TK: Frau Austenat-Wied, wie wichtig ist die regionale Versorgung für eine bundesweit aktive Krankenkasse?  

Manon Austenat-Wied: Als mitgliederstärkste Krankenkasse des Landes haben wir eine besondere Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Die Versorgungsrealitäten unserer Versicherten sind integraler Bestandteil ihrer Lebenswelten. Eine andere Perspektive als den regionalen Blick auf das vorhandene Versorgungsangebot halte ich für nicht sinnvoll. Es ist unser Anspruch die beste Versorgungsleistung regional verfügbar zu machen. Dabei müssen wir die individuellen Aufwände (z. B. Fahrtzeiten oder Fahrtwege) sowie kollektive Auswirkungen dieses Anspruchs (z. B. die dafür eingesetzten finanziellen Mittel) gegenüber dem regionalen Nutzen austarieren. Hinzu kommen politische Rahmenbedingungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, die das Gleichgewicht dieses Prozesses beeinflussen. Gestatten Sie mir dazu ein einfaches Beispiel. In einer Region, in der es nur wenige Geburten gibt und es sehr, sehr selten zu komplexen Behandlungsaufwänden kommt, kann es sinnvoller sein die Patientenmobilität zu erhöhen, statt maximale Versorgungsstrukturen vor Ort aufrechtzuerhalten.  

Im Zentrum unserer Entscheidungen muss das Wohl der Patientinnen und Patienten stehen. Wenn also, wie im geschilderten Beispiel der Geburtshilfe, die Überlebenswahrscheinlichkeit für Mutter und Kind in einer spezialisierten Klinik größer ist als im regionalen Krankenhaus im Nachbarort, müssen wir diesen Weg als Gesellschaft ermöglichen. In diesem Fall ist aus meiner Sicht die individuelle Gesundheit von Mutter und Kind höher zu bewerten als das teilkollektive Interesse für maximale Behandlungsmöglichkeiten vor Ort. Natürlich gibt es auch Indikationen, in denen das niedrigschwelligere (ambulante) Versorgungsangebot bessere Ergebnisse erzielt als die Versorgung im Krankenhaus. Auch in diesen Fällen hilft uns die einfache Divise weiter: Die Patienteninteressen müssen im Mittelpunkt der Versorgung stehen.

TK:  Wie kann die regionale Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern verbessert werden?

Austenat-Wied: Ich habe es in meinen vorherigen Ausführungen bereits angedeutet. Eine stärkere Patientenorientierung kann die dezentrale Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern stark verbessern. Oft verhindern gesetzliche Rahmenbedingungen bzw. historisch gewachsene Strukturen, dass die Patientinnen und Patienten eine optimale Versorgung erhalten. Wenn wir die Strukturen und Leistungsangebote stärker am Versorgungsbedarf der Bürgerinnen und Bürger ausrichten, können wir noch erhebliche Verbesserungen erzielen. Es ist in Zeiten knapper werdender finanzieller und personeller Ressourcen schlichtweg nicht mehr vermittelbar, dass wir zwei strikt voneinander getrennte Leistungsbereiche im Gesundheitswesen aufrechterhalten. Gerade in Regionen mit drohender oder bestehender Unterversorgung benötigen wir eine echte sektorenunabhängige Versorgung. Dies könnte auch die wirtschaftliche Situation der suboptimal ausgerichteten Krankenhausstandorte entschärfen. Wenn in den Krankenhäusern auch ambulante Behandlungen durchgeführt werden dürften, könnte dies die geschwächte ambulante Struktur entlasten. Gleichzeitig könnten die Krankenhäuser so nicht mehr notwendige stationäre Strukturen abbauen bzw. "umwidmen". 

TK: Welche Rolle können digitale Lösungen bei diesem Reformprozess spielen?

Austenat-Wied:  Digitale Anwendungen und telemedizinische Versorgungsansätze sind in vielerlei Hinsicht die erfolgversprechendsten Techniken, um unsere gegenwärtigen Probleme zu lösen. Als weitestgehend ortsunabhängige Leistungsangebote können sie fachärztliche Perspektive in wenig besiedelten Regionen verfügbar machen.  In Form von Telemonitorings können digitale Services den Besuch beim Arzt bzw. der Ärztin begleiten und eine bessere Versorgung gewährleisten. Außerdem können über telekonsiliarische Abstimmungen wichtige Personalressourcen geschont werden. Die Universitätskliniken könnten als Telekonsil-Dienstleister zu echten Kompetenzzentren für unser Gesundheitssystem werden. Mit Neuentwicklungen im Bereich der KI basierenden Diagnostik oder durch mobile Gesundheitsanwendungen könnten wir zudem den unvermittelten Alltag der Patientinnen und Patienten als Interventionszeitraum erschließen. Wir werden uns als TK in diesem Jahrzehnt dafür stark machen, digitalen Services den Durchbruch im Gesundheitswesen zu ebnen. Ich bin optimistisch, dass uns dies gelingt und wir im kommenden Jahrzehnt viele von den erwarteten Herausforderungen frühzeitig bewältigt haben. 


Manon Auste­nat-Wied

Manon Austenat-Wied, Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern