Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann erläutert das Projekt "InDePendent"
Interview aus Mecklenburg-Vorpommern
Qualifizierte Pflegefachkräfte koordinieren und unterstützen die Versorgung von Menschen mit Demenz in deren Häuslichkeit. Sie arbeiten eng mit den betreuenden Hausärzten zusammen.
TK: Das Versorgungsvorhaben "InDePendent" wird vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert. Was soll im Projekt erprobt werden?
Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann: Die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegefachkräfte war in Deutschland vor gar nicht langer Zeit noch verboten - selbst Delegation durfte nur in "Rufweite des Arztes" stattfinden. Dies änderte sich im Jahr 2008, als auf der Basis der AGnES Modellprojekte (Arztentlastende gemeindenahe e-Health-gestützte systemische Intervention) des Institutes für Community Medizin die Delegation gesetzlich erlaubt wurde (§ 87 Abs. 2b SGB V). Die Änderung des Bundesgesetzes war vor allem eine Initiative der neuen Bundesländer - die mit einer kooperativen Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Pflegekräften positive Erfahrungen gemacht hatten. Viele der meist älteren Patientinnen in den AGnES Modellprojekten erinnerten sich noch gut an die Gemeindeschwestern, die zu DDR Zeiten einen großen Teil der ambulanten Versorgung in ländlichen Regionen in eigener Verantwortung übernommen hatten.
Seither werden Delegationsmodelle in ganz Deutschland in Arztpraxen eingesetzt. Eine aktuelle Entwicklung ist das Dementia Care Management, in dem speziell qualifizierte Pflegefachkräfte die Versorgung von Menschen mit Demenz in deren Häuslichkeit koordinieren und unterstützen und dabei eng mit den betreuenden Hausärzten zusammenarbeiten. Im Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben wir in einer großen randomisierten Interventionsstudie die Wirksamkeit und Kosteneffektivität des Dementia Care Managements (DCM) gezeigt.
Speziell qualifizierte Pflegefachkräfte koordinieren und unterstützen die Versorgung von Menschen mit Demenz in deren Häuslichkeit und arbeiten eng mit den betreuenden Hausärzten zusammen.
Zur Person
Wolfgang Hoffmann, Arzt und Epidemiologe, Leiter der Abt. Versorgungsepidemiologie und Community Health, Gf. Direktor des Instituts für Community Medicine an der Universitätsmedizin Greifswald. 1995 Master of Public Health in Epidemiology, University of North Carolina, USA. 2002 Ruf an die UMG. Seit 2012 Sprecher des Standortes Rostock/Greifswald des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Forschungsschwerpunkte: bevölkerungsbezogene epidemiologische und interventionelle Studien, interprofessionelle Versorgungskonzepte in der regionalen Versorgung, zentrales Daten- und Qualitätsmanagement. Stellv. Vorsitzender des Deutschen Netzwerkes Versorgungsforschung (DNVF) und im geschäftsführenden Vorstand der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF).
TK: Das Thema "Übertragung ärztlicher Tätigkeiten" ist nicht neu und für Sie seit vielen Jahren ein wichtiges Forschungsfeld. Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht und was ist das Besondere/Neue bei "InDePendent"?
Prof. Hoffmann: Eine groß angelegte aktuelle Studie, auch im Innovationsfonds gefördert, bestätigte, dass eine kooperative Arbeitsteilung von allen Beteiligten, Pflegekräften, Ärzten, Menschen mit Demenz und Angehörigen in hohem Maße akzeptiert wird.
Mit "InDePendent" wollen wir das erfolgreiche DCM aus dem Forschungskontext heraus in die Versorgungspraxis bringen. Partner sind mehrere Ärztenetze in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen, welche speziell für die Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten qualifizierte Pflegefachkräfte in ihrer Regelversorgung einsetzen werden.
Mit "InDePendent" wollen wir das erfolgreiche DCM aus dem Forschungskontext heraus in die Versorgungspraxis bringen.
TK: Nach umfangreichen Vorarbeiten startete mit Jahresbeginn die Praxisphase. Worauf wird konkret in den nächsten Wochen und Monaten der Fokus gelegt?
Prof. Hoffmann: In der ersten Praxisphase werden zunächst Patienten in die Warte-Kontrollgruppe der Studie eingeschlossen. Bei diesen wird zunächst die reguläre Versorgung untersucht, später erhalten auch sie die Intervention. Zeitgleich absolvieren Pflegefachkräfte aus den Partnernetzen die DCM Qualifikation bei einem Bildungsträger. Im Sommer beginnt dann der Einschluss von Interventionspatienten, bei denen das DCM in einer erweiterten Pflegerolle stattfindet. In beiden Gruppen wird nach etwa sechs Monaten die Anzahl der erfüllten Versorgungsbedarfe ermittelt. Außerdem messen wir die Auswirkungen des DCM auf Alltagskompetenz und Lebensqualität sowie auf die Nutzung des Versorgungssystems.
TK: Welche sind die zentralen Herausforderungen in der nächsten Zeit?
Prof. Hoffmann: Im "InDePendent"-Projekt wurde der erste Versorgungsvertrag nach dem Paragraphen 63 Abs. 3c im SGB V geschlossen. Dieser Paragraph wurde vor zwölf Jahren gleichzeitig mit dem AGnES-Paragraphen eingeführt. Gleichzeitig ist es auch das erste Projekt, das zu diesem Thema im Innovationsfonds des gemeinsamen Bundesausschuss im Programm "Neue Versorgungsformen" gefördert wird.
Der Versorgungsvertrag mit unseren Partner-Krankenkassen, zu denen die TK gehört, ist bereits unterschrieben. Das Curriculum wurde vom Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugend positiv evaluiert. Der erste Kurs hat bereits begonnen. Als nächstes müssen wir eine staatliche Prüfung für diese neue Qualifikation organisieren.
Und die Ärztenetze haben die ersten Patienten in die Wartegruppe eingeschlossen!
TK: Schauen wir in die Zukunft. Wenn wir uns in einem Jahr wieder zu diesem Projekt austauschen, welchen Stand sollte es dann idealerweise erreicht haben?
Prof. Hoffmann: In einem Jahr hoffen wir, dass wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern, den Netzen und den Krankenkassen, alle formalen Hürden hinter uns gelassen haben und mit voller Kraft Patienten in die Interventions- und die Warte-Kontrollgruppe einschließen können. Dass die Hausbesuche wieder problemlos möglich sind und wir alle erforderlichen Daten erheben können.
Aus der Politik erhoffen wir uns Impulse zur Überführung des DCM in die Regelversorgung - idealerweise als berufliche Perspektive für akademisch ausgebildete Pflegefachkräfte.
In einem Jahr hoffen wir, dass wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern, den Netzen und den Krankenkassen, alle formalen Hürden hinter uns gelassen haben.
TK: Prof. Hoffmann, Sie sind ein vielbeschäftigter Mann. Haben Sie da noch Zeit für Freizeitaktivitäten? Wenn ja, verraten Sie uns welche, eher an frischer Luft oder mit einen guten Buch und einem Glas Rotwein?
Prof. Hoffmann: Mein Corona-Projekt ist die Sanierung eines über 100 Jahre alten Hauses in Loitz an der Peene - dort verbringe ich möglichst viele Samstage im Blaumann mit handwerklicher Arbeit drinnen und draußen - denn möglichst viel der Bausubstanz soll geschützt werden und die Fassade soll soweit wie möglich wieder ihr historisches Erscheinungsbild erhalten. Und damit geht es langsam, aber stetig voran!
TK: Wir wünschen Ihnen in allen Belangen viel Erfolg. Danke für das Interview.