"Ich scoute sozusagen für Thüringen bereits im Studium"
Interview aus Thüringen
In Thüringen gibt es bereits zahlreiche Angebote in Sachen ärztlicher Nachwuchsförderung. Der sogenannte ärztescout Thüringen ist zentraler Ansprechpartner für Medizinstudierende, Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung sowie Ärzte und Ärztinnen mit Interesse an der ambulanten Medizin, der über vorhandene Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten informiert und Wege in die ambulante Medizin aufzeigt.
Im Interview beschreibt Julia Mayer ihre Arbeit als Ärztescoutin und stellt vorhandene Angebote vor. Außerdem gibt sie Antworten auf die Frage was dem ärztlichen Nachwuchs besonders wichtig ist und was Thüringen als Standort attraktiver machen könnte.
TK: Was ist der ärztescout Thüringen und was macht ihn besonders?
Julia Mayer: Der ärztescout ist ein Projekt für die Studierenden, um außerhalb des universitären Alltags Einblicke in die Welt der Ärztinnen und Ärzte zu bekommen. Es passiert viel im Hörsaal und in der Klinik, aber die ambulante Versorgung ist eher selten vertreten. Und wenn, dann ist das immer gekoppelt mit einem universitären Hintergrund. Es gibt immer Noten auf alles und genau das ist eben der ärztescout nicht. Außerdem wollen wir als Ansprechpartner mit den Studierenden auf Augenhöhe kommunizieren und nicht eine große Behörde darstellen wie die Uni oder die Kassenärztliche Vereinigung.
TK: Wie nehmen Sie Kontakt zum ärztlichen Nachwuchs hier in Thüringen auf?
Mayer: Das Wichtigste sind die Messen und ab und an mal vor dem Hörsaal zu stehen, Präsenz zu zeigen und die Möglichkeit bieten, Fragen zu beantworten und Probleme anzuhören. Außerdem verbreite ich viele Informationen über den ärztescout Instagram Kanal.
Die Ärztinnen und Ärzte erzählen von ihrem Alltag und die Teilnehmenden können beispielsweise einen Ultraschallkurs machen.
Dann organisiere ich unter anderem Veranstaltungen wie die Praxistour, wo wir mit Kommunen zusammenarbeiten und beispielsweise nach Gotha oder Suhl fahren. Der entsprechende Landkreis organisiert dann jeweils drei oder vier Arztpraxen, in die die Studierenden reinschnuppern können. Die Ärztinnen und Ärzte erzählen von ihrem Alltag und die Teilnehmenden können beispielsweise einen Ultraschallkurs machen und erfahren so mehr über die ambulante Versorgung.
Die Sprechstunde Praxis als Veranstaltung ist eher für die Jüngeren. Hier können die Studierenden an einem Nachmittag oder Abend für zwei oder drei Stunden in lockerer Atmosphäre mit ein paar Ärzten und Ärztinnen sprechen und Fragen stellen. Also raus aus dem universitären Kontext und die Möglichkeit haben, auf Augenhöhe zu sprechen.
Darüber hinaus haben wir auch größere Veranstaltungen wie die Summer School oder den Fachrichtungen Slam. Bei Ersterem sind wir mehrere Tage in einer Region zu Gast und besuchen Arztpraxen, MVZs und verschiedene Einrichtungen aus der Region, um einen guten Rundumblick zu bekommen. Letztere ist eher eine Spaßveranstaltung, bei der Ärztinnen und Ärzte fachspezifische Poetry Slams vortragen. Daneben mache ich noch Beratungen und kläre Fragen zu Fördermöglichkeiten, dem Weg in die ambulante Versorgung und Möglichkeiten im Studium. Gerade im Bereich Förderungen und Stipendien ist vieles eher unübersichtlich und da wollten wir mit dem ärztescout einen Ansprechpartner schaffen.
TK: Ein Scout spürt ja im Wortsinn irgendetwas oder jemanden auf. Spüren Sie zukünftige niedergelassene Ärztinnen und Ärzte für Thüringen auf?
Mayer: Das ist definitiv das Ziel, aber in erster Linie bin ich eine Scoutin, die die Studierenden aufspürt, die gerne hierbleiben wollen und sie versucht dazu zu bewegen, sich erstmal mit dem Thema ambulante Versorgung in Thüringen zu beschäftigen. Ich scoute sozusagen für Thüringen im Studium.
Durch Förderungen und Unterstützungsangebote der Gemeinden überlegen sich doch viele, in Thüringen zu bleiben, weil ja auch viel geboten wird.
TK: Haben Sie schonmal eine Medizinstudentin oder einen Medizinstudenten überzeugt, sich in Thüringen als Ärztin/Arzt niederzulassen?
Mayer: Ja, tatsächlich. Das bekommen wir auf den Messen oft mit, wenn wir über die Vorteile der ambulanten Versorgung aufklären. Da merkt man schon oft, dass viele einfach erstmal ins Grübeln geraten und sich überlegen, ob das vielleicht was für sie ist.
Es gibt viele, die hier in Thüringen Familie haben und deshalb gebunden sind oder aus den umliegenden Bundesländern sind. Auf den Messen in Leipzig und Dresden treffen wir auch ganz viele, die für das Studium mal raus aus Thüringen wollten und wenn sie dann von den Fördermöglichkeiten in Thüringen erfahren, sind sie schon gerne gewillt wieder zurückzukommen.
TK: Was ist Ihrer Erfahrung nach dem ärztlichen Nachwuchs besonders wichtig?
Mayer: Einerseits eine gute Work-Life-Balance, die in der Klinik oft nur schwer umzusetzen ist. Außerdem ein Standort, an dem man gerne wohnen möchte und der nicht zu weit von der Arbeit entfernt ist. Auch Familie und Partner/Partnerin bzw. insgesamt ein familiäres Umfeld spielen eine große Rolle, aber ich glaube am wichtigsten ist ein Ort, an dem man sich wohlfühlen kann und an dem auch etwas geboten wird.
TK: Was haben Sie für einen Eindruck in Bezug auf den Standort Thüringen?
Mayer: Durch Förderungen und Unterstützungsangebote der Gemeinden überlegen sich doch viele, in Thüringen zu bleiben, weil ja auch viel geboten wird: Größere, aber nicht zu große Städte, Freizeitaktivitäten und die Möglichkeit, naturnah zu wohnen. Die, die natürlich wieder zurück in die Heimat wollen, sei es wegen Partnern oder der Familie, die hält man glaube ich am Ende auch einfach nicht auf. Attraktivität ist da das große Stichwort.
Viele Arztpraxen, die aufgegeben werden, sind noch in einem Zustand von vor 20 oder 30 Jahren.
TK: Was könnte denn dazu beitragen, Thüringen für die Nachwuchskräfte noch attraktiver zu machen?
Mayer: Vor allem ist wichtig, ein Gesamtpaket mit viel Unterstützung bieten zu können. Orte wie Suhl und Sonneberg sind beispielsweise große Problemregionen, weil sie recht weit von einer größeren Stadt entfernt liegen. Da muss am Ende jede Gemeinde selbst einen Masterplan schmieden, um den Ort für eine mögliche Weiterbildung oder Niederlassung attraktiver zu machen. Viele Arztpraxen, die aufgegeben werden, sind noch in einem Zustand von vor 20 oder 30 Jahren. Das alles in einen neuen Zustand zu bringen, ist ein Kraftakt und ich glaube da kann man als Gemeinde insbesondere mit finanzieller Unterstützung und der Hilfe, neue Praxisräume zu finden, viel bewegen.
Das übt ziemlich viel psychischen Druck bei den Studierenden aus.
TK: Was sind denn Probleme, mit denen Sie in Ihrer Arbeit konfrontiert werden?
Mayer: Ein großes Problem ist, dass der Großteil der Ärztinnen und Ärzte über 60 ist, in vielen Regionen zwei, drei, vier Ärzte/Ärztinnen gleichzeitig wegbrechen und zusätzlich die Gesellschaft immer älter wird, weshalb wir eigentlich schnellstmöglich mehr Ärztinnen und Ärzte bräuchten. Das übt ziemlich viel psychischen Druck bei den Studierenden aus.
TK: Wie groß ist aktuell das Interesse der Studierenden an der ambulanten Versorgung?
Mayer: Mein Gefühl ist, dass es von Jahr zu Jahr mehr wird. Es gibt mehr und mehr Informationen über die Möglichkeiten in der ambulanten Versorgung. Die haben in den vergangenen Jahren oftmals noch gefehlt. Außerdem nimmt die ambulante Versorgung künftig einen größeren Teil im Studium ein.
Zur Person
Julia Mayer arbeitet seit November 2022 beim ärztescout Thüringen. Vorher war die 28-Jährige für die Stiftung für ambulante Versorgung in Thüringen tätig. Für ihr Studium hatte es die gebürtige Oberfränkin nach Erfurt verschlagen. Dort studierte sie im Bachelor Kommunikationswissenschaft und Anglistik. Ihren Master hat sie dann in Weimar an der Bauhaus Universität im Bereich Medienwissenschaft gemacht.