"Fragen des Umweltschutzes finden zunehmend Eingang in den Beratungsalltag"
Interview aus Sachsen-Anhalt
Im Interview gibt Dr. Jens-Andreas Münch, Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt einen Einblick dazu, welchen Stellenwert das Thema Nachhaltigkeit für seinen Berufsstand hat.
TK: Herr Dr. Münch, welchen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit aus Sicht der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt konkret für die Apotheken im Land?
Dr. Jens-Andreas Münch: Wir nehmen das Thema sehr ernst. Was direkt in den Apotheken beeinflusst werden kann, wird versucht umzusetzen. Das Anschaffen klimafreundlicher Geräte und Leuchtmittel trägt beispielsweise dazu bei oder auch Elektrofahrzeuge für Botendienste.
Im Gespräch zur Selbstmedikation kann in einigen Fällen die Beratung zu Alternativen mit umweltverträglicheren Arzneistoffen bei vergleichbarer Wirksamkeit eine Rolle spielen. Hinweise zur umweltverträglichen Entsorgung von Arzneimittelresten gehören ebenso zur Beratung. Selbst die Medikation muss in einigen Fällen an das Klima angepasst werden, um Schäden oder sogar Krankenhauseinweisungen zu minimieren. Hier spielt für uns der enge Kontakt zwischen Arzt, Apotheker und Patient eine immense Rolle.
Außerdem gilt es, künftig verstärkt Patienten zu identifizieren, die durch ihre Erkrankung oder ihre Medikation bei anhaltender Hitze besonders gefährdet sind. Bei ihnen ist speziell in der Beratung Augenmerk auf präventive Maßnahmen und Verhaltensweisen zur Vermeidung von Gesundheitsschäden zu legen.
TK: Inwieweit spielen die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit eine Rolle im Bereich der Fortbildung, um der beständigen Weiterentwicklung des Wissensstandes gerecht zu werden?
Münch: Wir haben sehr engagierte Apotheker, die sich intensiv dem Thema widmen und ihr Wissen in regelmäßigen Aus-, Fort- und Weiterbildungen an Kollegen weitergeben. Darüber hinaus organisieren wir Veranstaltungen für die Mitarbeitenden in den Apotheken, damit eine ständige Sensibilisierung für diese Thematik erfolgt. Denn umweltbewusste Apothekenteams sind eine wichtige Voraussetzung, um als Motivator und Erklärer für Umweltaspekte zu werben. Apotheken bieten erst einmal einen niedrigschwelligen Zugang zu ihren Patienten. Somit können wir in den Apotheken gut über Umweltrisiken im Zusammenhang mit Arzneimitteln aufklären.
TK: Verordnete oder freiverkäufliche Medikamente werden von Fall zu Fall nicht eingenommen und irgendwann unter Umständen einfach im Hausmüll entsorgt. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um dies zu reduzieren?
Münch: Arzneimittelmüll soll, so weit wie möglich, entgegengewirkt werden, bevor er überhaupt entsteht. Wichtig ist dabei eine bedarfsgerechte Verordnung. Gerade in der Akutversorgung zählt dazu auch die Verfügbarkeit therapiegerechter Packungsgrößen. Bei wichtiger Dauermedikation sollen Patienten immer eine gewisse Reserve verfügbar haben, um unvorhersehbare Verzögerungen bis zu Neuverordnung überbrücken zu können. Auf keinen Fall sollte jedoch gehamstert werden. Leider verleiten die allgegenwärtigen Versorgungsengpässe genau dazu. So entstehen möglicherweise zusätzliche lokale Versorgungslücken und potenzieller Arzneimittelmüll.
Weiter ist eine gute Beratung zur Therapietreue notwendig. Nur richtig eingenommene Arzneimittel wirken und belasten nicht unnötig die Umwelt. Wichtig ist die richtige Lagerung der Arzneimittel. Zunehmende Hitzewellen gefährden nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern auch die Qualität ihrer Medikamente. So verliert z.B. Insulin bei Temperaturen über 30 °C sehr schnell an Wirksamkeit.
Die Weiterentwicklung gesetzlicher Rahmenbedingungen könnten dabei helfen, Arzneimittelmüll zu reduzieren. Seitens der Industrie wären erweiterte Untersuchungen zur Stabilität wünschenswert, so dass vielleicht in einigen Fällen Mindesthaltbarkeitsfristen verlängert werden könnten. Vor dem Hintergrund zunehmender Klimaerwärmung sollten auch Stabilitätsuntersuchungen durchgeführt werden, inwieweit eine Anpassung der Lagertemperatur über die derzeit vorgeschriebenen 25 Grad Celsius hinaus möglich ist. Das könnte Transport und Lagerung von Arzneimitteln erheblich vereinfachen und Energie für gegebenenfalls notwendige Kühlung reduzieren.
Müssen Arzneimittel schließlich doch entsorgt werden, gehören diese unbedingt in den Hausmüll. Ein fachgerechtes Verbrennen oder das Verbringen der Arzneimittel auf abgesicherten Deponien ist dann sichergestellt. Auf keinen Fall gehören sie in die Toilette, wo sie über das Abwasser erhebliche Umweltbelastungen verursachen können.
TK: Welche Bemühungen oder Initiativen seitens der Apothekerkammer oder einzelner Apotheken zum Thema gibt es bereits im Bundesland bzw. welche sind geplant?
Münch: Fragen des Umweltschutzes finden zunehmend Eingang in den Beratungsalltag. So wissen viele Patienten nicht, wie Arzneistoffe zunehmend das Wasser in unserer Umwelt belasten und auch der Tierwelt schaden können. Ein Beispiel ist Diclofenac aus Schmerzgelen. Hier könnte erheblich für Entlastung des Abwassers gesorgt werden, wenn nach dem Auftragen des Gels, die Reste an den Händen erst mit einem Papiertuch abgewischt werden, das dann in den Müll geworfen wird und dann die Hände gewaschen werden.
Thematisieren werden wir außerdem, dass bei neuen Rabattverträgen der Krankenkassen Umweltaspekte eine stärkere Rollen spielen sollen. Viel kann bereits bei der Herstellung von Arzneimitteln getan werden, um die Umwelt zu entlasten. Dieses Thema werden wir in politischen Diskussionen verstärkt aufgreifen und mit einbinden.
Übrigens: Welchen Stellenwert das Thema Nachhaltigkeit für die Ärztinnen und Ärzte in Sachsen-Anhalt hat, lesen Sie im
Interview
mit Prof. Dr. Uwe Ebmeyer, Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt.
Zur Person
Dr. Jens-Andreas Münch wurde 2011 zum Präsidenten der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt gewählt. Seit 1995 engagiert er sich ehrenamtlich in der Kammer und begleitet erfolgreich die Entwicklung des Berufsstandes. Nach seinem Pharmaziestudium folgte die Promotion in der Pharmazeutischen Technologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 1993 ist er Apothekeninhaber in Magdeburg. Dr. Münch ist Mitglied der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Dort trägt er dazu bei, dass die Wurzeln des Berufes nicht in Vergessenheit geraten.