollen. Man lernt die meisten Gebiete ja doch erst so richtig kennen, wenn man sie in der Uni hat oder in einem Praktikum sieht.
Hier in Jena gibt es mit dem JENOS Programm die Besonderheit, dass man sich schonmal ein bisschen orientieren kann, in welchen Bereich (ambulant, klinisch oder Forschung) man gehen möchte. Und da gibt es zum Ende der Vorklinik dann schon einige, die wissen, dass sie mal in die Ambulanz wollen und viele wählen aber auch einfach die klinische Linie, weil sie es eben noch nicht genau wissen.
Vandahl: Unter uns Studierenden sprechen wir viel über die unterschiedlichen beruflichen Pläne. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass eine der häufigsten Fragen an einen Medizinstudierenden "Und in welche Fachrichtung willst du mal gehen?" lautet. Wir reden viel darüber wer sich welchen Facharzt vorstellen kann und wer lieber klinisch oder ambulant tätig sein möchte. Konkretere Pläne, wie z.B. wo man später arbeiten möchte, sind seltener ein Thema. Generell sind die Zukunftspläne sehr verschieden. Einige wissen bereits sehr genau wie die Zukunft aussehen soll, andere lassen es noch etwas auf sich zukommen.
Unter uns Studierenden sprechen wir viel über die unterschiedlichen beruflichen Pläne.
TK: Was wäre hilfreich für die Entscheidung in Thüringen Ärztin/Arzt zu werden?
Vandahl: Für mich persönlich ist es wichtig, nach dem Studium Neues zu entdecken. Ich lebe schon mein ganzes Leben in Thüringen und bin auch gerne hier, aber gleichzeitig möchte ich auch andere Städte und Bundesländer kennenlernen. Deshalb möchte ich gerne außerhalb von Thüringen arbeiten. Grundsätzlich spricht für mich aber nichts dagegen, hier als Ärztin tätig zu sein.
Tomasini: Anreize, die es sonst - leider - in wenigen oder keinem anderen Bundesland gibt. Ich möchte später einmal in der Klinik tätig sein und finde die Vorstellung schlimm, dass die meisten Kliniken kaum bis gar nicht auf ihren Einfluss auf die Umwelt schauen. Für mich und auch viele meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen ist es aber dann doch ein entscheidender Faktor, wie ökologisch nachhaltig das Krankenhaus ist. Hat das Wunsch-Klinikum einen gute oder schlechte Umweltbilanz? Was wird tatsächlich aktiv getan, um der Klimakrise entgegenzuwirken und was ist nur Greenwashing als Marketingstrategie.
Und genauso lassen sich diese Fragen auch auf das Thüringer Gesundheitswesen im Allgemeinen hochskalieren. Schaffen wir es, das Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral zu gestalten, wie es der Deutsche Ärztetag 2021 als Ziel ausgegeben hat? Oder ist in Thüringen Klimaschutz kein Gesundheitsschutz?
Wie sieht es mit der Digitalisierung aus? Schaffen wir es in Thüringen, effektive Strukturen zu gestalten, um Mensch und Umwelt im Gesundheitswesen zu entlasten? Darf ich als junger Mensch an den Lösungen für die Zukunft in Thüringen mitgestalten?
TK: Woran denkst du, wenn du an Hausärztinnen und -ärzte im ländlichen Raum denkst?
Tomasini: Ich denke an lange Arbeitsstunden, zu wenig Wertschätzung in der Politik. Ich denke an weite Fahrwege und viele Patientinnen und Patienten, die betreut werden müssen. Ich denke an große Verantwortung und finanzielles Risiko.
Ich denke an viele Geschichten, die Patientinnen und Patienten in sich tragen und erzählen wollen, denen ich zuhören will, dies aber aufgrund von zu wenig Zeit nicht kann. Ich denke an liebe ältere Menschen, die viel Dankbarkeit zeigen und denen ich viel Zeit und Sorgfalt widmen möchte. Und die Angst genau das, aufgrund eines "Zuviels", nicht tun zu können.
Ich denke an breites Fachwissen. An große Verantwortung im Screening der Patientinnen und Patienten, um die richtige Diagnose nicht zu übersehen. Ich denke an langanhaltende Arzt-Patienten-Beziehungen, die gleichzeitig auch für mich stärkere emotionale Bindungen bedeuten und die Verantwortung, diese nicht zu enttäuschen. Ich glaube, dass Hausärztinnen und -ärzte im ländlichen Raum eine unheimlich wichtige Arbeit leisten. Und je mehr ich von diesem Beruf kennenlerne, desto mehr weiß ich das zu schätzen.
Ich glaube, dass Hausärztinnen und -ärzte im ländlichen Raum eine unheimlich wichtige Arbeit leisten.
Vandahl: Ich erinnere mich dabei vor allem an meine Hausarztfamulatur. Diese habe ich in einer Praxis in meiner Heimatstadt absolviert. Die Praxis betreut viele Patienten aus den umliegenden Dörfern.
Ich denke vor allem an die älteren Patientinnen und Patienten, die dort schon lange leben und wie für einige der Weg zum Arzt weit und anstrengend ist. Und ich denke an die Hausärztin, bei der ich die Famulatur absolviert habe, die ihre älteren, weniger mobilen Patientinnen und Patienten gerne mit Hausbesuchen unterstützt, dabei aber nicht alle umliegenden Dörfer abdecken kann. Dafür ist oft nicht genug Zeit für alle und der Weg zu weit.
Zur Person:
Paula Tomasini studiert im 5. Semester Medizin an der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena. Die 21-Jährige kommt ursprünglich aus Großenhain in Sachsen. Neben ihrem Studium ist sie sportlich aktiv und engagiert sich in der Fachschaft Medizin und bei Health For Future Jena. Ihr ist wichtig, aktiv an der Verbesserung der Lehre und dem Gesundheitswesen zu arbeiten.
Saskia Vandahl ist 21 Jahre alt und stammt gebürtig aus Ilmenau. Sie studiert im 7. Semester Medizin an der FSU Jena und begann ihr Studium direkt nach dem Abitur im Wintersemester 2019/20.