Notfallversorgung reformieren
Position aus Mecklenburg-Vorpommern
Die auf Bundesebene diskutierten Vorschläge zur Reform der Notfallversorgung werden mit Blick auf die Bedarfe in Mecklenburg-Vorpommern analysiert.
Aus den Mitte Februar 2023 von der "Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung" vorgestellten Eckpunkten resultiert in Mecklenburg-Vorpommern ein differenziertes Echo. Besondere von den niedergelassenen Leistungserbringenden und ihren Verbänden gibt es Kritik hinsichtlich einer zu schwachen Integration in die Eckpunkte. Die geplante zeitliche Überlagerung von den Öffnungszeiten der Integrierten Notfallzentren und den Vertragsärzten sorgt für Unmut. Ebenfalls kritisieren Vertreterinnen und Vertreter des Ärztelagers die starke Ausrichtung des Versorgungsbereichs am stationären Sektor.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) äußerte sich bislang zugeneigt zu den skizzierten Plänen. Aus Sicht der DKG bestärken die Reformvorschläge den Weg der DKG, sich für eine bessere Steuerung der Patientinnen und Patienten stark zu machen. Besonders positiv sieht der Krankenhausverband folglich die umfassende Ausrichtung der Leitstellen. Damit einher geht die Hoffnung, dass somit Notaufnahmen und Krankenhäuser entlastet werden. Die geschilderte Kritik und Erwartungen resultieren vorwiegend aus den zentralen Themenbereich der Experten-Empfehlungen. Diese werden folgend separat betrachtet und deren Auswirkungen auf die Versorgungssituation des Landes Mecklenburg-Vorpommern dargelegt.
Integrierte Leitstellen (ILS) für bessere Patientenkoordination
Alle Hilfesuchenden sollen durch die integrierte Leitstelle nach telefonischer oder telemedizinischer Ersteinschätzung der für sie am besten geeigneten Notfallstruktur zugewiesen werden. Durch diese Koordinationsfunktion der Leitstellen soll vermieden werden, dass zu viele Patientinnen und Patienten durch ungeeignete Selbstzuweisung die Notfallbehandlungskapazitäten verstopfen. Das Ziel ist es, dass die Notaufnahmen möglichst von Hilfesuchenden genutzt werden, die tatsächlichen die Hilfsstrukturen eines Krankenhauses benötigen. Für die andere Patientinnen und Patienten sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen die Notfallversorgung sicherstellen.
Damit die Patientenkoordination optimal gelingt, sollen die Notrufnummern 112 und 116117 miteinander verzahnt werden. Dadurch soll die Informations- und Anrufendenübergabe nahtlos funktionieren. In der Phase desorganisatorischen Einrichtung sollen auch regionale Spezifika berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass beispielsweise örtlich gemeinsame oder technisch verbundene Leitstellen etabliert werden können. Eine interne hierarchische Priorisierung der Hilfsnummern soll zu Gunsten der 112 erhalten bleiben.
Mit dem Vorschlag eines standardisierten, wissenschaftlich validierten, softwaregestützten und qualitätsgesicherten Ersteinschätzungsinstrument setzen die Expertinnen und Experten einen deutlichen Akzent für ein digital gestützte Versorgung. Ebenso sollen die bedienenden Personen speziell geschult sein. Eine ähnliche Form des ersten Kontaktpunktes sollen entsprechend der Empfehlungen auch für die Kinder- und Jugendmedizin etabliert werden.
Angesichts dieser skizzierten Pläne, würden die Leitstellen zu leistungsfähigen und rund um die Uhr erreichbaren Koordinierungsstellen für die Patientinnen und Patientenversorgung. Als Tor zum Versorgungsnetzwerk sollen sie weiterhin den Zugang zu allgemeinärztlicher und kinderärztlicher telemedizinischer Beratung bzw. Videosprechstunden ebnen. Dieser Zugangsweg soll auch für spezialisierte Fächer (u. a. Augen- und HNO-Heilkunde) gelten. Ergänzt werden diese ohnehin umfassenden Pläne durch die Integration von Dolmetscherdiensten und Plänen zu einer expliziten pflegerischen Notfallversorgung.
Die Reformpläne des Expertengremiums sind mannigfaltig. Mit dem Ersteinschätzungsinstrument als zentralen Baustein fokussieren die Aktiven auf Bundesebene einen wichtigen Erfolgsfaktor. Allerdings kann diese zentrale Rolle des Instruments bereits problematisch für den Erfolg der Gesamtreform sein. Denn ein Ersteinschätzungsinstrument der oben beschriebenen Qualitätsstufe ist schlichtweg nicht verfügbar. Die Frist für den Gemeinsamen Bundesausschuss, der im Rahmen des Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung beauftragt wurde, ein standardisiertes, bundeseinheitliches Verfahren zur Ersteinschätzung in der Notfallversorgung zu entwickeln, wurde vom Bundesgesundheitsministerium bereits bis zum 30. Juni 2023 verschoben.
Weiterhin ist zu beachten, dass sich viele Krankenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern bereits in großen Veränderungsprozessen befinden, damit wieder wirtschaftliche Stabilität erreicht wird. Die Veränderung der Notfallversorgung könnte dazu führen, dass diese Prozesse verlangsamt werden. Für die Patientinnen und Patienten darf kann Modus der Versorgungsunsicherheit entstehen, stattdessen braucht es ein klares Bekenntnis der Landesregierung zur intensiven fachlichen Begleitung des anstehenden Reformprozesses. Dabei sind die besonderen Merkmale des Landes zu berücksichtigen. Denn beispielsweise der angeregte Aufbau telemedizinischer Leistungen stellt erhebliche Anforderungen an Investitionsmittel und Personalressourcen. Die vorgeschlagene Vorhaltung diverser Fachgruppen im "Backoffice", muss in einer realistischen Beziehung zu den gegenwärtigen personellen Reserven unseres Bundeslandes analysiert werden. Eingesetzte telemedizinische Verfahren und digitale Konsultationswege müssen genutzt werden, um Ressourcen zu schonen und dürfen nicht zum weiteren bedarfsfernen Kapazitätsaufbau an allen Krankenhausstandorten dienen.
Aus Perspektive der Hilfesuchenden und damit auch der TK ist es wichtig, dass die Reform in einem Guss gelingt. Dafür braucht es allerdings noch einige Expertise und Feinschliff, die wir in diesen Reformprozess gern einbringen.
Integrierte Notfallzentren sowohl für Erwachsene (INZ) und Kinder (KINZ)
Die Erstattung von Vorhaltekosten kann dabei helfen, bedarfsnotwendige Strukturen zu erhalten und hochspezialisierte Leistungen finanziell abzusichern. Somit erhielten kleinere Krankenhäuser zukünftig Pauschalen für die Vorhaltung von bedarfsnotwendigen Versorgungsleistungen. Außerdem würden Vorhaltekosten auch Maximalversorgern und Universitätskliniken dabei helfen, die leistungsunabhängigen Kosten von spezialisierten und hochkomplexen Eingriffen besser abzubilden.
Allerdings ist es ebenso wichtig, den Krankenhausreformprozess ganzheitlich zu denken und ihn nicht nur auf die rein finanziellen Aspekte zu begrenzen. Denn zunächst braucht es für die Finanzierung von bedarfsnotwendigen Strukturen auch die Festlegung, welche Leistungen und Prozeduren vor Ort sinnvoll und bedarfsgerecht sind. Daher schlagen wir als TK vor, eine Krankenhausplanung auf Grundlage bundesweit einheitlicher Strukturanforderungen einzuführen.
Es ist wichtig, dass die erstatteten Vorhaltekosten passgenau sind. Sie sollten daher anhand von den Versorgungsstufen der Krankenhäuser und von Leistungskomplexen differenziert werden. Damit die Vorhaltekosten auch finanzwirksam werden, sollte die Krankenhäuser diese zu 100 Prozent erhalten. Die Krankenkasse könnten die Vorhaltekosten leistungsbezogen analog des Pflegebudgets abfinanzieren.
Die Einrichtung von INZ ist die logische bauliche und organisatorische Konsequenz der Etablierung integrierter Leitstellen. Aus Perspektive der Versorgung im Land Mecklenburg-Vorpommern ist es wichtig, dass auch Krankenhäuser der zukünftigen versorgungsstufe ln, also der Basisversorgung, in die Notfallversorgung eingebunden sind. Als Versorgungsanker in der Fläche kommt diesen Krankenhäusern eine besondere Verantwortung zu. Hingegen wäre die Einbeziehung von MVZ aus Landesperspektive kontraproduktiv, da dadurch die Krankenhausstandorte personell, wirtschaftlich und geografisch geschwächt werden würden.
Eine gesonderte Regelung für Kinder ist aus fachlicher Perspektive sinnvoll. Da insbesondere Neugeborene, Säuglinge und Kinder für untypische oder asymptomatische Krankheitsverläufe prädestiniert sind. Allerdings muss gleichzeitig der Blick für die Versorgungssituation in ländlichen Räumen geöffnet werden. Denn in Krankenhäusern ohne Kinderklinik würde auch keine Kinder-Notversorgung sichergestellt werden. Damit der Versorgungsweg zur nächsten Kinderklinik nicht noch länger wird, müssen die Notaufnahmen mit pädiatrischer Expertise unterstützt werden. Außerdem ist eine telemedizinische Anbindung zur spezialisierten Kinder- und Jugendmedizin sinnvoll, wo es keine Kinder-Notversorgung gibt.
Finanzierung zukunftssicher ausrichten
Die Reformvorschläge greifen viele der Mängel in der Notfallversorgung auf. Die Pläne zur Bewältigung dieser gehen mit einer erheblichen Ausweitung der Leistungskosten einher. Die erwarteten Effizienzgewinne durch eine bessere Patientensteuerung können nur schwer prognostiziert werden. Auch der zu erwartende Mehrbedarf an Fachkräften dürfe in Mecklenburg-Vorpommern nur schwer zu stemmen sein. Die benötigten Personen dürften die verfügbaren Personalreserven im ärztlichen und pflegerischen Bereich übersteigen.
In diesen beiden Bereichen besteht noch Nachsteuerungsbedarf. Die Möglichkeiten der Digitalisierung bieten die Chance eine effiziente Patientensteuerung zu erreichen und gleichzeitig Ressourcen zu sparen. Dieser Weg muss in allen Bereichen des Gesundheitswesens noch stringenter verfolgt werden.