"Es braucht ein Zusammenspiel aller Beteiligten"
Interview aus Sachsen-Anhalt
Im Interview spricht Dr. Kerstin Jungnickel, Medizinphysik-Expertin am Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie am Klinikum Magdeburg zum Thema Nachhaltigkeit. Sie erklärt, welches Potential sie hier für Kliniken sieht.
TK: Sie sind Mitbegründerin des Netzwerkes "Nachhaltigkeit@DRG" und setzen sich für mehr Nachhaltigkeit in der Radiologie ein. Wo sehen Sie gerade in einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt Potenzial, die medizinische Versorgung nachhaltiger zu gestalten?
Dr. Kerstin Jungnickel: Wir stehen im Gesundheitswesen vor der Herausforderung, mit weniger finanziellen Mitteln und weniger Fachkräften auskommen zu müssen. Aus dem sparsameren Umgang mit Ressourcen kann jedoch auch eine ökonomisch und ökologisch nachhaltigere medizinische Versorgung resultieren. Nicht jede Untersuchung wird angeboten, nicht jedes teure Gerät wird angeschafft. Dies gilt besonders für den ländlichen Raum. Wenn jedoch durch die zunehmende Digitalisierung auch im letzten Winkel der Altmark ein Experte oder eine Expertin per Videokonferenz zugeschaltet werden kann und Röntgenbilder und Arztberichte in Sekundenschnelle verfügbar sind, ist das auch für das Klima ein Gewinn.
Dies ist natürlich nur ein kleiner Baustein zu mehr Nachhaltigkeit. Der Ressourcen- und Energieverbrauch im Gesundheitswesen ist enorm. Der CO2-Ausstoß ist größer als der des gesamten Flugverkehrs! Ein Gutachten im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft hat die klima- und energierelevanten Daten der Krankenhäuser ausgewertet und sieht besonders im Bereich der Energie- und Stromversorgung ein großes Einspar-Potential. Insbesondere Operationssäle und radiologische Großgeräte wie MRT oder CT brauchen Lüftung, Kühlung, Heizung und vor allem viel Strom. Einsparungen im Bereich der Energie haben also oberste Priorität - damit werden nicht nur weniger Treibhausgase erzeugt, sondern es reduzieren sich auch die Kosten.
TK: Wie implementiert das Klinikum Magdeburg Nachhaltigkeitsprinzipien in seine Geschäftsstrategie und -praxis? Welche konkreten Maßnahmen sind bereits umgesetzt worden, beziehungsweise welche sind in absehbarer Zeit geplant?
Jungnickel: Im Bereich Energieeffizienz konnten wir zwei größere Projekte realisieren, die von der Landesenergieagentur Sachsen-Anhalt (LENA) begleitet wurden: Die Kälteanlage wurde erneuert, wobei wir vom Anschluss ans städtische Fernwärmenetz profitiert haben. Und die Leuchtstofflampen wurden durch LED ausgetauscht. Beides sind typische Beispiele für Maßnahmen in Richtung Energieeffizienz und Nachhaltigkeit.
In diesem Jahr haben wir mit Energiemessungen von radiologischen Großgeräten begonnen. Aus den Energiemessungen erhoffen wir uns konkrete Hinweise darauf, in welchen Bereichen wir Energie einsparen können, sei es über das Nutzungsverhalten oder Energiesparoptionen der medizinischen Geräte. Als nächstes werden wir bei der Beschaffung von Neugeräten Kriterien wie Energieverbrauch, Reparaturmöglichkeit und Lebensdauerkosten mit einbeziehen.
Dazu arbeitet die Arbeitsgruppe "DGMP goes Green" der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Physik gerade an einer Handlungsempfehlung. Betrachtet man die von der Bundesärztekammer beschlossenen Handlungsfelder im Krankenhaus zur Klimaneutralität, ist jedoch auch bei uns noch viel zu tun.
TK: In Ihrem Netzwerk nehmen Sie besonders die Energieeffizienz bei radiologischen Großgeräten in den Fokus. Sollte es für die Medizin eine allgemeine und strikte Richtlinie zum nachhaltigeren Handeln geben oder sehen Sie die einzelnen Fachrichtungen wie etwa die Radiologie, Neurologie, etc. hierfür selbst verantwortlich?
Jungnickel: Ich erachte beides als sinnvoll. Es gibt bereits allgemeine Vorgaben, wie das Klimaschutzgesetz, wonach alle öffentlichen Einrichtungen dazu verpflichtet sind, die Klimaschutzziele einzuhalten. Dies überprüft im Moment nur niemand. Das wird sich aber ab dem nächsten Jahr ändern, da dann eine Nachhaltigkeitsberichtserstattung eingeführt wird, womit die Krankenhäuser verpflichtet werden, zusätzlich zu den Energieaudits auch über Nachhaltigkeitsaspekte zu berichten. Einzelne Kliniken haben sich jetzt schon zertifizieren lassen, z.B. nach dem europäischen Umweltmanagementsystem EMAS, und sind den anderen Kliniken nun weit voraus.
Neben diesen übergeordneten Vorgaben für die Krankenhäuser haben die einzelnen Fachrichtungen natürlich spezifische Schwerpunkte, für die sie sich besonders verantwortlich sehen. Beispielsweise hat die Anästhesie einen hohen CO2-Fußabdruck aufgrund der verwendeten Narkosegase, die Allgemeinmedizin kümmert sich besonders um das Thema Hitzeschutz und die Radiologie hat durch die Großgeräte wie CT und MRT einen sehr hohen Energieversbrauch. Auch die Apothekerinnen und Apotheker sind mit im Boot, wenn es um das Thema Klimawandel und Gesundheit geht, wie kürzlich bei einer sehr informativen Fortbildungs-Veranstaltung von der Ärzte- und Apothekerkammer Sachsen-Anhalt gezeigt wurde.
Da aber immer auch andere Bereich im Klinikum wie z.B. Einkauf, Haustechnik und Bau einen direkten Einfluss auf den CO2-Ausstoß haben, kann eine Fachgesellschaft allein zwar Veränderungen zur Nachhaltigkeit in ihrem Bereich anstoßen, ein nachhaltiges Gesundheitswesen gelingt aber nur im Zusammenspiel mit allen Beteiligten.
Zur Person
Dr. rer. nat. Kerstin Jungnickel ist Medizinphysik-Expertin am Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie am Klinikum Magdeburg. Im Jahr 2020 hat sie mit weiteren Experten und Expertinnen das Netzwerk Nachhaltigkeit@DRG der Deutschen Röntgengesellschaft gegründet.