Es gibt viele Gründe, in der Pflege zu arbeiten
Interview aus Saarland
Holger Wilhelm war bis Ende November 2023 Vorsitzender der Saarländischen Pflegegesellschaft. Im Interview erklärt er, warum Jobs in der Pflege besser sind als ihr Ruf. Außerdem bewertet er die politischen Vorhaben und macht selbst Vorschläge, wie dem Fachkräftemangel begegnet werden kann.
TK: Sehr geehrter Herr Wilhelm, warum ist die Pflege aus Ihrer Sicht eine gute Berufswahl? Was macht die Arbeit in der Branche aus?
Holger Wilhelm: Die Gründe in der Pflege zu arbeiten, sind vielfältig. Auf der einen Seite ist der Pflegeberuf ein krisensicherer Beruf mit Zukunft und vielen Entwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen und auf der anderen Seite ist er ein Beruf mit Herz und Menschlichkeit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege unterstützen die ihnen anvertrauten Menschen in vielfältigen Lebenssituationen und sie bekommen umgehend ein Feedback von ihrem Gegenüber. Sei es ein Lächeln, sei es ein "Danke" oder manchmal auch nur ein Augenzwinkern.
Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich und auch herausfordernd.
Die Arbeit ist außerdem sehr abwechslungsreich und auch herausfordernd - man darf sowohl eigenverantwortlich handeln als auch die wertvollen Momente einer guten Teamarbeit erfahren. Im Kontakt mit den Menschen kann man auch individuell sehr viel lernen; manchmal auch das ein oder andere über sich selbst, was eine wertvolle Erfahrung ist.
Auch die Bezahlung hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt und kann mit vielen Branchen konkurrieren, was aber nicht heißt, dass die Vergütung für diese Tätigkeiten ausreichend ist.
Zuletzt ist die Pflege eine sehr wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die aufgrund der prognostizierten Demographieentwicklung noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. Dabei hat die Pflege nicht nur direkten Einfluss auf die Lebensqualität der zu pflegenden Menschen, sondern auch auf die der Angehörigen.
TK: Die Personalsituation ist in vielen Einrichtungen angespannt. Gibt es Lichtblicke, die Hoffnung machen, dass sich die Lage in Zukunft entspannt?
Die Herausforderung ist sehr groß und vielfältig. Daher werden auch vielfältige und wirksame Maßnahmen gebraucht, um diese anzugehen.
Wilhelm: Lichtblicke sehe ich jeden Tag. Es sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - und damit meine ich alle beteiligten Berufsgruppen -, die tagein, tagaus die Kraft aufbringen, den ihnen anvertrauten Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu helfen. Die gesamte Personalsituation ist so angespannt, wie ich es noch nie wahrgenommen habe. War schon zu Beginn der Corona-Pandemie (vor fast drei Jahren) die Lage sehr angespannt, so hat die Pandemie die Personalsituation sehr deutlich verschärft und die Prognosen lassen die Verantwortlichen, aber auch die Beschäftigten nicht zuversichtlicher in die Zukunft schauen. Die Herausforderung ist sehr groß und vielfältig. Daher werden auch vielfältige und wirksame Maßnahmen gebraucht, um diese anzugehen.
Image und Attraktivität der Pflegeberufe; Aus-, Fort- und Weiterbildung; Personelle Ausgestaltung und Vergütung der Dienstleistungen; Gewinnung und gesellschaftliche Integration ausländischer Fachkräfte; Präventives Gesundheitsmanagement sind exemplarisch nur ein paar Handlungsfelder, die von allen Verantwortlichen (Bundes- und Landespolitik, Pflegekassen, Verbänden und Trägern) in den Fokus genommen werden müssen, um dieser großen Herausforderung zu begegnen.
Nur nachhaltige, wirksame und vor allem spürbare Aktionen werden den Menschen in der Pflege helfen.
Nur nachhaltige, wirksame und vor allem spürbare Aktionen werden den Menschen in der Pflege helfen und ihnen Zuversicht auf eine Verbesserung der Gesamt- und Personalsituation geben.
TK: Gesundheitsminister Dr. Magnus Jung hat eine konzertierte Aktion Pflege ins Leben gerufen und will damit bis 2030 4.000 neue Pflegekräfte akquirieren. Was halten Sie von den Plänen?
Wilhelm: Die "konzertierte Aktion Pflege" will sich mit vielen Handlungsfeldern zur Verbesserung der Gesamtsituation Pflege beschäftigen, was ich sehr begrüße. In dieser Aktion wird es maßgeblich aber darauf ankommen, dass auch Maßnahmen mit allen Beteiligten herausgearbeitet werden, die umgesetzt und auch bei den Beschäftigten ankommen müssen. Hier gilt es auch kurzfristige Maßnahmen, also "Quickwins", zu erarbeiten, um den Menschen auch die Zuversicht zu geben, dass wirklich etwas passiert. Nur mal darüber reden, wird das Image, die Zufriedenheit und Zuversicht der Beschäftigten nicht verbessern. Dazu müssen aber auch finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um das proklamierte Ziel zu erreichen. Ich werde mich aktiv daran beteiligen und bin gespannt, was wir bewirken können.
TK: Das Pflegeforum der Arbeitskammer des Saarlandes hat im Januar auch die Sicht der Pflegekräfte beleuchtet. Besonders die Themen Wertschätzung und zuverlässige Dienstpläne wurden dort als Verbesserungspotenzial genannt. Wo sehen Sie Stellschrauben, um diese Probleme anzugehen?
Wilhelm: Die Themen Wertschätzung und zuverlässige Dienstpläne sind oft genannte Verbesserungspotenziale. Es sind meiner Meinung nach aber nur zwei Handlungsfelder von vielen, die bearbeitet werden müssen, um die Gesamtsituation zu verbessern.
Wenn wir es als Gesellschaft nicht schaffen, die Anerkennung und Wertschätzung des Pflegeberufes deutlich zu steigern, wird es nicht gelingen, Menschen für diese Berufe zu begeistern.
Ich würde das gerne am Beispiel "Zuverlässige Dienstpläne" verdeutlichen: Zuverlässige Dienstpläne gelingen nur mit ausreichendem Personal in Qualität und in Quantität, das heißt, die Handlungsfelder Personalgewinnung und Personalbindung sind entscheidend, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn wir jetzt die Personalgewinnung betrachten, finden wir uns auch schnell bei dem Thema Image wieder, das meiner Meinung nach viel zu schlecht dargestellt wird. Wenn wir es als Gesellschaft hier nicht schaffen, die Anerkennung und Wertschätzung des Pflegeberufes deutlich zu steigern, wird es nicht gelingen, junge Menschen für die Ausbildung oder auch Quereinsteiger für diese Berufe zu begeistern. Auch die Möglichkeiten des Berufseinstieges und deren finanzielle Ausgestaltungen müssen deutlich gesteigert werden, um allein die potenzielle Anzahl an Beschäftigten zu erhöhen. Im Rahmen der Personalgewinnung ist auch die fachliche Zuwanderung aus dem Ausland ein weiterer Erfolgsfaktor, da wir schon lange wissen, dass wir aufgrund der Demographieentwicklung ein Nachwuchsproblem haben. In der fachlichen Zuwanderung gilt es aber neben der rein beruflichen Perspektive auch die gesellschaftliche Integration sicherzustellen, damit diese Maßnahme erfolgreich sein kann.
An diesem kurz skizzierten und nicht vollständigen Beispiel, glaube ich, sind die Interdependenzen der Handlungsfelder und der daraus resultierenden Maßnahmen erkennbar. Ich glaube aber auch, dass ein Hauptakteur viel zu wenig gehört und wahrgenommen wird: Es sind die Menschen, die sehr engagiert tagtäglich in den Pflegeeinrichtungen arbeiten. Diese Menschen müssen wir zu Wort kommen lassen und auf deren Botschaften und Verbesserungsvorschläge hören. Denn wer, wenn nicht diese Menschen wissen, was zu tun ist, um ihre Situation zu verbessern.
In diesem Sinne: Lasst uns alle gemeinsam, jeder in seinem Einflussbereich, Maßnahmen ergreifen, um die Situation der Beschäftigten, aber auch der hilfebedürftigen Menschen zu verbessern.