"Smartphones sind eine Art Schweizer Taschenmesser"
Artikel aus Schleswig-Holstein
Wie hat sich die Mediennutzung im Laufe der Jahre verändert und was bedeutet es eigentlich, ständig online zu sein? Antworten liefert Prof. Dr. Christian Möller von der Fachhochschule Kiel.
TK: Blicken wir einmal zehn Jahre zurück. Was hat sich Ihrer Ansicht nach in der Art und Weise, wie wir digitale Medien nutzen, am deutlichsten verändert?
Prof. Dr. Christian Möller: Das Internet ist für die Meisten normaler Bestandteil des Alltags geworden, die Unterscheidung zwischen online und offline weitgehend hinfällig. Shopping, Navigation, Konferenzen, alles findet heute auch online statt. Das Internet hat es vom Laptop im Arbeitszimmer auf die Tablets auf der Couch, das Handy in der Hosentasche, den Smart-Speaker in der Küche und die Streaming-Serie im Fernseher geschafft. Die Frage "Wie oft gehst Du ins Internet?" geht am Ziel vorbei, wenn mir das Internet mit jeder neuen WhatsApp-Nachricht einen Signalton auf meine Smartwatch schickt.
Die 2010er waren die Boom-Jahre von Social Media. Facebook, Twitter, Instagram &. Co. eroberten die Smartphones. Zumindest für Facebook ist dieser Trend allerdings zumindest in Deutschland laut jüngster Studie zu Jugendlichen Information und Medien (JIM-Studie) wieder vorüber: Während 2016 noch ein Viertel der Jugendlichen Facebook zu den beliebtesten Internetangeboten zählten, waren es 2020 nur noch fünf Prozent. Gleichzeitig werden Messenger-Dienste wie WhatsApp, Telegram, Signal oder Threema immer wichtiger. Das führt auch dazu, dass sich das Publikum immer mehr verstreut. Umso wichtiger ist es, dass verlässliche Informationsangebote, beispielweise von ARD und ZDF, auf allen Kanälen zu finden sind.
Die Corona-Pandemie führte noch einmal zu einer Beschleunigung der Digitalisierung - zeigte aber auch gleichzeitig ihre Grenzen auf. Schulunterricht oder Theateraufführungen leben eben vom direkten Kontakt und Gleichzeitigkeit. Auch diese Grenzen des Digitalen trotz allem technologischen Fortschritt zu erkennen, gehört zu einer Kultur der Digitalität dazu.
Ein weiterer Trend sind geobasierte Informationen: Suchmaschinen und Kartendienste wissen dank GPS meist, wo wir uns befinden und zeigen entsprechend ortsabhängige Informationen an. Dies geht damit einher, dass heute das meistgenutzte Gerät für den Internetzugang das Smartphone ist. Im Grunde haben wir also alle ein kleines Fenster zum Internet in der Hand.
TK: Worin liegt der größte Unterschied zwischen jüngeren und älteren Personen bei ihrer digitalen Mediennutzung?
Möller: Jüngere Nutzerinnen und Nutzer sind experimentierfreudiger und aufgeschlossener für neue Online-Angebote. Das soziale Netzwerk TikTok zum Beispiel ist vor allem bei den unter 14-Jährigen beliebt. Ältere nutzen häufiger lineare Angebote und öffentlich-rechtliche Sender. Auf der anderen Seite nutzen auch zwei Drittel der über 65-Jährigen das Internet. Und wer heute 65 ist, hat mit Mitte 30 die Entwicklung des Internet seit den 1990er Jahren hautnah miterlebt. Die wirklichen Digital Natives sind also bereits in Rente.
Gleichzeitig gibt es Sorglosigkeit und fehlende Medienkompetenz in allen Altersgruppen. Nur dass die Jungen vielleicht die Technik besser beherrschen, heißt nicht, dass sie auch mit den Inhalten gut umgehen können, obwohl ein Teil des sozialen Lebens sich online abspielt. Auf der anderen Seite waren die Trump-Wähler, die sich online ihre Informationen nach eigenem Gefallen zusammengestellt haben, eher älter. Die Frage, wie wir mit den neuen Möglichkeiten der Technologie und ihren Inhalten umgehen, ist also nicht unbedingt eine Frage des Alters, sondern eine gesamtgesellschaftliche.
Und während Datenschutz in Deutschland theoretisch ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, herrscht in der Praxis häufig große Sorglosigkeit. Wenn sich über die Zoom-Nutzung in der Schule in einer Eltern-Gruppe auf WhatsApp beschwert wird, lässt mich das schon wundern.
TK: Unsere Studie Schalt ab Deutschland hat gezeigt, dass es den Menschen unheimlich schwer fällt, einfach mal auszumachen. Haben Sie hierfür eine Erklärung?
Möller: Dafür gibt es eine Reihe verschiedener Gründe: FOMA, the Fear of Missing out, also die Angst, etwas zu verpassen, gehört sicherlich dazu. Dazu die ständige Verfügbarkeit dank Smartphone, Erinnerungstönen und Push-Nachrichten und nicht zuletzt seit einem Jahr die Verlagerung ins Homeoffice und zu digitalen Konferenzen sind weitere Gründe.
Smartphones haben sich zudem in den letzten zehn Jahren zu einer Art Schweizer Taschenmesser entwickelt: berufliche und private Mails, Kalender, Messenger, Wettervorhersage, Fotoalbum, Wecker, Navi, Einkaufszettel… Wofür wir früher Fernseher, Radio, Telefon Kamera, Briefkasten und Landkarte brauchten, findet jetzt auf ein und demselben Bildschirm in unserer Hosentasche statt. Dank mobilem Internet - egal wo wir uns befinden. Dies birgt Gefahren und Chancen gleichermaßen: Während die einen sich freuen, auch außerhalb des Büros arbeiten zu können, sehen die anderen beispielsweise das Risiko, das Cybermobbing nicht nach Verlassen des Schulhofes endet.
Am Ende ist es aber eine Frage des Umgangs mit der Technologie: Ausschalten lassen sich auch die modernsten Geräte.
TK: Was sind Ihrer Ansicht nach mögliche Strategien, die uns dabei helfen können, unsere Online-Zeit und Mediennutzung im Blick zu behalten?
Möller: Sich bewusstmachen, was man da eigentlich tut. Und was einem guttut oder eher Stress bereitet. Was will ich von der Technik und was macht die Technik mit mir? Ob online oder offline finde ich dabei gar nicht so entscheidend. Ob ich zur Entspannung mit Oma und Opa videotelefoniere, aus alten Urlaubsfotos auf dem Tablet ein Video schneide oder ob ich ein Buch aus Papier lese, erfüllt für mich dieselbe Funktion, unabhängig vom Endgerät. Wenn ich nicht schlafen kann, weil meine Chefin mir auch nach Feierabend noch Mails schickt oder besagte WhatsApp-Gruppe vermeintlich lustige Videos teilt, ist es etwas anderes. Hier hilft es vielleicht schon, Push-Benachrichtigungen und Signaltöne abzuschalten oder das Handy über Nacht im Flur aufzuladen statt auf dem Nachttisch.
Und es klingt komisch, aber schon lineares Fernsehen kann dazu beitragen, Medien bewusster zu nutzen. Statt im Stream auf dem Handy die Tagesschau um 20 Uhr im "echten" Fernsehen zu schauen. Und dann abzuschalten, wie es schon Peter Lustig in "Löwenzahn" vorgeschlagen hat.
Zur Person
Prof. Dr. Christian Möller ist Professor für Unternehmenskommunikation an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin und Leiter des Instituts für angewandte Publizistik (ifap) an der FH Kiel.