"Wir stehen im stetigen Dialog, um auf Nachhaltigkeit aufmerksam zu machen"
Interview aus Bayern
Unter der Präsidentschaft von Dr. Gerald Quitterer hat die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) das Bündnis Hitzeschutz Bayern auf den Weg gebracht und eine Kommission Klimawandel, Umwelt und Gesundheit eingerichtet. Wie sich die BLÄK darüber hinaus für mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen engagiert, erläutert Dr. Quitterer im Interview.
TK: Die Bayerische Landesärztekammer engagiert sich unter Ihrer Präsidentschaft beispielsweise im Bereich Hitzeschutz. Was unternimmt sie hierbei konkret?
Dr. Gerald Quitterer: Wir haben beispielsweise eine Online-Fortbildung auf den Weg gebracht, im Rahmen derer wir die Ärztinnen und Ärzte im Freistaat dafür sensibilisieren, mit welchen technischen und organisatorischen Maßnahmen der Hitzeschutz in ärztlichen Praxen umgesetzt und verbessert werden kann. Denn schon einfache Maßnahmen wie das Schließen der Jalousien an heißen Sommertagen, das Lüften der Räumlichkeiten in den kühlen Morgenstunden oder das Bereitstellen von Trinkwasser im Wartezimmer, tragen enorm zur Hitzeprävention bei.
Außerdem haben wir crossmedial Musterhitzeschutzpläne verbreitet, die als Vorlage für individuelle Hitzeschutzpläne einzelner Praxen und Kliniken dienen können. Regelmäßig veröffentlichen wir auch Beiträge zum Thema "Hitzeschutz" in unserem Mitgliedermagazin Bayerisches Ärzteblatt (BÄBl), sowie auf unseren Social-Media Kanälen LinkedIN, Facebook und auf unserer Homepage. Beispiele hierfür sind Fachartikel im BÄBl zum Hitzeschutz für Seniorinnen und Senioren, zur Rolle von Ärztinnen und Ärzten beim Hitzeschutz oder zum Hitzeaktionstag 2023.
Daneben informieren wir zusammen mit dem Bayerischen Handwerkstag darüber, wie Betriebe ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Bereitstellung geeigneter Arbeitskleidung oder die Beschattung des Arbeitsplatzes bei Hitze gesund erhalten können.
Es ist eine grundlegende Veränderung unserer Landwirtschaft und Ernährungsweise nötig.
Die BLÄK hat außerdem die Gründung des "Bündnis Hitzeschutz Bayern" initiiert, das aus zahlreichen Akteuren des bayerischen Gesundheitssektors besteht. Das Bündnis setzt sich dafür ein, Wissen über die gesundheitlichen Folgen von Hitze und mögliche Präventionsmaßnahmen in Gesundheitseinrichtungen und bei den hierdurch betreuten Patientinnen und Patienten, sowie in der Bevölkerung zu verbreiten. Die Allianz hat auch dieses Jahr einen Hitzeaktionstag ausgerichtet.
TK: In welchen Bereichen muss unser Gesundheitssystem aus Ihrer Sicht nachhaltiger werden?
Dr. Quitterer: Das Gesundheitswesen ist derzeit für etwa sechs Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Um Emissionen einzusparen, ist unter anderem der Umbau von Praxen, Kliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen zu klimaschonender Infrastruktur erforderlich. Dazu gehört beispielsweise der Einbau einer effizienten Wärmedämmung oder von Photovoltaikanlagen. Diesen Umbau können die Praxen und Kliniken in Bayern jedoch nicht allein stemmen. Der notwendige Transformationsprozess sollte deshalb durch einen Sonderfonds der Bayerischen Staatsregierung unterstützt werden, wie es vom 82. Bayerischen Ärztinnen- und Ärztetag (BÄT) in Landshut gefordert wurde.
Darüber hinaus: Um die planetaren Grenzen einzuhalten und alle Menschen nachhaltig und gesund zu ernähren, ist im Sinne des One-Health-Gedankens eine grundlegende Veränderung unserer Landwirtschaft und Ernährungsweise nötig. So sollte etwa der Konsum von Obst und Gemüse erhöht werden, wogegen sich der Verzehr von fleisch- und zuckerhaltigen Lebensmitteln verringern sollte. Der 82. BÄT hat die Klinikträger in Bayern deshalb aufgefordert, in Krankenhäusern ausschließlich gesunde Mahlzeiten anzubieten, die sich an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V., beziehungsweise an der von der EAT-Lancet-Kommission entwickelten "Planetary Health Diet" orientieren. Diese stellen einen allgemeingültigen Referenzrahmen für eine gesunde und umweltgerechte Ernährungsweise dar.
Ziel sollte auch sein, im täglichen Betrieb weniger Einwegmaterialien zu verwenden. Beispielsweise gibt es für Einweg-Desinfektionstücher Alternativen, die mikroplastikfrei sind - bei gleicher antimikrobieller Wirkung. Außerdem wäre es sinnvoll, den Berg an Einmal-Handschuhen abzubauen.
Wir haben Bund und Länder mehrmals aufgefordert, Tempolimits zu erlassen.
TK: Welchen Handlungsspielraum hat die Landesärztekammer, um Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen aktiv zu fördern?
Dr. Quitterer: Wir stehen mit der Bundes- und Landespolitik, sowie mit den verschiedenen Berufsverbänden im Gesundheitssystem in einem stetigen Dialog, um auf die BÄT-Beschlüsse zur Verbesserung der Klimaneutralität und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen aufmerksam zu machen und für das Thema zu sensibilisieren. Darüber hinaus informieren wir die bayerische Ärzteschaft über das BÄBl, auf unserer Homepage und auf unseren Social-Media-Kanälen breit über dieses Thema. Ein Beispiel hierfür ist unsere BÄBl-Serie "Klimatipp des Monats". Dort haben wir etwa gezeigt, wie Gesundheitseinrichtungen ihren individuellen CO2-Fußabdruck bestimmen und auf diese Weise ihre Nachhaltigkeitsstrategien anpassen können. Ebenso haben wir dort beleuchtet, wie die Nachhaltigkeit durch Flächenentsiegelung die Nutzung von Recyclingpapier, den Einbau von E-Ladesäulen, Förderung von Jobrädern oder die Installation einer Grauwasseranlage gesteigert werden kann, um nur einige Beispiele zu nennen.
TK: Wie können Ärztinnen, Ärzte und Mitarbeitende in den medizinischen Einrichtungen beim Thema Nachhaltigkeit eingebunden werden?
Dr. Quitterer: Mit öffentlichkeitswirksamen Beiträgen zum Thema "Nachhaltigkeit" im BÄBl, auf unserer Homepage, sowie via Social-Media, wollen wir das Bewusstsein von Ärzten und ihren Mitarbeitenden für dieses Thema erhöhen. Insgesamt ist es wichtig, dass Gesundheitseinrichtungen Nachhaltigkeit nicht nur als isoliertes Thema betrachten, sondern als integralen Bestandteil der Kultur des jeweiligen Hauses. Sinnvoll ist, Nachhaltigkeitsziele zu definieren und Mitarbeitenden zu vermitteln, wie ihre täglichen Handlungen zur Erreichung dieser Ziele beitragen können. Zur Motivation der Mitarbeitenden können auch nachhaltige Benefits beitragen, etwa Jobtickets für den ÖPNV oder Unterstützung beim Kauf nachhaltiger Kleidung und Lebensmittel.
TK: Wir fordern, dass Nachhaltigkeit im SGB V verankert wird. Welche rechtlichen Forderungen würden Sie aus Ihrer Sicht ergänzen?
Dr. Quitterer: Zunächst einmal: Wenn Nachhaltigkeit im SGB V verankert und damit verpflichtend werden soll, muss allen Beteiligten im Gesundheitswesen, insbesondere auch den Praxen, die nötige finanzielle Unterstützungen für diesen Transformationsprozess zur Verfügung gestellt werden. Daneben muss der Staat seinen Beitrag dazu leisten, Voraussetzungen für die Nachhaltigkeit zu schaffen, etwa verpflichtende Hitzeschutzpläne in Städten und Kommunen. Dies wurde auch auf dem diesjährigen Deutschen Ärztetag erneut in einem Antrag gefordert.
Darüber hinaus hat der motorisierte Verkehr multiple negative gesundheitliche Auswirkungen. So sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2023 in Deutschland mehr als 2.800 Menschen im Straßenverkehr tödlich verunglückt, über 364.000 Personen wurden verletzt. Außerdem ist der Verkehr eine wesentliche Ursache für die hohe Feinstaub- und Stickoxidbelastung in den Städten, die jedes Jahr zu zahlreichen chronischen Erkrankungen bei Patientinnen und Patienten führt und auch viele vorzeitige Todesfälle nach sich zieht.
Ziel ist, bis 2030 die Klimaneutralität der Kammer zu erreichen.
Wir haben den Bund und die Länder deshalb mehrmals aufgefordert, Tempolimits auf deutschen Autobahnen, Bundes- wie auch auf Land- und Ortsstraßen zu erlassen, um die Belastung von Gesundheit und Klima durch den Verkehrssektor abzumildern, so etwa 2022 im Rahmen eines BÄT-Beschlusses. Darüber hinaus sollte neben der Verkehrssicherheit auch die Nachhaltigkeit als Ziel in der Straßenverkehrsordnung verankert werden.
TK: Hat die BLAEK auch eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie als Körperschaft des öffentlichen Rechts?
Dr. Quitterer: Bereits im Rahmen des 78. BÄT 2019 hat sich die BLÄK dazu verpflichtet, der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen oberste Priorität einzuräumen. Ziel ist, bis 2030 die Klimaneutralität der Kammer zu erreichen. Dazu haben wir bereits zahlreiche konkrete Schritte unternommen: Von nachhaltiger Ernährung in unserer Kantine, über Flächenentsiegelung, die Verwendung von Ökostrom und die Förderung der Verwendung von CO2-armen Verkehrsmitteln bis hin zur Umstellung des BÄBl auf umweltfreundliches Papier. Wir drucken Briefe und notwendige Aussendungen doppelseitig und haben die Formatierung geändert. Das allein hat zu einer Papiereinsparung von über 25 Prozent geführt. Im Lebensmittelbereich trennen wir uns von Kunststoffverpackungen und -behältern, unsere Poststelle nutzt eBikes und ein eAuto und weitere Maßnahmen werden in der Kammer durch einen Umwelt-Arbeitskreis vorangetrieben.
TK: Wie engagieren Sie sich persönlich beim Thema Klimaschutz?
Dr. Quitterer: Ein ungebremster Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlagen. Konsequenter Klimaschutz ist deshalb von entscheidender Bedeutung. Persönlich mache ich immer wieder öffentlich auf die Notwendigkeit der im Pariser Abkommen geforderten Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 2 und möglichst 1,5°C aufmerksam, um die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels abzumildern. Darüber hinaus habe ich mich für die Einrichtung einer Kommission Klimawandel, Umwelt und Gesundheit bei der BLÄK eingesetzt und das Bündnis Hitzeschutz Bayern mit auf den Weg gebracht. In der Bundesärztekammer habe ich als Co-Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Klimawandel an der Erarbeitung von Strategien für eine klimafreundliche Gesundheitsversorgung mitgewirkt.
Zur Person
Dr. Gerald Quitterer ist seit 2018 Präsident der BLÄK. Der in Eggenfelden geborene und niedergelassene Allgemeinmediziner ist außerdem Vorsitzender des Landesausschusses der Bayerischen Ärzteversorgung, Vorsitzender des Beirats der Bayerischen Akademie für ärztliche Fortbildung und Delegierter der BLÄK zum Verband Freier Berufe in Bayern e. V.. Dr. Quitterer ist verheiratet und hat vier Kinder.