Die Selbstverwaltung ist wichtig für das Gesundheitswesen
Position aus Mecklenburg-Vorpommern
Viele jüngere Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene haben in die Hoheit der Selbstverwaltung eingegriffen. Damit das Gesundheitswesen sozial gerecht finanziert und allerorts leistungsfähig bleibt, braucht es wieder eine stärkere Selbstverwaltung.
Die Selbstverwaltung und die damit verbundenen Sozialwahlen verschaffen den Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen eine eigene demokratische Legitimation. Sozialwahlen gibt es bei allen Trägern der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung. Die Versicherten wählen per Briefwahl ihre Vertreterinnen und Vertreter in die höchsten Gremien der Selbstverwaltung. Bei der TK wird seit jeher eine Urwahl durchgeführt. Dabei werden bei den gesetzlichen Sozialversicherungsträgern die Selbstverwaltungsparlamente neu gewählt.
Eine Blick in die Geschichte der GKV-Selbstverwaltung
Der geschichtlich stark verwurzelte Grundsatz der Beschränkung staatlicher Aktivitäten auf die Rahmensetzung und rechtliche Aufsicht im Bereich der sozialen Sicherung, wurde letztmalig während der NS-Zeit in Frage gestellt. Bereits die historischen Vorgänger der heutigen gesetzlichen Krankenversicherungen, sogenannte "Hilfskassen" der Arbeiterinnen und Arbeiter oder Zünfte und Gilden des mittelalterlichen Handwerks, wurden von ihren Mitgliedern selbst verwaltet. Mit der maßgeblich von Otto von Bismarck forcierten Sozialgesetzgebung wurden die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) zu Körperschaften des öffentlichen Rechts, die nur mittelbarer Teil der Staatsverwaltung sind und unter hoheitlicher Rechtsaufsicht stehen. Das Organisationsprinzip der Selbstverwaltung ermöglicht es den GKV'en ihre Belange im Rahmen der bestehenden Gesetze selbst zu regeln und eigenständig Entscheidungen zu treffen. Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges standen für das Gesundheitswesen mehrere konkurrierende Organisationsprinzipien, beispielsweise das weniger komplex wirkende Volksversicherungsmodell, zur Wahl. Aufgrund ihrer mangelnden Anpassungs- und Leistungsfähigkeit konnte sich dieses jedoch nicht durchsetzen, sodass der Wiederaufbau der Selbstverwaltung mit dem 1951 erlassenen Selbstverwaltungsgesetz begann. Angesichts der beschriebene Vorteile akzeptierten auch die Westalliierten die Wiedereinführung der Selbstverwaltung in der Bundesrepublik.
Demokratie als Organisationsprinzip im Gesundheitswesen
Die Verwaltungsräte der Krankenkassen fungieren als Parlamente. Sie werden alle sechs Jahre von den Mitgliedern gewählt. Der Verwaltungsrat der TK wird hälftig jeweils mit Vertretenden der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinnenseite besetzt. Der Verwaltungsrat wählt den Vorstand, dieser führt die Krankenkasse und ist gegenüber dem Verwaltungsrat rechenschaftspflichtig. Nach der Bundestagswahl und der Europawahl ist die Sozialwahl mit mehr als 51 Millionen Wahlberechtigten die drittgrößte Wahl in Deutschland.
Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 wurden die Strukturen der Selbstverwaltung grundlegend überarbeitet und ein einheitliches demokratisch zusammengesetztes Organ zur Interessenvertretung auf Bundesebene etabliert. Dieser GKV-Spitzenverband besitzt eine Mitgliederversammlung, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der einzelnen Kassenarten zusammensetzt und die einen dreiköpfigen Vorstand wählt.
Doch nicht nur die gesetzlichen Krankenversicherungen sind mit einer Selbstverwaltung ausgestattet. Auch viele andere Bereiche sind nach diesem basisdemokratischen Prinzip organisiert. Ein gutes Beispiel dafür sind die Kassenärztlichen Vereinigungen, die sowohl Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und mittelbar Verwaltungsaufgaben übernehmen, aber ebenso die genossenschaftliche Selbstorganisation der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte bilden. Weite Beispiele für Verbände mit ähnlichen Aufgabenprofilen sind die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen. Fernab der partikularen Selbstverwaltung bilden die oben genannten Institutionen auch eine gemeinsame Selbstverwaltung.
Einschnitte in die Autonomie schwächen die Versorgung
Mit dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich ist ein Instrument zum Lastenausgleich innerhalb der GKV eingeführt worden, das prinzipiell systemfremd ist. Die gesetzlichen Krankenversicherungen wurden in Deutschland durch das "Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" im Jahr 1883 eingeführt. Damit blicken die gesetzlichen Versicherungen auf eine bald 140-jährige Geschichte zurück. Mehr als fünf Generationen haben bereits von diesem international hoch angesehenen sozialen Sicherungssystem profitiert. Angesichts der enormen Personenzahl, die als Versicherte und Mitglieder im Verlauf der Zeit Teil der GKV waren, ist es nur logisch, dass sich die Alterszusammensetzung der unterschiedlichen Krankenkassen mit der Zeit wandelt.
Die Zahl der Menschen, die einen Kassenwechsel durchführen, liegt jährlich stets im unteren einstelligen Prozentbereich. Das heißt im Umkehrschluss, die Personenzusammensetzung der Versicherungen bleibt prinzipiell über viele Jahre stabil. Nur die Altersstruktur verändert sich durch die fortlaufende Zeit. Dazu ein Beispiel: Eine Krankenversicherung, die im Jahr 1976 viele junge Versicherte hatte, wird im Jahr 2006 ein wesentlich höheres Durchschnittsalter bei ihren Kundinnen und Kunden aufweisen. Ähnliche Entwicklungen sind aus demografischer Perspektive in entgegengesetzter Richtung zu erwarten. Denn bei diesen Kassen machen neue Versicherte einen höheren Anteil an der Kundschaft aus. Diese Entwicklungsprozesse sind auf lange Sicht gesehen für das System unproblematisch. Denn im Zeitverlauf gleicht sich die unterschiedliche Morbidität natürlicherweise aus. Ein künstlich geschaffener Ausgleichsmechanismus, wie der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich, greift verzerrend in natürliche und sich im Zeitverlauf ausgleichende Veränderungsprozesse ein und führt so zu einer erheblichen finanziellen Verzerrung zu Lasten der Mehrheit der GKV-Versicherten.
Bis zum Jahr 2008 konnte die Selbstverwaltung der einzelnen Kassen die Beitragssätze noch komplett eigenständig festsetzen. Seit Anfang 2009 entscheidet der Verwaltungsrat nur noch über den kassenindividuellen Zusatzbeitrag, sofern die Zuweisungen aus dem mitgliederfinanzierten Gesundheitsfonds nicht ausreichen. Damit wurde ein erhebliches Instrument zur Attraktivitätssteigerung für effiziente Krankenkassen außer Kraft gesetzt. Die TK liegt mit ihren Verwaltungskosten von 106 Euro je Versicherten beispielsweise deutlich unter dem Durchschnitt aller Kassen von 160 Euro je Versicherten. Es ist an der Zeit, den gesetzlichen Krankenversicherungen und damit mittelbar den Mitgliedern der GKV wieder mehr Finanzautonomie einzuräumen.
Selbstverwaltung als Rückgrat und Stärke des Systems
Ein wichtiger Vorteil der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist die die massive Entlastung des Staates von Verwaltungsaufgaben und eine stärkere Nutzung der fachlichen Expertise aus den jeweiligen Bereichen des Gesundheitswesens. Ohne diese Organisationsform müssten die Ministerien auf Bundes- und Landesebene schon allein für Verwaltungsaufgaben erheblich umfassendere personelle und organisatorische Ressourcen bereithalten. Denn beispielsweise die GKV übernimmt eigenständig Aufgaben der Regulierung, Aufsicht und Kontrolle innerhalb des Systems. Dies wäre mit ministeriellen Ressourcen nur mit einem erheblichen finanziellen Mehraufwand realisierbar.
Ein mindestens ebenso wichtiges Argument für ein von den Mitgliedern der GKV unmittelbar mitbestimmtes Gesundheitssystem ist die Finanzierungsfrage von medizinischen Leistungen. Denn die Finanzierung des Gesundheitssystems wird zum größten Teil aus Mitgliedsbeiträgen der gesetzlich Versicherten gestemmt. Damit die optimale Versorgung der Versicherten nicht zum Spielball politischer Interessen oder finanzpolitischer Machtspiele wird, ist es wichtig die Autonomie des Gesundheitswesens zu stärken. Nur ein wettbewerblich faires, selbstverwaltetes und beitragsfinanziertes Versorgungssystem ist gegenüber wirtschaftlichen Krisen und politischen Machtwechseln immun.