"Sicherheitskultur ist ein Führungsthema"
Interview aus Berlin/Brandenburg
Franziska Engehausen, Geschäftsführerin des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e. V., im Interview über die Bedeutung der Sicherheitskultur im Gesundheitswesen.
TK: Frau Engehausen, ein vom Aktionsbündnis Patientensicherheit gerade herausgegebenes Buch trägt den Titel "Risiko- und Sicherheitskultur im Gesundheitswesen". Was verstehen Sie darunter?
Franziska Engehausen: Das Buch ist eine 360°-Sicht von Akteurinnen und Akteuren aus dem Gesundheitswesen. Sie beleuchten die wesentlichen Handlungsfelder zur Entwicklung von Sicherheitskultur und beschreiben, wie Risikobewusstsein und Sicherheitskultur vorangebracht werden kann.
Fazit der Experten: Nur wenn Sicherheitskultur ganz oben auf der Agenda steht, gelingt es, die Risiken bestmöglich zu beherrschen und so das Gesundheitssystem für alle Beteiligten nachhaltig zu verbessern.
Dies ist von zentraler Bedeutung für alle nachhaltigen Bemühungen zur Verbesserung der Patientensicherheit. Politische und legislative Maßnahmen müssen ein günstiges Umfeld für eine florierende Sicherheitskultur schaffen.
TK: Welche drei Dinge müssen sich ändern, damit sich unser Umgang mit Risiken und unsere Sicherheitskultur verbessern?
Engehausen: Erstens: Sicherheitskultur ist ein Führungsthema. Zweitens: Offene Kommunikation und Transparenz. Drittens: Anerkennen des Lernens aus Fehlern statt Sündenböcke zu suchen.
Das Engagement von Führungskräften im Gesundheitssystem, Transparenz, eine offene und respektvolle Kommunikation, das Lernen aus Fehlern und bewährten Verfahren sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Verzicht auf die Suche eines Sündenbocks und persönlicher Verantwortlichkeit sind unerlässliche Bestandteile der Sicherheitskultur. Wir machen alle Fehler und wir können alle daraus lernen, wenn wir das Wissen teilen.
TK: Und was können wir in diesem Bereich von anderen Ländern lernen?
Engehausen: Vorbildhaft ist das routinierte Messen von Patientensicherheit in anderen Ländern. Bei unseren britischen Nachbarn werden Fehlermeldesysteme systematisch genutzt und ausgewertet. Anzumerken ist dazu, dass auch in Deutschland seit 2014 eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses alle Krankenhäuser verpflichtet, ein Fehlermeldesystem, CIRS (Critical Incident Reporting System) als Bestandteil des Risiko- und Qualitätsmanagements einzurichten.
Die Realität zeigt allerdings, dass die Anwendung des CIRS in Deutschland weit weg von Routine ist. Die Statistik in Großbritannien dagegen verzeichnete beispielsweise jährlich ca. 8.000 Fehler in britischen Hausarztpraxen. Aus diesen Zahlen werden in unserem Nachbarland Rückschlüsse zum Ausbau der Patientensicherheit gezogen: Echte Transparenz.
Digitalisierung in der Medizin kann die Patientensicherheit in vielerlei Hinsicht unterstützen.
TK: Wie kann die Digitalisierung zu mehr Patientensicherheit beitragen?
Engehausen: Digitalisierung in der Medizin kann die Patientensicherheit in vielerlei Hinsicht unterstützen. Patientenverwechslung sowie falsche Medikamentengabe zählen zu den zentralen Sicherheitsproblemen und können mittels digitalisierter Prozesse verbessert werden. Blut- und Gewebeproben zur Untersuchung im Labor lassen sich über die entsprechende Kennzeichnung digital tracken. Die elektronische Patientenakte (ePA) könnte zukünftig immer stärker mit strukturierten, also maschinenlesbaren Inhalten bestückt werden. Erste durch den Gesetzgeber festgelegte Anwendungen sind u.a. Impfausweis, Mutterpass und Kinderuntersuchungsheft, Medikationsplan, Notfalldaten, Inhalte aus Digitalen Gesundheitsanwendungen und eine Patientenkurzakte.
TK: Haben Sie ein Beispiel, wo die Sicherheitskultur in Berlin oder Brandenburg bereits weit entwickelt ist?
Engehausen: Zwangsweise wurde in Potsdam, im Ernst von Bergmann Klinikum, die Bereitschaft, Transparenz zu schaffen und Änderungen in Richtung Sicherheitskultur und Patientensicherheit herbeizuführen, verordnet. Zur Aufarbeitung eines rasanten Ausbruchgeschehens im Zusammenhang mit der Coronapandemie wurde ein Expertengremium zur Aufarbeitung sowie zur Neuausrichtung einberufen. Eine Empfehlung war: die Einrichtung von Patientensicherheitsbeauftragten zur Entwicklung der Sicherheitskultur.
Die Kommission regte darüber hinaus an, dem Beispiel anderer Bundesländer folgend, das Thema Patientensicherheit landeskrankenhausgesetzlich zu verankern und zudem die Einrichtung von Patientensicherheitsbeauftragten zu prüfen. Angebunden an die Klinikleitung wirken diese daran mit, Risiken zu erkennen, zu bewerten und Maßnahmen abzuleiten.
Zur Person
Franziska Engehausen ist seit April 2022 Geschäftsführerin des Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V.. Zuvor war sie unter anderem stellvertretende Geschäftsführerin und gesundheitspolitische Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (bis Mitte 2021). Seit 2013 ist sie als freie Dozentin für Gesundheitssystem, -Management und -Wirtschaft, unter anderem an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, tätig.