"Wir sind - wenn Sie so wollen - das Lebenswirklichkeitsministerium"
Interview aus Hessen
Seit dem 18. Januar hat Hessen mit Diana Stolz (CDU) eine neue Gesundheitsministerin. Im Interview erklärt sie, was sie sich für diese Legislaturperiode vorgenommen hat.
TK: Frau Stolz, vor Ihrer Zeit als Ministerin waren Sie als Erste Kreisbeigeordnete im Landkreis Bergstraße auf kommunaler Ebene bereits mit dem Thema Gesundheit betraut. Welche besonders prägenden Erfahrungen aus dieser Zeit nehmen Sie nun mit in Ihr neues Amt als Landesgesundheitsministerin?
Diana Stolz: Selbstverständlich war die Zeit der Corona-Pandemie sehr prägend. Hier war ich an der Basis, musste jeden Tag Entscheidungen treffen, die die Menschen sehr unmittelbar und sofort betrafen. In dieser Zeit sind im Kreis Bergstraße auch viele Ideen entstanden, wurden weitergetragen und andernorts nutzbar gemacht. Das Robert-Koch-Institut (RKI) war mehrfach vor Ort, weil wir fachlich antworten konnten. Aus dieser Zeit bringe ich natürlich auch viel Krisenerfahrung und Expertise mit und weiß um die Bedeutung einer starken und krisenfesten Gesundheitsverwaltung.
Und ich war - und hier blicke ich schon einmal auf die anstehende Krankenhausreform - selbst zum Beispiel in der Situation, dass in meinem Kreis eine Geburtshilfe geschlossen wurde. Da erlebt man hautnah die Sorgen der Menschen. Man weiß aber auch, dass es immer um eine hochwertige medizinische Versorgung geht. Wenn die Fallzahlen nicht mehr stimmen oder das Personal fehlt, dann leidet auch die Qualität. In diesem Falle wurde die Versorgungssicherheit über eine andere Geburtsstation sehr schnell sichergestellt und ein neues geburtshilfliches Angebot initiiert.
Wenn die Fallzahlen nicht mehr stimmen oder das Personal fehlt, dann leidet auch die Qualität.
TK: Sie sind gleichzeitig Familienministerin, Ministerin für die Belange von Seniorinnen und Senioren, Sportministerin sowie Gesundheits- und Pflegeministerin. Bei dieser Bandbreite können sicherlich nicht alle Themen im gleichen Umfang behandelt werden. In welchen Bereichen wollen Sie Ihre politischen Schwerpunkte setzen und warum?
Stolz: Wir brauchen eine gute bedarfsgerechte medizinische Versorgung in allen Bereichen, ambulant und stationär, auf dem Land und in der Stadt, fachärztlich und hausärztlich. Im Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege werden wir aber in allen Bereichen Schwerpunkte setzen, das ist mir eine Herzensangelegenheit. Wir sind - wenn Sie so wollen - das Lebenswirklichkeitsministerium.
Ich bin dankbar, dass die Themen zueinander gehören und ineinandergreifen, wir werden hier Vieles verzahnen.
Und ich bin dankbar, dass die Themen zueinander gehören und ineinandergreifen, wir werden hier Vieles verzahnen. Denken Sie nur an Gesundheit und Sport. Auch die Kindergesundheit gilt es ganzheitlich und übergreifend in den Blick zu nehmen. Und ich werde mich um das Thema Pflege und pflegende Angehörige kümmern. Nicht umsonst sind die Themen auch im Namen unseres Hauses akzentuiert. Wir werden in die Vernetzung gehen, um der Vereinsamung und der Einsamkeit, die übrigens durch alle Generationen geht und kein Alter kennt, etwas entgegensetzen. Schwimmbäder können da ebenso Begegnungsstätten für alle Generationen werden wie Familienzentren und Sportvereine.
TK: Eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre ist die Umsetzung der Krankenhausreform. Welche Veränderungen in der hessischen Krankenhauslandschaft wollen Sie bis zum Ende der Legislaturperiode erreicht haben?
Stolz: Die medizinische Versorgung insgesamt steht vor großen strukturellen Herausforderungen -auch durch die Auswirkungen des demografischen Wandels. Davon sind alle Akteure des Gesundheitswesens betroffen und deshalb müssen wir gemeinsam eine zukunftsfeste Versorgung für Hessen gestalten, die insbesondere auch die Bedarfe des ländlichen Raums in den Blick nimmt und die Kommunen bei ihren intersektionalen Angeboten unterstützt! Im Zuge eines Pakts für Gesundheit möchte ich etwa beispielsweise mit der Krankenhausgesellschaft, Kassenärztlichen Vereinigung, der GKV, den Verbänden, dem ÖGD, dem Rettungsdienst, den Kammern, Apotheken und Kommunen - aufbauend auf dem Versorgungsgipfel - in einen breiten Dialogprozess eintreten.
Die stationäre Versorgung muss bedarfs- und patientengerecht, qualitativ hochwertig und verlässlich sein.
In dieser Legislaturperiode ist eine wichtige Aufgabe, die Krankenhausstruktur in Hessen zukunftsfest aufzustellen. Das heißt, die stationäre Versorgung muss bedarfs- und patientengerecht, qualitativ hochwertig und verlässlich sein. Wir stehen in den Startlöchern und warten darauf, dass der Bund endlich einen konsensfähigen Gesetzentwurf zur Krankenhausreform vorgelegt.
Ziel ist, dass Hessen über ein stabiles medizinisches Netz verfügt. Dabei muss man auch betrachten, ob es um die Notfallversorgung oder um planbare Eingriffe geht.
TK: Im Koalitionsvertrag wird explizit hervorgehoben, dass die Auswirkungen der Krankenhausreform eine besondere Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürger erforderlich macht. Welche Kernbotschaften wollen Sie den Hessinnen und Hessen im Zusammenhang mit der Klinikreform vermitteln?
Stolz: Wir stehen alle gemeinsam mit den Akteuren im Gesundheitswesen vor der großen kommunikativen Aufgabe, den Menschen in unserem Bundesland zu erklären, dass sich die Dinge zwar ändern werden, wir aber alles dafür tun, damit eine hochwertige Gesundheitsversorgung gewährleistet wird. Hier geht es auch darum, keine Ängste zu schüren. Der Transformationsprozess ist deutschlandweit unausweichlich . Das bedeutet: Dinge werden anders, aber sie können auch besser werden.
Der Transformationsprozess ist unausweichlich.
TK: Der Digitalisierung wird im Koalitionsvertrag in den Themenbereiche Gesundheit und Pflege ein hoher Stellenwert beigemessen. Mit welchen konkreten Maßnahmen wollen Sie eHealth und Telemedizin in den kommenden fünf Jahren nach vorne bringen?
Stolz: Der wichtigste Aspekt der Digitalisierung wird es sein, dafür zu sorgen, dass die eHealth- Lösungen am Ende reibungsfrei zusammenarbeiten. Beispielsweise setzen wir uns sehr für das Thema Telemedizin im Rettungsdienst ein. Es reicht aber nicht aus, eine Insellösung für den Rettungsdienst zu schaffen, sondern dieses telemedizinische System muss mit der telemedizinischen Vernetzung der Krankenhäuser und weiteren Leistungserbringern verbunden sein.
TK: Die neue Schwarz-Rote Landesregierung hat angekündigt, eine "Denkfabrik Pflege" auf den Weg zu bringen. Wer darf dort mitdenken? Und wie sichern Sie ab, dass dort wirklich neue innovative Antworten auf die Herausforderungen in der Pflege entwickelt werden?
Stolz: Es ist wichtig, in der Pflege zusammen mit allen Akteuren gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Wichtige Mitdenker sind für mich die Landesverbände der Pflegekassen, die Verbände der Einrichtungsträger und natürlich auch die kommunale Seite. Bevor wir neue Strukturen etablieren, werde ich mir zunächst einen Ein- und Überblick verschaffen, wie die bisherigen Formen der Zusammenarbeit, etwa im Landespflegeausschuss, funktionieren.
Wir sind aktuell dabei, ein Förderprogramm aufzusetzen, das helfen wird, Pflegeeinrichtungen in den sozialen Raum zu öffnen.
Mir sind dabei "best practice"-Beispiele aus Kommunen oder auch aus Einrichtungen ganz wichtig. So sind wir aktuell schon dabei, ein Förderprogramm aufzusetzen, das helfen wird, Pflegeeinrichtungen in den sozialen Raum zu öffnen. Dann können die Praktiker vor Ort selbst entscheiden, was zur Einrichtung passt und wie sie das so angehen, damit die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen profitieren. Damit kommen diese übrigens auch wieder ein Stück mehr ins Leben zurück und wir tun etwas gegen die Einsamkeit.
TK: Im Koalitionsvertrag heißt es, dass die ambulante Bedarfsplanung mit Blick auf Telemedizin, digitale Sprechstunde und Fernbehandlung weiterentwickelt werden soll. Damit wäre Hessen Vorreiter. Wie wollen Sie das erreichen?
Stolz: Die Digitalisierung hat durch die Corona-Pandemie auch im Gesundheitswesen für einen deutlichen Schub gesorgt. Diesen Schwung wollen wir nutzen. So sind beispielsweise diverse Fallgestaltungen denkbar, in denen die Fernbehandlung per Videosprechstunde einen Vor-Ort-Besuch in einer Praxis mit physischem Arzt-Patienten-Kontakt wunderbar ergänzen oder sogar als gleichwertig daneben treten kann. So können Anfahrtszeiten vermieden werden oder jemandem der Kontakt zu seiner Ärztin oder seinem Arzt erleichtert werden, der nach einer Operation wieder zu Hause, aber noch geschwächt ist.
Die Fernbehandlung kann einen Vor-Ort-Besuch in einer Praxis mit physischem Arzt-Patienten-Kontakt wunderbar ergänzen oder sogar gleichwertig daneben treten.
Doch auch unter Versorgungsgesichtspunkten sollten die digitalen Möglichkeiten beleuchtet werden. Hier könnten sich Potenziale ergeben. Der Nachbesetzungsbedarf ist im ambulanten Bereich bekanntermaßen groß. Wenn hier beispielsweise Ärztinnen und Ärzten in der Familienphase ermöglicht werden könnte, mit digitalen Mitteln einen Versorgungsbeitrag zu leisten, könnten sich hier zusätzliche Ressourcen ergeben. Wir möchten gerne die Überlegungen anstoßen, wie digitale Mittel gerade auch bei Versorgungsfragen unterstützen könnten. Hierfür haben wir in Hessen schon das Gemeinsame Landesgremium nach § 90a SGB V, in dem alle Beteiligten breit eingebunden sind und sich konstruktiv zu dieser komplexen Fragestellung einbringen können.
TK: Als Ministerin sind Sie oft stark gefordert. Wie gelingt Ihnen dennoch Ihre persönliche Work-Life-Balance?
Stolz: Meine Familie ist mein Ausgleich. Ich bin verheiratet und zweifache Mutter. Gerne verbringe ich auch Zeit in der Natur und unser Familien-Hund treibt uns als Familie zusammen an die frische Luft.
Zur Person
Diana Stolz wurde 1976 in Frankfurt geboren. Ihr Studium an der Verwaltungsfachhochschule Rotenburg an der Fulda (von 1995 bis 1998) beendete sie mit einem Abschluss als Diplom-Rechtspflegerin. 2002 absolvierte sie an der gleichen Einrichtung ein Aufbaustudium "Justizmanagement". Von 1999 bis 2010 war Stolz in verschiedenen Ministerien des Landes Hessen tätig. 2016 wurde sie Erste Kreisbeigeordnete des Kreises Bergstraße. Diese Funktion hatte sie inne, bis sie am 18. Januar 2024 zur Hessischen Ministerin für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege berufen wurde. Seit 1997 ist Stolz Mitglied in der CDU.